Süddeutsche Zeitung

USA:Die Sphinx spricht

Sonderermittler Mueller hat sich zum ersten Mal öffentlich geäußert - doch sein Statement interpretiert jeder anders.

Von Hubert Wetzel, Washington

Robert Mueller trägt in Washington den Beinamen "die Sphinx". Das liegt daran, dass er in den vergangenen zwei Jahren, in denen er die RusslandErmittlungen leitete, kein einziges Mal öffentlich darüber gesprochen hat. Sein Auftritt am Mittwochmittag, in dem der pensionierte FBI-Direktor seine Arbeit für getan erklärte und seine Rückkehr ins Privatleben ankündigte, war daher ein spektakuläres Ereignis. Zehn Minuten Mueller, live, in Farbe und mit Ton.

Allerdings blieb Mueller seinem Ruf als undurchschaubare Sphinx in einem wesentlichen Aspekt treu: Er redete zwar. Aber was er mit seinen Worten gesagt hatte, war danach höchst umstritten.

Für Donald Trump und die Republikaner war die Interpretation klar. Sonderermittler Mueller habe erneut Trumps Unschuld bestätigt, hieß es umgehend. Der Präsident habe weder im Wahlkampf heimlich mit den Russen gekungelt - also nicht "kolludiert", wie die Juristen sagen -, noch später die Ermittlungen der Justiz zu möglichen illegalen Kontakten mit Moskau untergraben.

No collusion, no obstruction - keine Kollusion, keine Justizbehinderung -, das ist das Mantra der Republikaner, seitdem Mueller im März seinen Ermittlungsbericht fertiggestellt hatte. Und dieses Mantra rezitierten die Verbündeten des Präsidenten auch nach Muellers Auftritt am Mittwoch . "Der Fall ist abgeschlossen! Vielen Dank", twitterte Trump.

Das Problem dabei: Es stimmt so nicht. Mueller hat Trump vom Vorwurf der Kollusion zwar weitgehend entlastet, zumindest habe er keine hinreichenden Beweise gefunden, um eine große Verschwörung mit Moskau zu belegen, sagte er am Mittwoch. Was die Justizbehinderung angeht - potenziell eine Straftat -, hat Mueller Trump aber gerade nicht freigesprochen. Im Gegenteil: Sein Bericht führt ein knappes Dutzend Äußerungen und Entscheidungen Trumps auf, die man als Störmanöver in diesem Sinne deuten könnte.

Ein Insider schätzt die Chance für ein Impeachment auf 70 bis 80 Prozent

Aber Mueller lässt eben auch eine breite interpretative Grauzone. So äußerte er den Vorwurf der Justizbehinderung am Mittwoch nicht explizit, womit er Trump erlaubte, weiter seine Unschuld zu beteuern. Implizit tat er es aber durchaus: "Wenn wir uns sicher gewesen wären, dass der Präsident bestimmt keine Straftat begangen hat, dann hätten wir das gesagt", so Mueller. "Wir haben die Entscheidung, ob der Präsident eine Straftat begangen hat, aber nicht getroffen." Einen amtierenden Präsidenten anzuklagen, sei ohnehin unzulässig, führte Mueller weiter aus. Das sei "keine Option" gewesen. Die amerikanische Verfassung sähe einen anderen Weg vor, um einen Präsidenten wegen eines Vergehens zur Rechenschaft zu ziehen.

Das wiederum war das Stichwort für die Demokraten. Sie kamen, wenig überraschend, zu einer völlig anderen Deutung der Mueller-Äußerungen als die Republikaner. Es dauerte keine Stunde, da war die Debatte über ein Amtsenthebungsverfahren gegen Trump wieder voll entbrannt. Mueller, so die Sicht vieler Demokraten, habe Trump nur deswegen nicht wegen Justizbehinderung angeklagt, weil der Präsident eben der Präsident und daher juristisch immun sei. Muellers Verweis auf die Verfassung, die ein Impeachment erlaube, sei jedoch praktisch eine Aufforderung, Trump auf diesem Wege zu bestrafen.

Obwohl Mueller also am Mittwoch inhaltlich nichts gesagt hat, was nicht schon in seinem Bericht stand; und obwohl die Demokraten, wenn sie ehrlich sind, nicht wirklich wissen, ob Muellers zweideutige Aussagen tatsächlich eine verklausulierte Empfehlung für ein Impeachment sein sollten oder nur die unklare Faktenlage widerspiegelten, hat sich die Dynamik in Washington durch den Auftritt geändert.

Bisher gibt es ein Bollwerk gegen ein Impeachment: Nancy Pelosi, die mächtige Anführerin der Demokraten im US-Abgeordnetenhaus, jener Parlamentskammer also, die eine Amtsenthebungsklage erheben müsste. Pelosi hält ein Impeachment für politisch zu riskant. Zum einen zeigen Umfragen, dass die meisten Bürger so ein Spektakel nicht wollen, zum anderen würde der republikanisch beherrschte Senat Trump wohl nicht verurteilen. Über die Anklageerhebung käme das Verfahren daher wahrscheinlich nicht hinaus.

Derzeit hat Pelosi ihre Fraktion noch im Griff. Die Zahl der demokratischen Abgeordneten, die ihr offen widersprechen und ein Impeachment fordern, ist (noch) relativ gering. Aber der Druck steigt, und Muellers Auftritt hat ihn kräftig erhöht. Immerhin hat der Sonderermittler am Mittwoch dargelegt, mit welcher Argumentationskette man ein Amtsenthebungsverfahren begründen könnte - wenn man es denn wollte. Das hat mehrere Präsidentschaftskandidaten der Demokraten, die bisher skeptisch waren, auf Impeachment-Kurs umschwenken lassen. Und auch unter den Demokraten im Abgeordneten wächst die Bereitschaft zu einem dramatischen Angriff auf den verhassten Trump.

Ein demokratischer Insider schätzt daher die Chance, dass es in den nächsten Monaten zu einem Impeachment kommt, auf 70 bis 80 Prozent ein. "Es muss einfach sein", sagt er. "Besser, wir bringen es jetzt hinter uns, anstatt noch ein Jahr darüber zu lamentieren."

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SZ vom 31.05.2019
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