Süddeutsche Zeitung

USA:Trumps Trauerstück

Der US-Präsident liefert sich einen bizarren Streit mit der Witwe eines toten Soldaten. Das Drama zeigt, was alles gerade schief läuft in den Vereinigten Staaten - und wie gereizt das politische Klima dort ist.

Von Hubert Wetzel, Washington

Es gibt Dramen in Donald Trumps Amerika, die gibt es nur wegen Donald Trump. Eines davon ist der Streit, den sich der Präsident derzeit mit der Witwe eines gefallenen US-Soldaten liefert. Bei diesem Streit kommt alles zusammen, was Trumps Persönlichkeit und das derzeitige politische Klima in Amerika ausmacht - ein selbstgerechter Präsident, der Krawall sucht und unfähig ist, es irgendwann gut sein zu lassen, geschweige denn sich zu entschuldigen; eine Opposition (einschließlich etlicher Medien), die diesem Präsidenten nicht den kleinsten Fitzel guten Willens mehr zubilligt - was Trump tut, ist böse und gemein, ausnahmslos; sowie ein bissiger, engstirniger Patriotismus, der jeden, der eine Uniform trägt, zum Helden verklärt. Einige Leute wollen zudem eine kräftige Portion Rassismus in der Angelegenheit entdeckt haben. Auch das würde zu Trumps Amerika passen.

Das Drama zieht sich inzwischen seit gut einer Woche hin, und es ist unübersichtlich geworden. Tatsachen, Behauptungen, Vorwürfe und glatte Lügen - die immer auftauchen, wo Trump ist - haben sich zu einer zähen Mixtur vermischt. Wollte man ein Drehbuch schreiben für ein Theaterstück, das den Zustand der politischen Kultur in Amerika in der Ära Trump beschreibt (und den Schaden, den der Präsident anrichtet) - so sähe es aus:

Weibliche Hauptrolle: Myeshia Johnson, 24 Jahre alt, schwarz, Witwe. Ihr Mann, Feldwebel La David Johnson, wurde am 4. Oktober in Niger bei einem Feuergefecht getötet. Die US-Armee hat in dem afrikanischen Land etwa 650 Mann stationiert, die der Regierungsarmee helfen sollen, Islamisten zu bekämpfen. Die genauen Umstände von Johnsons Tod sind noch unklar. Doch offenbar wurde eine Gruppe amerikanischer und nigrischer Soldaten überfallen und zusammengeschossen. Insgesamt fielen vier Amerikaner.

Das ist für die Hinterbliebenen eine Tragödie. Zu einem hässlichen politischen Hickhack wurde Johnsons Tod freilich erst am 17. Oktober, als Trump sich in den Fall einmischte. Er rief Myeshia Johnson an, als diese gerade auf dem Weg zum Flughafen war, um den Sarg mit ihrem getöteten Ehemann in Empfang zu nehmen.

Männliche Hauptrolle: Donald Trump, 71 Jahre alt, weiß, US-Präsident. Nach allem, was man weiß, verpatzte er den Kondolenzanruf bei Myeshia Johnson veritabel. So wie es die Witwe der Nation am Montag im Frühstücksfernsehen erzählte, konnte sich Trump nicht an den Namen des Gefallenen erinnern. Er habe den Toten immer nur als "dein Kerl" bezeichnet, beklagte Myeshia Johnson. Zudem habe der Präsident gesagt, Johnson habe gewusst, auf was er sich einlässt, als er Soldat geworden sei. Das Gespräch sei respektlos gewesen, so die Witwe, sie habe danach noch viel mehr weinen müssen.

Trump wäre freilich nicht Trump, beließe er es bei einem einzigen Fehltritt. Am selben Tag erzählte er zudem stolz der Presse, dass er erstens "praktisch alle" Familien von getöteten Soldaten persönlich anrufe; und dass zweitens der frühere Präsident Barack Obama nicht angerufen habe, als der Sohn von Trumps Stabschef John Kelly 2010 in Afghanistan gefallen sei. Kelly wird später noch einen Auftritt haben. Dass Trump "praktisch alle" Hinterbliebenen von Gefallenen angerufen habe, war jedoch eine leicht zu entlarvende Lüge. Das Weiße Haus hatte nicht einmal eine Liste mit allen Telefonnummern.

Die gute Freundin der Familie

Weibliche Nebenrolle: Frederica Wilson, 74 Jahre alt, schwarz, demokratische Kongressabgeordnete aus Florida. Wilson, eine gute Freundin der Familie Johnson, saß mit Myeshia im Auto, als Trump anrief. Offenbar stellte die Witwe das Telefon auf Lautsprecher, sodass die Abgeordnete mithören konnte. Wilson ist eine etwas laute und exzentrische Person, sie trägt gern bunte, glitzernde Cowboy-Hüte, sie ist schlagfertig und hat einen Hang zur Selbstdarstellung. Und so erzählte sie den Medien bereits vorige Woche - noch bevor Myeshia Johnson selbst ins Fernsehen ging - ausführlich, brühwarm und empört, was der Präsident in dem eigentlich persönlichen Telefonat zu der trauernden Ehefrau gesagt habe. Auch das böse Wort vom Rassismus fiel.

Spätestens in diesem Moment hätte das Weiße Haus auf die Bremse treten müssen. Ein reicher, weißer Präsident, der mit einer weinenden, schwarzen Kriegerwitwe streitet, deren Sekundantin eine sehr eifrige Abgeordnete ist, der es nicht an Selbstbewusstsein mangelt, und deren Auftritte nicht ganz frei von politischem Kalkül sind - das muss schiefgehen. Doch Wilsons Einmischung hatte das Gegenteil zur Folge. Zum einen biss Trump sofort an. Auf die Bremse zu treten, ist seine Sache nicht. Der Präsident ließ stattdessen Twittertiraden gegen Wilson los, in denen er sie mehrmals als "durchgeknallt" bezeichnete und alles bestritt, was sie erzählt hatte. Zum anderen riefen Wilsons Interviews den bereits erwähnten John Kelly auf den Plan.

Männliche Nebenrolle: John Kelly, 67, weiß, ehemaliger Vier-Sterne-General der Marineinfanterie und Stabschef im Weißen Haus. Kelly spielt in dem Drama einen besonders tragischen Part. Er hat 2010 seinen Sohn in Afghanistan verloren. Und offenbar hatte sich Trump vor dem Gespräch mit Myeshia Johnson bei Kelly erkundigt, wie man so ein Kondolenztelefonat macht. Kelly hatte dem Präsidenten nicht nur erzählt, dass er damals keinen Anruf von Obama erhalten hatte, sondern ihm auch mitgeteilt, was ihm damals zum Trost von einem anderen General gesagt worden sei: dass nämlich sein Sohn gewusst habe, auf was er sich einlässt, als er Soldat wurde; dass er gestorben sei, wie er es sich gewünscht habe - als er seinem Land diente und umgeben von seinen Kameraden.

Nun mag derartiges Pathos unter Generälen eine tröstliche Wirkung haben. Als Trump die Formulierung aber praktisch Wort für Wort übernahm, kam das offensichtlich bei Myeshia Johnson nicht so gut an; auch dass er öffentlich über Kellys Sohn und Obamas Reaktion redete, hatte der Stabschef nicht erwartet. Dennoch könnte man den Vorgang auch so interpretieren: Trump hat sich immerhin bemüht, herauszufinden, wie man als Präsident mit den Familienangehörigen von Gefallenen umgeht. Er hat sich bei einer Autorität erkundigt. Und er hat versucht, das, was ihm erzählt worden war, anzuwenden. Das endete in Tränen und Missverständnissen, aber es war nicht böse gemeint.

Kelly, der Held und Vater eines toten Helden, stand plötzlich als Lügner da

Doch die Zeiten, in denen irgendjemand außerhalb des Trump-Lagers Trump positive Absichten zugesteht, sind längst vorbei. Zumal er sein Twitterfeuer gegen Wilson aufrecht erhielt und weiter das Offensichtliche leugnete: dass sein Anruf bei der Witwe unglücklich verlaufen war.

Am 19. Oktober trat dann Kelly vor die Presse und versuchte, seinem Chef zu helfen. Mit stockender Stimme erzählt er von seinem Sohn, von den Opfern, die Amerikas Soldaten brächten und dem zuweilen fehlenden Respekt der Gesellschaft. Auch Kelly wurde ausfällig gegenüber Wilson, er nannte sie ein "leeres Fass", er sagte, er sei "schockiert" darüber, wie sie als Abgeordnete politisches Kapital aus dem Tod eines Soldaten schlage. Es war eine anrührende Rede.

Aber es war auch die Rede eines Mannes, der sich im Militär besser zurechtfindet als in der Politik. Denn zugleich bestätigte Kelly Wilsons Version der Geschichte. Alles, was sie gesagt und was Trump bestritten hatte, war offenbar wahr. Und Kelly machte einen Fehler: In seiner Wut über die impertinente Zivilistin mit den absurden Hüten warf er Wilson einige Dinge vor, die umgehend als falsch widerlegt wurden. Das Ergebnis: Kelly, der Held und Vater eines toten Helden, stand plötzlich als Lügner da, der einen Lügner verteidigt.

"Das wird der erste Satz in seinem Nachruf werden", sagt ein Washingtoner Außenpolitiker mit Bedauern. "Aber so ist es: Jeder, der mit Trump zu tun hat, wird beschädigt." Vielleicht gilt das für das ganze Land.

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Quelle:
SZ vom 25.10.2017/jael
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