Auf dem vorläufigen Höhepunkt der NSA-Affäre im Juli hatte die Bundesjustizministerin eine Idee: Ein internationales Abkommen müsse her, sagte Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, um "verbindliche Regelungen zum Schutz der Privatsphäre" zu schaffen. Bundeskanzlerin Angela Merkel, die damals noch nichts von der Überwachung ihres Telefons durch den US-Geheimdienst gewusst haben wollte, sekundierte im ARD-Sommerinterview: "International müssen wir auch verhandeln."
Zur Seite sprang den deutschen Politikerinnen kurz darauf Dilma Rousseff, Präsidentin Brasiliens und ebenfalls Opfer von NSA-Spionage. Ihr E-Mailverkehr soll abgehört worden sein. Gemeinsam trieben Deutschland und Brasilien eine Resolution voran, für die sie in der Vollversammlung der Vereinten Nationen eine breite Mehrheit finden wollten. Der Inhalt: Das Recht auf Privatsphäre sollte betont, die staatenübergreifende Überwachung von Kommunikation als Bedrohung für die Menschenrechte dargestellt werden.
Tüchtig geschliffen
Zwar sollte kein Staat namentlich erwähnt werden, aber der Inhalt galt als Schuss vor den Bug der US-Geheimdienste. Das will Washington offenbar verhindern. In der kommenden Woche soll die Vollversammlung über das Papier abstimmen. Zuvor wurde es im zuständigen UN-Menschenrechtsausschuss tüchtig geschliffen, die Formulierungen aufgeweicht. Das berichten amerikanische Medien.
Dabei geht es ohnehin nur um Symbolpolitik. Anders als Resolutionen des UN-Sicherheitsrates haben Resolutionen, die von der UN-Vollversammlung angenommen werden, keinen völkerrechtlich bindenden Charakter. Konkret geht es Brasilien und Deutschland um den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte, ein UN-Abkommen aus dem Jahr 1966. Dieser sogenannte Zivilpakt, der schon jetzt "willkürliche oder illegale Eingriffe in die Privatsphäre, die Familie, die Wohnstätte oder den Briefverkehr" untersagt, soll um ein Zusatzprotokoll zugunsten des Datenschutzes ergänzt werden.
Offline wie online
Ein deutsch-brasilianischer Entwurf, aus dem das US-Magazin Foreign Policy zitiert, wird da recht deutlich: Alle Staaten müssten die vollständige Einhaltung der internationalen Menschenrechte garantieren, heißt es da. Das gelte insbesondere für das Recht auf Privatsphäre, offline wie online.
Der Nachrichtenagentur Reuters zufolge hätte die Resolution in einem ersten Entwurf eine "tiefe Beunruhigung" zum Ausdruck gebracht wegen "Menschenrechtsverletzungen, die bei der Überwachung jedweder Kommunikation, inklusive staatenübergreifender Überwachung, entstehen könnten". Den Amerikanern, die dem Whistleblower Edward Snowden zufolge massenhaft Daten sammeln und dabei - in Zusammenarbeit mit den Briten und anderen Geheimdiensten aus Kanada, Neuseeland und Australien - nicht vor Ländergrenzen haltmachen, ging das offenbar zu weit.
Foreign Policy zitiert aus einem geheimen Papier der Amerikaner, das zahlreiche Änderungswünsche formuliert. Es ist mit "U.S. Redlines" überschrieben, führt also "rote Linien" Washingtons auf. Sie zeigen, in welchem Licht die US-Regierung ihre Spionage sehen will. Darin heißt es:
- Die Resolution dürfe nicht Überwachung im Allgemeinen, sondern die "ungesetzliche" Überwachung von Kommunikation ächten. Schließlich seien "die bekannt gewordenen Tätigkeiten der US-Regierung" gesetzmäßig gewesen - vom Präsidenten, vom Kongress und von US-Gerichten abgesegnet.
- Es müsse klargestellt werden, dass die "gesetzmäßige" Überwachung "privater" Kommunikation nicht automatisch eine Verletzung der Meinungsfreiheit bedeute. Diese Andeutung sei "nicht akkurat", heißt es in dem Papier.
- Der Entwurf deute an, dass Staaten die Pflicht hätten, "die Privatsphäre ausländischer Staatsbürger außerhalb der Vereinigten Staaten zu respektieren", kritisiert das amerikanische Papier. Das sei aber nicht die Sichtweise der Amerikaner auf den Zivilpakt der UN und müsse entsprechend geändert werden.
Die USA waren offenbar erfolgreich, zumindest teilweise. In einem zweiten Entwurf, aus dem Reuters zitiert, ist nur noch von einer Sorge über den "negativen Einfluss" die Rede, den die (staatenübergreifende) Überwachung von Kommunikation "und das Sammeln persönlicher Daten" auf die "Ausübung und den Genuss von Menschenrechten" haben könne.
Menschenrechtsgruppen wie Human Rights Watch und Amnesty International haben öffentlich vor einer Aushöhlung der Resolution gewarnt. Womöglich folgen aber noch weitere Änderungen. Den Amerikanern und Briten gehe selbst die abgeschwächte Version noch zu weit, heißt es. Ihre Zustimmung sei unsicher.
In Deutschland dürfte das für erneute Ernüchterung sorgen. Erst am Mittwoch wurde bekannt, dass sich amerikanische Geheimdienste neuen Snowden-Dokumenten zufolge nicht an No-Spy-Vereinbarungen halten müssen, wie sie die Bundesregierung mit Washington schließen will. Nun wachsen angesichts der Haltung der Amerikaner auch die Zweifel daran, ob der Ausspähung mit einer UN-Resolution beizukommen ist.