USA:Die Wahrheit? Nicht so wichtig

Jerrold Nadler, Adam Schiff, Maxine Waters, Carolyn Maloney, Richard Neil, Nancy Pelosi

Auf dem Weg zur Anklage: Die Führungsspitze der Demokraten um die Mehrheitsführerin im Repräsentantenhaus Nancy Pelosi (vorne links) vor der Bekanntgabe ihrer Vorwürfe gegen US-Präsident Donald Trump.

(Foto: Andrew Harnik/AP)

Die Ukraine-Ermittlungen und solche zum FBI brachten neue, differenzierte Erkenntnisse - die Politiker beider Parteien der Einfachheit halber einfach ignorieren. Am Ende profitiert davon jedoch nur einer: Donald Trump, der Meister der Verwirrung.

Von Hubert Wetzel, Washington

Die Demokraten sehen es so: Donald Trump ist eine Bedrohung für Amerikas Demokratie. Der Präsident hat die Wahl 2016 gewonnen, weil ihm Russland geholfen hat; dann hat er versucht, die Ukraine dazu zu bringen, ihm durch Ermittlungen gegen den demokratischen Präsidentschaftsbewerber Joe Biden bei der Wahl 2020 zu helfen. Vor einem so "gefährlichen und korrupten Anführer" gebe es nur einen Schutz, sagte vor einigen Tagen Nancy Pelosi, die Vorsitzende des Abgeordnetenhauses: "Impeachment".

Die Republikaner sehen es so: Seit Donald Trump die Wahl 2016 gewonnen hat, überlegen die Demokraten, wie sie ihn wieder aus dem Amt werfen können. Zuerst ließen sie ihre Helfer beim FBI, im Justizministerium und bei der CIA - den "tiefen Staat" - wegen Trumps angeblicher Zusammenarbeit mit Moskau spionieren und ermitteln. Nachdem diese "Russland-Hexenjagd" erfolglos war, haben sie nun die "Ukraine-Hexenjagd" begonnen. Doch "trotz jahrelanger Hexenjagden" hätten die Demokraten bisher "nicht den Hauch eines Beweises" für ein Vergehen Trumps gefunden, das ein Amtsenthebungsverfahren rechtfertige, wetterte diese Woche der ranghohe Republikaner Steve Scalise.

Nun ist es wenig überraschend, dass ein so spalterischer Präsident wie Trump von Gegnern und Anhängern so unterschiedlich gesehen wird. Und die Wahrheit war in Washington auch früher oft schon ein gefährdetes Gut. Doch es gab Zeiten, in denen Meinungen durch Fakten zumindest halbwegs in Schach gehalten wurden. Wenn die vergangenen Wochen allerdings eines klargemacht haben, dann dies: Belegbare Tatsachen spielen keine Rolle mehr. Die Wahrheit ist in Amerikas Politik weitgehend bedeutungslos geworden.

Das gilt in erster Linie für die Republikaner. Knapp 20 Zeugen haben im Kongress öffentlich dargelegt, wie Trump die Ukraine dazu zwingen wollte, gegen seinen möglichen Wahlkampfgegner Biden zu ermitteln. In einer Anhörung stritten sich die vorgeladenen Juraprofessoren zwar darüber, ob Trumps Taten tatsächlich für ein Impeachment reichen oder nicht. Aber dass diese Taten stattgefunden haben, sollte eigentlich nicht mehr infrage stehen.

Beweise hin, Zeugen her - viele Abgeordnete der Republikaner folgen Trumps Darstellung

Doch genau das ist der Fall. Beweise hin, Zeugen her - der größte Teil der republikanischen Parlamentarier hat sich Trumps Version der Vorgänge zu eigen gemacht. Danach hat er die Ukraine nie unter Druck gesetzt, damit sie gegen Biden ermittelt. Dass man gar keine komplizierte Beweiskette braucht, um das zu widerlegen, dass man das Gegenteil einfach in dem Protokoll des Telefonats nachlesen kann, in dem Trump seinen ukrainischen Kollegen Wolodimir Selenskij aufforderte, sich "Biden anzusehen", stört dabei weder Trump noch seine eingebunkerten Verteidiger.

Doch auch die Demokraten tun sich mit der Wahrheit zuweilen schwer. Das konnte man Anfang der Woche sehen, als der Generalinspekteur des Justizministeriums seinen Bericht zu den Anfängen der Russland-Ermittlungen gegen Trump vorlegte. Zwar widersprach er darin der im rechten Lager fest verankerten Verschwörungstheorie, wonach der "tiefe Staat" Trump aus politischen Gründen verfolgt hat oder sogar versuchte, gegen ihn zu putschen. Das FBI habe hinreichende Gründe und die Befugnis gehabt, 2016 gegen Trump wegen des Verdachts auf eine illegale Zusammenarbeit mit Moskau zu ermitteln.

Der Untersuchungsbericht zählte allerdings auch so viele gravierende Fehler und Regelverstöße von FBI-Beamten auf, dass Zweifel angebracht sind, ob nicht zumindest Teile dieser Ermittlungen unrechtmäßig waren. Das Urteil von Justizminister William Barr, dass wegen eines sehr "dünnen Verdachts" zuerst gegen den Kandidaten, dann gegen den Präsidenten Trump ermittelt worden sei, ist jedenfalls nicht völlig aus der Luft gegriffen.

Das aber können die Demokraten kaum zugeben. Täten sie es, so zögen sie das in linken Kreise weit verbreitet Bild vom russischen Agenten Trump in Zweifel und dazu noch die Glaubwürdigkeit von Adam Schiff. Der demokratische Abgeordnete hatte Anfang 2018 in einem Memo ausdrücklich einige jener Vorwürfe gegen das FBI bestritten, die der Generalinspekteur nun bestätigt hat.

Schiffs Glaubwürdigkeit aber ist im Moment für die Demokraten kostbar: Der Parlamentarier leitet den Geheimdienstausschuss im Abgeordnetenhaus, jenes Gremium, in dem die Zeugen gegen Trump in der Ukraine-Affäre vernommen wurden. Er verantwortete auch den Ermittlungsbericht, der aus diesen Aussagen destilliert und an den Justizausschuss geschickt wurde. Dieser wiederum hat daraufhin die Anklage gegen Trump formuliert. Einzugestehen, dass sich Schiff bei den RusslandErmittlungen geirrt haben könnte, wäre angesichts der Tatsache, dass dessen Ukraine-Ermittlungen das Fundament für das gesamte Amtsenthebungsverfahren gegen Trump bilden, nicht klug.

Und deshalb ist die Lage, wie sie ist: In den vergangenen Wochen wurden in Washington sehr viele neue und differenzierte Fakten bekannt, die bei Republikanern wie Demokraten zu neuen, differenzierten Ansichten über Trump hätten führen können. Doch beide Seiten sitzen nach wie vor in ihren alten Schützengräben. Nach derzeitigem Stand wird trotz aller Beweise kein einziger republikanischer Parlamentarier das Impeachment gegen Trump unterstützten. Und trotz aller Zweifel hat kein Demokrat bisher eingeräumt, dass das FBI zumindest im Rückblick vielleicht doch etwas übereifrig war beim Überwachen und Abhören von Trumps Wahlkampfberatern. Die Wahrheit? Nicht so wichtig.

Doch wenn die Wahrheit verschwindet, bleibt Verwirrung übrig. Und davon profitiert in den USA stets nur einer: Donald Trump, der Mann mit dem unruhigen Daumen und dem Twitter-Konto, dem 67 Millionen Menschen folgen. Der Präsident sei "der unbestrittene Meister der Verwirrung", schreibt die Washington Post. "Denn wenn Menschen verwirrt sind, hören sie oft einfach auf die lauteste Stimme."

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