USA:Ein linker Geist erwacht

Die Saat von Bernie Sanders ist aufgegangen, immer mehr Demokraten übernehmen sein Programm: höhere Steuern, kostenloses Studium, Krankenversicherung für alle. Trump und seine Anhänger rufen: Sozialismus. Aber das scheint für viele Amerikaner kein giftiges Wort mehr zu sein.

Von Alan Cassidy

Wer hat Angst vor den Sozialisten? Spätestens mit der Ankündigung von Bernie Sanders, ein zweites Mal für die US-Präsidentschaft zu kandidieren, wird sichtbar, wie der Senator aus Vermont die Demokratische Partei bereits verändert hat. Als Sanders letztes Mal antrat, wurde er als radikaler Altlinker verlacht. Dann gewann er die demokratischen Vorwahlen in 23 Staaten, holte 13 Millionen Wählerstimmen und scheiterte nur knapp an der Favoritin Hillary Clinton. Sanders hat seither die Partei, der er nominell nicht einmal angehört, auf eine Art und Weise geprägt, die nur wenige für möglich hielten.

Alexandria Ocasio-Cortez war vor drei Jahren eine junge Frau, die für Sanders im Wahlkampf an Haustüren klopfte. Heute ist sie die wohl bekannteste Vertreterin der Demokraten. Viele der demokratischen Kandidaten rannten vor nicht langer Zeit noch vor Sanders' Ideen davon. Heute tragen sie diese in einem Gestus vor, als stammten sie von ihnen selbst: Krankenversicherung für alle, kostenloses College-Studium, progressive Einkommensteuern. Ist das Sozialismus? Nein. Sozialdemokratie? Schon eher. Trotzdem werden die "Sozialismus!"-Rufe lauter. Von linken Politikern wie Sanders, vor allem aber von ihren Gegnern.

Dabei bleibt meistens unklar, was der Begriff im politischen Alltagsgebrauch der USA überhaupt meint. Die staatliche Kontrolle über Produktionsmittel ist jedenfalls nicht das, was die Demokraten fordern. Vielmehr handelt es sich um Dinge, die in anderen Ländern, die ihre Marktwirtschaften mit sozialen Sicherungssystemen versehen haben, selbstverständlich sind. Eine allgemeine Krankenversicherung führt noch nicht in den Gulag - nicht einmal nach Venezuela.

Die Frage ist, ob die Demokraten damit politisch durchkommen werden. Jahrzehntelang attackierten Amerikas Konservative fast jeden Gegner und fast jede Idee, indem sie diese als sozialistisch bezeichneten. Die Reformen des New Deal: Sozialismus. Die erste Krankenversicherung in den 1960er-Jahren: Sozialismus. Unter Barack Obama wurden diese Rufe zuletzt hysterisch. Sozialistisch war für die Krieger der Tea Party und die Moderatoren bei Fox News nicht nur seine Gesundheitsreform, sozialistisch waren auch Versuche, den Ausstoß von Klimagasen über einen Emissionshandel zu regeln, sozialistisch war eigentlich alles, was der Präsident unternahm.

Es gibt Anzeichen, dass sich diese Waffe abgestumpft hat. Für junge Amerikaner ist Sozialismus kein giftiges Wort mehr. 51 Prozent der US-Bürger unter 30 Jahren haben heute einer Gallup-Umfrage zufolge eine positive Sicht auf den Sozialismus. Weil sie dabei nicht an verstaatlichte Industrien und einen totalitären Staat denken, sondern an eine bezahlbare Ausbildung und Löhne, von denen sie leben können. Und viele der Forderungen, die im Vorwahlkampf diskutiert werden, sind auch unter anderen Wählern beliebt.

Sanders wird die demokratischen Vorwahlen vielleicht nicht gewinnen. Aber wer immer sich durchsetzt, wird zumindest einige seiner Ideen aufnehmen, weil ihm oder ihr angesichts einer nach links gerutschten Basis gar keine andere Wahl bleibt. Die Republikaner werden "Sozialismus!" rufen. Und in der Wahl gegen Donald Trump wird sich zeigen, wie groß die Angst der Amerikaner davor noch ist.

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