Süddeutsche Zeitung

USA:Eintracht bei Justizreform

Der Senat hat die größte Reform des Justizvollzugs seit Jahrzehnten beschlossen. Republikaner und Demokraten stimmten einhellig für bessere Haftbedingungen.

Von Hubert Wetzel, Washington

Der US-Senat hat die größte Reform des Justizvollzugs in den Vereinigten Staaten seit Jahrzehnten beschlossen. Die Kammer stimmte in der Nacht zu Mittwoch mit 87 zu zwölf Stimmen für das Gesetz, mit dem die Haftbedingungen verbessert und die Zahl der Inhaftierten verringert werden sollen. Das Votum ist ein seltenes Beispiel von Überparteilichkeit im sonst so gespaltenen Washington. Die Zustimmung des Abgeordnetenhauses gilt als sehr wahrscheinlich. Auch Präsident Donald Trump unterstützt die Reform. Für ihn wäre die Verabschiedung ein wichtiger legislativer Sieg bei einem Thema, das auch Bürger außerhalb seiner Kernwählerschaft interessiert.

Die Reform gilt nur für Häftlinge, die sich im Gewahrsam der US-Bundesregierung befinden. Das sind derzeit etwa 181 000 Menschen - ungefähr zehn Prozent aller Häftlinge in den USA. Die übrigen sitzen in lokalen oder bundesstaatlichen Haftanstalten ein. Die Zustände dort unterscheiden sich von Staat zu Staat sehr. Die Befürworter der Reform hoffen, dass mit ihr Standards gesetzt werden, denen sich später auch Bundesstaaten anschließen, die diese bisher nicht erfüllen.

Durch die Reform sollen zum einen die Lebensbedingungen von Häftlingen verbessert werden. So schreibt das Gesetz vor, dass Bundesgefängnisse künftig an weibliche Häftlinge Hygieneartikel wie Binden verteilen müssen. Schwangere Gefangene dürfen bei der Geburt nicht mehr mit Handschellen ans Bett gefesselt werden. Auch Einzelhaft für Jugendliche wird weitgehend verboten.

Zweitens versucht das Gesetz, die Zahl der Häftlinge zu verringern. Gefangene sollen die Möglichkeit bekommen, ihre Haft durch gutes Benehmen zu verkürzen und entweder früher in die Freiheit oder in eine Art Hausarrest entlassen zu werden. Davon könnten Tausende Häftlinge unmittelbar profitieren. Gegner des Gesetzes kritisierten, dass gefährliche Verbrecher auf freien Fuß gesetzt würden. Allerdings sind Gewalttäter ausgenommen, ebenso bestimmte Drogenkriminelle.

Eine dritte Verurteilung wegen Drogen bedeutet nicht mehr automatisch lebenslange Haft

Der wichtigste Teil der Reform betrifft allerdings die Zukunft: Amerikas Gefängnisse sollen sich nicht mehr so schnell füllen wie bisher. Das Gesetz weicht dazu die derzeit gültigen, sehr strikten Vorschriften für Mindeststrafen auf. Diese waren vom Kongress vor allem für den Kampf gegen die Drogenkriminalität beschlossen worden und sind ein Hauptgrund, warum die Gefängnisse in den USA mit Langzeithäftlingen überfüllt sind, die keine Kapitalverbrechen begangen haben. Doch die Richter hatten bei der Verurteilung wegen der Mindeststrafen oft gar keine andere Wahl, als die Angeklagten für Jahrzehnte ins Gefängnis zu schicken. In der Praxis trafen diese drakonischen Strafen oft afroamerikanische Männer - mit allen negativen Folgen für die Familien und die Gemeinden, aus denen sie stammten.

Das soll sich nun ändern. So wird zum Beispiel die Vorschrift abgeschafft, dass ein Angeklagter bei seiner dritten Verurteilung wegen eines Drogendelikts automatisch zu lebenslanger Haft verurteilt werden muss, selbst wenn keine Gewalt im Spiel war. Künftig liegt das Strafmaß in diesen Fällen bei 25 Jahren Haft - für europäische Verhältnisse immer noch extrem hart, aus amerikanischer Sicht aber ein Zeichen von Milde. Zudem soll es nicht mehr möglich sein, Strafen "aufeinanderzustapeln", gleichzeitig verhängte Haftstrafen werden künftig gleichzeitig abgeleistet, nicht hintereinander.

Die Gefängnisreform, die maßgeblich von Trumps Schwiegersohn und Berater Jared Kushner ausgearbeitet wurde, ist vor allem für die Republikaner eine Wende. Sie waren seit Jahrzehnten die Partei, die auf Härte im Strafvollzug gesetzt und die Demokraten damit in Wahlkämpfen vor sich hergetrieben hat. Nun reden sie plötzlich darüber, dass auch Straftäter eine zweite Chance verdienen.

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Quelle:
SZ vom 20.12.2018
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