Süddeutsche Zeitung

Migration:Überforderte Staaten von Amerika

  • An der US-Grenze zu Mexiko sind in den vergangenen Monaten deutlich mehr Migranten festgenommen worden als in den Jahren zuvor.
  • Völlig offen ist allerdings, was die US-Regierung gegen die Krise zu unternehmen gedenkt. Die Führungsposten vieler Behörden sind vakant.
  • Auch Präsident Trump gibt keine realistische Linie vor. Seine Ideen haben sich bislang als wenig tauglich erwiesen.

Von Hubert Wetzel, Washington

Die offiziellen Statistiken beschreiben zweifellos eine veritable Krise: Mehr als 103 000 Migranten haben die US-Behörden allein im März an der amerikanisch-mexikanischen Grenze festgenommen. Im März des vergangenen Jahres lag die Zahl bei etwa 50 000 Menschen, im gleichen Monat des Jahres 2017 sogar nur bei 16 000. In den ersten sechs Monaten des Haushaltsjahres 2019, das am 1. Oktober 2018 begann, hat die Grenzpolizei insgesamt gut 360 000 illegale Einwanderer aufgegriffen - ein Anstieg von mehreren Hundert Prozent im Vergleich zu den gleichen Zeiträumen der Vorjahre.

Und es sind nicht die traditionellen Arbeitsmigranten - junge, alleinstehende Männer -, die versuchen, unentdeckt über die Grenze zu kommen und dann im Land unterzutauchen. Stattdessen drängen sich an den Grenzübergängen vor allem Minderjährige, die allein unterwegs sind, und Familien mit Kindern. Ihr Anteil an der Gesamtzahl der Festgenommenen machte in den vergangenen sechs Monaten nach Angaben der US-Grenzschutzbehörde CBP fast 63 Prozent aus. Die meisten von ihnen stammen aus den mittelamerikanischen Ländern El Salvador, Guatemala und Honduras, die von Armut und Kriminalität geplagt werden. In vielen Fällen beantragen diese Menschen nach der Festnahme Asyl.

Die Aufnahmelager, in denen die US-Behörden diese Menschen unterbringen, versorgen und registrieren, sind wegen des Ansturms überfüllt. "Wir erleben derzeit einen Notstand, der das gesamte Netz unserer Einrichtungen betrifft", teilte die CBP vor einigen Tagen mit. An der Grenze entfalte sich eine "humanitäre Krise", "und diese Krise wird schlimmer".

Völlig offen ist allerdings, was die US-Regierung gegen diese Krise zu unternehmen gedenkt. Das liegt zum einen daran, dass an der Spitze des verantwortlichen Ministeriums für Heimatschutz ein Führungsvakuum herrscht. Vor einer Woche entließ der Präsident Heimatschutzministerin Kirstjen Nielsen, mit der er sich noch nie gut verstanden hatte. Trump hat den bisherigen CBP-Chef Kevin McAleenan zu Nielsens Nachfolger ernannt, doch diese Personalie muss noch vom Senat bestätigt werden. Bevor das nicht geschehen ist, ist McAleenan kein vollwertiger Minister.

Zudem sind die Führungsposten etlicher Behörden vakant, die dem Heimatschutzministerium unterstehen und mit Asyl-, Einwanderungs- und Grenzschutzfragen zu tun haben. So hat zum Beispiel die für Abschiebungen zuständige Behörde ICE derzeit keinen regulär bestallten Direktor. Der Chef des für Asylanträge verantwortlichen Amtes USCIS, Lee Cissna, ist im Weißen Haus längst in Ungnade gefallen, er ist nur noch auf seinem Posten, weil es im Kongress erheblichen Widerstand gegen seine Entlassung gibt. Auch andere ranghohe Ministeriumsmitarbeiter, die zum engeren Kreis um Nielsen gehörten, will Trump dem Vernehmen nach feuern. Dass sich die Behörde unter diesen Umständen mit einer koordinierten Antwort auf die Krise an der Südwestgrenze schwertut, ist wenig verwunderlich.

Der US-Präsident droht wieder damit, die Grenze zu Mexiko zu schließen

Erschwert wird die Situation allerdings dadurch, dass Trump selbst keine Linie vorgibt, zumindest keine realistische. Das Thema Immigration wird in der US-Regierung derzeit von zwei Hardlinern dominiert. Der eine ist Stephen Miller, ein Berater von Trump, der im Weißen Haus arbeitet. Der andere Hardliner ist der Präsident selbst, dessen immigrationsfeindlichen Instinkte und Ansichten immer wieder auf die konkrete Politik durchschlagen.

Hart gegen illegale Einwanderer vorzugehen, war das zentrale Wahlkampfversprechen Trumps. Jetzt jedoch liegen die Zahlen, nachdem sie 2017, dem Jahr von Trumps Amtsantritt, eingebrochen waren, so hoch wie seit einem Jahrzehnt nicht mehr. Den Kampf mit dem Kongress um Geld für den Bau der von ihm propagierten Grenzmauer hat der Präsident verloren. Ob er die Sperranlage anderweitig finanzieren kann, ist noch offen. Insofern steht Trump unter enormem Druck, die Lage an der Grenze unter Kontrolle zu bringen.

Seine bisherigen Ideen haben sich freilich als wenig tauglich erwiesen. Vor zwei Wochen war der Präsident offenbar drauf und dran, die Grenze zu Mexiko einfach zu schließen. Das würde es Migranten aus Mittelamerika unmöglich machen, Asylanträge zu stellen. Es würde allerdings auch den milliardenschweren Handel zwischen den USA und Mexiko hart treffen. Trump rückte auf Drängen seiner Berater von dem Plan zunächst wieder ab. Er gebe Mexiko ein Jahr Zeit, um den Zustrom von zentralamerikanischen Flüchtlingen in die USA zu stoppen, verkündete Trump. Doch nun twittert der Präsident doch wieder darüber, dass er die Grenze im Notfall schließen lassen werde.

Noch umstrittener ist Trumps Idee, festgenommene illegale Einwanderer von der Grenzpolizei in Städte bringen zu lassen, die von den Demokraten regiert werden und in denen die lokalen Behörden nicht mit den Bundesgrenzschutzbehörden zusammenarbeiten. Auf diese Weise will der Präsident den Druck auf die Demokraten erhöhen, einer Verschärfung der Einwanderungsgesetze zuzustimmen. Doch wahrscheinlich wäre es weder praktikabel noch überhaupt legal, dass die Grenzbehörden Zehntausende Menschen im Land hin und her transportieren, um sie dann nach rein politischen Kriterien an bestimmten Orten freizulassen.

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SZ vom 15.04.2019/saul
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