Süddeutsche Zeitung

Trump zurück im Wahlkampf:"Ich gebe euch allen einen großen, dicken Kuss"

Bei der ersten Wahlkampfveranstaltung nach seiner Corona-Erkrankung sucht Donald Trump wieder die Nähe zu seinen Fans. Die feiern ihn wie einen Auferstandenen.

Von Alan Cassidy, Orlando

Es ist alles wie immer, es ist nichts wie sonst. Donald Trump ist zurück im Wahlkampf, zurück vor Tausenden von Anhängern, und natürlich feiern sie ihn dafür. Exakt eine Woche ist es her, seit der US-Präsident aus dem Krankenhaus entlassen wurde, schnaufend, kurzatmig und heiser. Nun hält er bereits die erste Massenveranstaltung ab, inmitten der Pandemie. Unverantwortlich, kritisieren Gesundheitsexperten. Sollen sie doch nörgeln, entgegnen seine Unterstützer. "Kein Keim, kein Virus und keine Lüge kann unseren Präsidenten am Boden halten", ruft der republikanische Lokalpolitiker, der auf der Bühne das Vorprogramm bestreitet. "Ich danke Gott, dass er Donald Trump hat auferstehen lassen."

Eine Auferstehung also - darunter macht es Trump nicht. Etwas heiser ist der 74-Jährige immer noch, als er am Montagabend die Bühne im Bundesstaat Florida betritt, aber abgesehen davon wirkt er wieder wie der Alte. "Ich fühle mich so stark", sagt Trump. Er sei jetzt gegen das Coronavirus immun, ein Leben lang oder zumindest einige Monate, wer wisse das schon? "Ich könnte jeden in der Menge küssen. Ich werde die Männer küssen und die schönen Frauen, ich gebe euch allen einen großen, dicken Kuss." Trump ist laut seinen Ärzten von Covid-19 genesen, und die Botschaft, die Amerikas Wähler mitnehmen sollen, ist offensichtlich: Trump hat das Virus überwunden. Die USA werden es auch tun. Aufrufe zur Vorsicht? Nicht nötig.

Zumindest bei Trumps Anhängern kommt das durchaus an. Mehrere Tausend Menschen sind am Montag auf den Flugplatz außerhalb von Orlando gekommen. Sie stehen Schulter an Schulter, um auf den Präsidenten zu warten, der mit der Präsidentenmaschine Air Force One hier landen wird. Gut zwei Drittel der Leute tragen keine Maske. Einer von ihnen ist Jim Rahm, ein gut gelaunter Rentner im Trump-T-Shirt und mit einer Kappe, die ihn als Veteranen des Koreakriegs ausweist. Rahm wird bald 88 Jahre alt. Er hat acht Stunden angestanden, um Trump zu sehen, bei mehr als 30 Grad im Schatten, den es auf dem Flugplatz nicht gibt. "Wenn ich das tun muss, um den Präsidenten zu sehen, dann tue ich es gerne."

Fragt man Jim Rahm, was er an Trump möge, lautet seine Antwort: "Alles, aber besonders sein Kampf gegen die Korruption." In den 1980er-Jahren, lange nach seinem Kriegsdienst in Korea, den er auf einem Zerstörer der US-Marine geleistet hatte, arbeitete Rahm als Lobbyist in Washington. Er sagt, er sei dort reich geworden mit Geschäften mit Politikern, die er korrupt nennt. Das seien die gleichen Kreise, die Trump aus dem Weg haben wollten, weil er ihre Geschäfte durchkreuze. Dass Trump seine eigene Regierung selbst mit allerlei Lobbyisten besetzt hat, spielt für Rahm keine Rolle: "Er mischt den Laden auf."

Die Corona-Pandemie, an der in den USA mehr als 215 000 Menschen gestorben sind, hat an seiner Meinung über Trump nichts geändert. "Ja, es ist ein tödliches Virus. Aber Trump hatte trotzdem recht, sich gegen Lockdowns zu wehren." Suizide, Scheidungen, Alkoholismus: Überall dort, wo die Maßnahmen gegen das Virus besonders streng waren, seien die Konsequenzen dramatisch - schlimmer als die Folgen der Pandemie. Er selbst habe keine Angst, sich anzustecken. "Ich fahre Jetski, fliege Gleitschirm und golfe viermal in der Woche." Nur die Autorennen habe er aufgegeben, eine Schwellung im Fußgelenk, aber trotzdem: "Ich bin ganz gut in Form für mein Alter. Ich fürchte mich nicht vor einem Virus."

Trump hat immer noch eine besondere Verbindung zu seinen Wählern

Dass Leute wie Jim Rahm hier sind, dass sie teils durchs halbe Land gefahren sind, um Trump zu sehen, kann man durchaus als Beleg für die Beziehung sehen, die den Präsidenten und seine treuesten Anhänger verbindet. Zwar gibt eine Mehrheit der Amerikaner Trump in den Umfragen schlechte Noten für seinen Umgang mit der Pandemie. Doch für seine Basis gilt das nicht. Im Gegenteil. Unter den Teilnehmern an seiner Kundgebung gibt es viele, die dem Präsidenten beipflichten, wenn er sagt, dass das Virus nicht das Leben der Amerikaner dominieren dürfe. Es sei zudem Trumps Verdienst, dass die Pandemie nicht noch schlimmer ausgefallen sei. Sie glauben Trump auch, wenn er wie am Montagabend völlig faktenfrei sagt: "Kein Land hat sich vom Virus so gut erholt wie unseres."

Die lautesten Buhrufe bei Trumps Wahlkampfveranstaltung gibt es dann, wenn der Präsident und seine republikanischen Vorredner über die Journalisten im Pressebereich schimpfen, die Masken tragen - wozu sie übrigens von Trumps Wahlkampforganisation angehalten werden. Einer dieser Vorredner ist der Gouverneur von Florida, Ron DeSantis, dessen Bundesstaat unter Corona stark gelitten hat. Am Montagabend schreitet DeSantis ohne Maske auf die Bühne und klatscht im Vorbeigehen die Hände von Dutzenden Leuten in der Menge ab - Applaus erhält er auch dafür.

Auch Harvey Flagler trägt seine Maske selten. "God and Guns" steht darauf, er zeigt sie kurz und stopft sie zurück in die Hosentasche. Flagler gehört zur Risikogruppe, er ist älter als 65 Jahre, wie alt genau, will er nicht sagen. Flagler, Vollbart, Trump-T-Shirt, glaubt, dass die Demokraten das Coronavirus dazu benutzen, die Freiheitsrechte der US-Bürger zu beschneiden. "Wir Amerikaner sind intelligent genug, unsere eigenen Entscheidungen zu treffen. Wenn du Angst vor dem Virus hast, versteck dich eben davor. Wenn nicht, dann lebe dein Leben." Er sei selbst vorsichtig, wegen seiner behinderten Tochter, die ein geschwächtes Immunsystem habe. "Aber ich brauche nicht den Staat, der mir irgendetwas vorschreibt."

Florida ist aus mehreren Gründen wichtig für Trump

Eine ganz andere Frage ist, wie Trumps Verhalten und die Bilder von seinem Auftritt so kurz vor der Wahl bei anderen Amerikanern ankommen, besonders in Florida. Der Bundesstaat ist nicht nur der größte jener "Swing-States", die den Ausgang der Wahl entscheiden. Hier leben auch besonders viele alte Menschen, die von der Pandemie stark betroffen sind. Noch vor vier Jahren hatten die Senioren mehrheitlich Trump gewählt. In den Umfragen liegt nun aber Trumps demokratischer Gegner Joe Biden gleichauf mit ihm.

Harvey Flagler hält von diesen Umfragen nichts. Er sei ständig in Florida unterwegs, in allen Teilen des Bundesstaats, "und auf 20 Trump-Schilder kommt eines für Biden". Er ist überzeugt: Am Wahltag in drei Wochen werde es einen Erdrutschsieg für den Präsidenten geben. Er kenne Leute, die noch nie im Leben wählen gegangen seien, aber es nun tun würden - um ihre Stimme Trump zu geben.

Wahlkampfauftritte vor Tausenden von Anhängern, ein Meer von Trump-Fahnen und Trump-Schildern in Amerikas Vorgärten: "Das sind die wahren Umfragen", ruft Trump auf der Bühne des Flugplatzes. Der Präsident will jetzt wieder jeden Tag irgendwo im Land auftreten, eine Kundgebung nach der anderen, so wie vor vier Jahren - nur eben mit dem Unterschied, dass er gerade erst eine Corona-Erkrankung hinter sich gebracht hat. Alles wie immer - nichts wie sonst.

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