EU und USA:Brüssel und Washington entschärfen Streit über grüne Subventionen

US-Präsident Joe Biden und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in Washington

US-Präsident Joe Biden hat EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in Washington empfangen. Es gibt viel zu besprechen.

(Foto: Kay Nietfeld/DPA)

Amerikas Förderung klimafreundlicher Industrien droht Europa wirtschaftlich zu schaden. Bei einem Treffen im Weißen Haus kommen Ursula von der Leyen und Joe Biden einer Lösung des Problems näher. Am Thema China kommen sie dabei nicht vorbei.

Von Hubert Wetzel, Brüssel

Man könnte die Reise von Ursula von der Leyen zu Joe Biden mit dem Alten Testament erklären. Prediger, Kapitel 3, Vers 8. Alles, so heißt es dort, habe seine Zeit. "Streit hat seine Zeit, Friede hat seine Zeit." Das beschreibt recht gut den Grund, warum die Präsidentin der EU-Kommission am Freitag den Präsidenten der USA traf: In einer Zeit, in der Russland seinen Nachbarn mit Krieg und Terror überzieht und China mit "Konflikt und Konfrontation" droht, soll wenigstens im Verhältnis zwischen Amerika und Europa Frieden herrschen anstatt Streit.

"Wir sind nicht nur Partner, die Europäische Union und die Vereinigten Staaten sind gute Freunde", sagte von der Leyen zum Auftakt der Gespräche. Eineinhalb Stunden später veröffentlichten sie und Biden eine detaillierte gemeinsame Erklärung, in der sie einen Weg skizzierten, wie die nicht unerheblichen Irritationen ausgeräumt werden sollen, die die Beziehungen in den vergangenen Monaten belastet hatten.

Denn seit der US-Kongress im August 2022 den "Inflation Reduction Act" (IRA) gebilligt hat, der knapp 370 Milliarden Dollar an Subventionen für Amerikas grüne Industrien vorsieht, sind die Europäer verärgert. Und besorgt: Sie befürchten, auf dem amerikanischen Markt benachteiligt zu werden, weil die Beihilfen vor allem an Unternehmen gehen sollen, die in den USA produzieren. Biden will so nicht nur den Umbau der amerikanischen Wirtschaft zur Klimaneutralität fördern, sondern auch gut bezahlte Industriejobs in sein Land zurückholen.

Von der Leyen hat einen transatlantischen "Rohstoff-Klub" vorgeschlagen

Das erste Ziel - Klimaschutz - unterstützt die EU ausdrücklich. Was das zweite angeht, gibt es in Brüssel hingegen die Angst, dass die von Biden gewünschte Zunahme dieser begehrten Arbeitsplätze in den USA mit einer entsprechenden Abnahme in Europa einhergehen könnte. Das will die EU nicht zulassen.

Von der Leyen war also im Weißen Haus, um diesen Streit so weit wie möglich beizulegen. Zwar lässt sich am IRA selbst nichts mehr ändern - das Gesetz ist verabschiedet, von Biden unterschrieben und in Kraft getreten. Aber bei den Ausführungsbestimmungen kann Washington der EU noch entgegenkommen. So zeichnet sich zum Beispiel ab, dass auch in Europa gebaute Elektroautos von den Zuschüssen profitieren werden, die die US-Regierung heimischen Käufern zahlen will, sofern sie als Leasing-Fahrzeuge zugelassen werden. Zudem wollen die EU und die USA darüber reden, wie Europa bei der Herstellung von Batterien für E-Autos bevorzugt werden kann. Man werde dazu "unverzüglich" Gespräche aufnehmen, heißt es in der gemeinsamen Erklärung. Der IRA sieht entsprechende steuerliche Privilegien nur für Firmen aus Ländern vor, die ein Freihandelsabkommen mit den USA haben. Das gibt es zwischen den USA und der EU nicht.

Von der Leyen hat daher vorgeschlagen, einen transatlantischen "Klub für kritische Rohstoffe" aus Ländern zu gründen, die wichtige Mineralien oder Metalle wie Kobalt oder Lithium fördern oder verarbeiten, welche in klimafreundlichen Industrieprodukten verbaut werden. Die USA sollen Elektroauto-Batterien, die Komponenten enthalten, die aus den Mitgliedsländern dieses Klubs kommen - sprich: aus der EU -, dann so behandeln, als stammten sie aus einem Staat, mit dem Washington einen vollwertigen Freihandelsvertrag hat. Dazu hat sich Biden am Freitag grundsätzlich bereiterklärt.

Diese Ausnahme für die EU muss noch juristisch wasserdicht festgezurrt werden, das kann noch einige Wochen oder Monate dauern. Doch das amerikanische Zugeständnis ist ein bemerkenswerter Erfolg für von der Leyen. Für wie wichtig sie die Wiederherstellung von friedlichen Beziehungen zu Washington hält, zeigt sich daran, wer für sie mit den USA verhandelt hat: nicht irgendein EU-Kommissar oder Botschafter, sondern ihr enger Vertrauter und Kabinettschef Björn Seibert.

Sowohl in Brüssel als auch in Washington ist man sich allerdings auch im Klaren darüber, dass es ein größeres geopolitisches Problem gibt: China. Biden hält den politischen Systemwettbewerb zwischen den Demokratien in Nordamerika und Europa auf der einen Seite und den aggressiven Autokratien China und Russland auf der anderen für den zentralen Konflikt des 21. Jahrhunderts. In der EU wird diese Sicht nicht überall geteilt, vor allem tun sich jene europäischen Länder damit schwer, die wirtschaftlich eng mit China verflochten sind, darunter Deutschland. Während Biden begonnen hat, China ziemlich konsequent von amerikanischer Hochtechnologie abzuschneiden und die Europäer drängt, das auch zu tun, geht die EU daher sehr viel zögerlicher vor.

Wird Europa der Forderung Amerikas nach mehr Druck auf China folgen?

Statt von "decoupling" spricht von der Leyen mit Blick auf Peking lieber von "de-risking". Das bedeutet übersetzt: Europa soll sich nicht völlig von China abkoppeln, sondern nur die politisch so riskante einseitige Abhängigkeit reduzieren. Das klingt weicher, als Washington es wohl gerne hätte. Gleichzeitig heißt es aus EU-Kreisen, dass die Subventionen, mit denen der chinesische Staat grüne und andere Zukunftstechnologien päppele, ein viel größeres Problem seinen als der IRA. Es gibt also transatlantische Schnittmengen bei der Beurteilung Chinas.

Und es gibt in Europa die Bereitschaft, Amerikas Forderung nach mehr Druck auf China zu folgen - und sei es nur, um Washington milde zu stimmen, damit auch europäische Firmen die IRA-Subventionen bekommen. So versichern hochrangige EU-Mitarbeiter, dass die EU ohne jeden Zweifel Sanktionen gegen China verhängen würde, sollte Peking tatsächlich Waffen oder Munition an Russland liefern und dadurch den Krieg in der Ukraine befeuern. Der niederländische Konzern ASML, der Maschinen zur Herstellung von Halbleitern baut, will den Export nach China offenbar beschränken. Europäische Länder und Institutionen gehen gegen chinesische Firmen vor - von Huawei bis Tiktok. Und von der Leyens "Rohstoff-Klub" hat durchaus auch zum Ziel, Chinas Fast-Monopol auf dem Markt für Seltene Erden und andere wichtige Hightech-Bestandteilen zu brechen.

Trotz aller Bemühungen um Einvernehmen bleibt allerdings ein Restrisiko für das transatlantische Verhältnis. Washington hat das enorme IRA-Subventionspaket für seine Industrie beschlossen, daran ist nichts mehr zu ändern. Die EU-Kommission hat ihrerseits nachgezogen und die Regeln bei Staatsbeihilfen für die Hersteller klimafreundlicher Produkte in Europa gelockert. Brüssel will - wortwörtlich - um jeden Preis verhindern, dass neue Fabriken für Solarzellen, Windräder, E-Autos oder Batterien wegen großzügiger Subventionen in den USA statt in Europa gebaut werden.

Biden und von der Leyen versicherten zwar, dass Amerika und Europa durch ihre jeweiligen Beihilfen die Handelsströme und Märkte nicht verzerren oder einander schaden wollten. Man werde einen Dialog dazu führen, heißt es in der gemeinsamen Erklärung. Doch das ist zunächst nur eine Absichtserklärung auf Papier. Die Gefahr, dass sich Europa und Amerika einen extrem teuren Subventionswettkampf liefern, obwohl China die viel größere und zudem gemeinsame Herausforderung ist, ist auch nach dem Treffen im Weißen Haus nicht gebannt.

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