USA: Gesundheitsreform:Alles andere als perfekt

Die Entscheidung naht: US-Präsident Obama musste viele Kompromisse machen für seine Gesundheitsreform. Kritiker sagen, es sei nur ein Schatten übrig.

Reymer Klüver

Der Präsident kam gleich zur Sache. "Ist dieser Gesetzentwurf perfekt?", fragte Barack Obama am Samstag, als er auf den Kapitolshügel in Washington gefahren war, um die Kongressabgeordneten seiner Partei auf die große Entscheidung über die Gesundheitsreform am Sonntag einzustimmen.

"Natürlich nicht", gab er selbst die Antwort. Viele Punkte seien nicht Teil der Reform, die er sich gewünscht hätte. Und vieles sei nicht aufgenommen, was sich mancher Abgeordnete gewünscht hätte. Dennoch sei der Vorschlag der wichtigste Schritt zur Reform des US-Gesundheitswesens seit fast einem halben Jahrhundert. Auf alle Fälle sei er ein "ungemeiner Fortschritt gegenüber dem Status quo".

Da wird ihm kaum einer seiner Parteifreunde widersprochen haben. Trotzdem hat es Abstriche gegenüber den ursprünglichen Vorstellungen gegeben. Für die Parteilinke ist die Reform nur mehr ein Schatten ihrer selbst, verwässert durch Zugeständnisse und Absprachen.

Vor allem eines stört sie: der Verzicht auf die sogenannte public option, die Einrichtung einer staatlichen Krankenversicherung, genauer gesagt von 50 staatlichen Versicherungen in den 50 Bundesstaaten. Obama selbst hatte diese Lösung favorisiert, sie aber nie zum unabdingbaren Teil der Reform erklärt.

Jetzt soll es von den Bundesstaaten organisierte Krankenversicherungsbörsen geben, in denen die privaten Unternehmen ihre Policen anbieten können. Die staatliche Aufsicht stellt sicher, dass die Policen den gesetzlichen Auflagen genügen. Konkurrenz einer staatlichen oder einer genossenschaftlich organisierten Kasse muss das amerikanische Versicherungsgewerbe also nicht mehr fürchten.

Konservative Demokraten hatten vor allem die enormen Kosten der Reform im Blick. Ihnen war das Unterfangen - wie den Republikanern - suspekt angesichts der Belastungen, denen der Etat durch das Konjunkturpaket ja bereits ausgesetzt ist. Deshalb hatte Obama die Parole ausgegeben, dass die Reform nicht die Grenze von einer Billion Dollar überschreiten dürfe. Diese Bedingung erfüllt der zwischen den Demokraten im Repräsentantenhaus und Senat ausgehandelte Kompromiss. Er prognostiziert Kosten von 940 Milliarden Dollar im Laufe des kommenden Jahrzehnts.

Dem gegenüber stehen Ausgabenreduzierungen im Gesundheitswesen, die das staatliche Defizit in den kommenden zehn Jahren um 138 Milliarden Dollar, im folgenden Jahrzehnt um weit mehr als eine Billion Dollar senken sollen. Das wurde vom parteiunabhängigen Congressional Budget Office, sozusagen den Bundesrechnungsprüfern, bestätigt. Das erleichterte den finanzpolitisch konservativen Demokraten die Zustimmung.

Streit um Finanzierung von Abtreibungen

Bis zuletzt umstritten blieb die Frage, inwieweit durch die Reform Abtreibungen indirekte staatliche Zuschüsse erhalten könnten. Eine Reihe demokratischer Abgeordneter hatte deshalb ihre Zustimmung versagt. Um sie doch noch zu gewinnen, hatte Obama angeboten, nach Verabschiedung der Reform ein Dekret zu erlassen, das die Finanzierung von Abtreibungen mit Steuermitteln verbietet.

Zwei Bedingungen, die Obama für elementar erklärt hatte, erfüllt die Reform: 32 Millionen Amerikaner, die nicht versichert sind, dürften eine Police bekommen. Das sind rund zwei Drittel derer, die bislang keine Versicherung haben. Um das zu erreichen, soll ein Strafgeld eingeführt werden, das Versicherungsverweigerer zahlen müssten. Das Repräsentantenhaus hat die Summe dafür auf 695 Dollar pro Jahr verringert. Wer wenig verdient, muss künftig auch weniger Steuern zahlen, um sich nun die Versicherung leisten zu können.

Unternehmen müssen nicht grundsätzlich für die Versicherung ihrer Angestellten Sorge tragen. Das war ursprünglich geplant gewesen. Allerdings müssen Firmen mit 50 und mehr Angestellten laut Reform eine Strafsteuer von 2000 Dollar pro Beschäftigten zahlen, wenn sie den Arbeitnehmern nicht eine Versicherung anbieten. Wenn Obama die Abstimmung gewinnt, dürfen die Versicherungen niemandem mehr den Schutz verweigern, weil er früher schon mal krank war. Auch dürfen sie Schwerkranken die Versicherung dann nicht mehr einfach kündigen.

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