USA:Die Mär vom sauberen Krieg

USA: Unbemannt, aber tödlich: Eine US-Drohne des Typs "MQ-9 Reaper" bei einem Trainingseinsatz in den USA.

Unbemannt, aber tödlich: Eine US-Drohne des Typs "MQ-9 Reaper" bei einem Trainingseinsatz in den USA.

(Foto: ETHAN MILLER/Getty Images via AFP)

Angriffsdrohnen sind zur Lieblingswaffe des US-Militärs geworden. Ihren ferngesteuerten Bomben sind jedoch sehr viel mehr Zivilisten zum Opfer gefallen als bisher bekannt war.

Von Fabian Fellmann, Washington

Präzise sollte der neue Krieg sein, intelligent, weniger blutig. Es war eines dieser Versprechen von Barack Obama, die eigentlich zu gut klangen, um wahr zu sein. "Mit unserer außerordentlichen Technologie führen wir den präzisesten Luftkrieg der Geschichte", sagte Obama, als er 2016 über den Einsatz der US-Kampfdrohnen gegen die Terrororganisation Islamischer Staat (IS) redete.

Die kriegsmüde amerikanische Öffentlichkeit schenkte ihm trotzdem Glauben. Den IS gewähren lassen kam für sie nicht in Frage. Dass noch mehr US-Soldaten ihr Leben riskieren lassen würden, ebenfalls nicht. Angriffe mit ferngesteuerten Drohnen schienen die perfekte Lösung zu sein, um gegen die Bösen zu kämpfen, ohne die Guten in Gefahr zu bringen.

In Wahrheit aber ist der angeblich so präzise Roboterkrieg höchst fehleranfällig und brutal. Das zeigt eine Auswertung von internen Armeeberichten über Hunderte von Drohnenangriffen der USA im Nahen und Mittleren Osten seit 2014. Die Resultate hat die New York Times am Wochenende veröffentlicht.

Die Zahl der zivilen Todesopfer der Luftschläge im Irak, in Syrien und Afghanistan dürfte demnach um ein Vielfaches höher liegen als es die offiziellen Statistiken bisher ausweisen. Und obwohl das Pentagon beteuert, alles Menschenmögliche zu unternehmen, um zivile Opfer zu vermeiden, sprechen die Berichte eine andere Sprache. Im Nachgang der Bombardierungen zeigt das Militär jedoch wenig Interesse an einer sauberen Untersuchung.

Das Militär sieht einen Mann mit Bombe - doch es war ein Mann mit Kind

Es existiert zwar ein Bewilligungsverfahren für Drohnenschläge, bei denen die Militärführung auch die Gefahr für unbeteiligte Zivilisten einschätzen muss. Dafür greifen die Amerikaner hauptsächlich auf Videoaufnahmen von Drohnen zurück. Doch diese können oft trügerisch sein. Die New York Times beschreibt unter anderem ein Video, auf dem Soldaten vermeintlich einen Mann mit einer Bombe erkannten. In Wahrheit trug er jedoch ein Kind.

Oftmals waren die Videobilder nicht scharf genug oder die Sequenzen zu kurz, etwa weil der Aufnahmewinkel keine besseren Ansichten zuließ oder weil keine zusätzlichen Drohnen für weitere Bilder verfügbar waren. Oft fehlte den Amerikanern an ihren Steuergeräten Tausende Kilometer weit weg das Wissen, um die Aufnahmen korrekt zu interpretieren. Pick-up-Trucks mit zivilen Flüchtigen wurden fälschlicherweise als Fahrzeuge mit feindlichen Kämpfern beurteilt und bombardiert, zum Beispiel im Irak im Dezember 2016. Offiziellen Angaben zufolge starben bis zu 24 Zivilisten, die unter IS-Kämpfern unterwegs waren. Die New York Times beziffert die Opferzahl nach Besuchen mit über 120.

Das Unterschätzen ziviler Opferzahlen scheint System zu haben. Das hatte mitunter technische Gründe, weil sich die Offiziere auch dafür auf Videoaufnahmen verließen. Und wenn Rauch nach einer Explosion die Sicht verdeckte, schlossen sie daraus oftmals kurzerhand, es seien keine zivilen Opfer zu sehen. Die Zeitung konnte jedoch nachweisen, dass meistens Informationen verfügbar wären, die Abklärungen nahelegen. Auf sozialen Medien etwa fand sie vielfach Hinweise auf zivile Opfer von Raketenbeschüssen.

Pentagon weist Vorwürfe zurück

Das US-Militär zeigt jedoch wenig Interesse an einer gründlichen Aufarbeitung. Die New York Times hat 1311 Berichte des Pentagons über zivile Opfer ausgewertet. Nur zwei Mal besuchten demnach Ermittler überhaupt einen Ort der Explosion, nur in Einzelfällen leisteten die USA Entschädigungszahlungen. In rund neun von zehn Fällen fand die Zeitung weder Hinweise auf eine vollständige Untersuchung noch auf eingeleitete Disziplinarmaßnahmen. Nur ein Viertel der Dossiers enthielt Empfehlungen, um die hochtechnisierte Kriegsführung zu verbessern.

Bei den mehr als 100 000 Bombardierungen aus der Ferne spielte eine Einheit namens Talon Anvil eine besonders unrühmliche Rolle. In Syrien war sie für die Mehrheit dieser Angriffe verantwortlich. Nach der Darstellung der New York Times kürzte diese Einheit immer mal wieder Verfahren ab und nahm damit zivile Opfer in Kauf. Talon Anvil etwa war es, die im August eine zehnköpfige Familie in Kabul auslöschte - an Stelle eines Bombentransporters des IS.

Das Pentagon wies die Vorwürfe der Zeitung zurück. Es arbeite sorgfältigst, um jegliche zivilen Opfer zu vermeiden und kläre alle "glaubwürdigen Verdachtsfälle" ab. Die Zulässigkeit und Verhältnismäßigkeit von Luftschlägen sei zu messen an der Information, die den Soldaten "vernünftigerweise zur Verfügung" stehe.

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