USA:"Die Demokratie hat gesiegt"

USA: Tayte Williams, ein Mitglied des Wahlkollegiums in Kalifornien, hält ihre Stimme für Vize-Präsidentin Kamala Harris hoch.

Tayte Williams, ein Mitglied des Wahlkollegiums in Kalifornien, hält ihre Stimme für Vize-Präsidentin Kamala Harris hoch.

(Foto: Rich Pedroncelli/AP)

Mit der Abstimmung im Electoral College für Joe Biden ist das Ergebnis der US-Wahl nun offiziell, er ist mit 306 Stimmen zum 46. Präsidenten der Vereinigten Staaten gewählt worden. Selbst Mitch McConnell, Mehrheitsführer der Republikaner im Senat, gratulierte nun nach langem Schweigen.

Von Alan Cassidy, Washington

Sie trafen sich in den Landesparlamenten, in Turnhallen und - wegen der Corona-Pandemie - in Videokonferenzen. Die 538 Mitglieder des "Electoral College" kamen am Montag in den 50 US-Bundesstaaten und der Hauptstadt Washington zusammen, um die Stimmen abzugeben, die das Ergebnis der US-Präsidentschaftswahl offiziell machen. Es gibt nun keinen Zweifel mehr: Joe Biden ist mit 306 Stimmen zum 46. Präsidenten der Vereinigten Staaten gewählt worden.

"Im Kampf um die Seele Amerikas hat die Demokratie obsiegt", sagte Biden im Anschluss. In einem normalen Jahr finden die Treffen des Wahlkollegiums kaum Beachtung. Sie stellen bloß den formalen Vollzug der Wahl dar - ein schmuckloses Verfahren, bei dem die Elektoren schriftlich ihr Votum für den Kandidaten abgeben, der die Wahl in ihrem jeweiligen Bundesstaat gewonnen hat. Es war Donald Trump geschuldet, dass der Tag diesmal überhaupt eine so große Bedeutung erhielt. Er kämpft seit Wochen gegen seine Niederlage an, rhetorisch und vor Gericht.

Mit seinen Klagen ist Trump gescheitert, aber es ist ihm gelungen, die meisten führenden Republikaner dazu zu bringen, so zu tun, als wäre die Wahl noch nicht entschieden. Davon kann spätestens jetzt nicht mehr die Rede sein. Biden erhielt 306 Elektorenstimmen, Trump 232 - es ist vorbei.

Trumps Gerede von Wahlbetrug hat Teile seiner Anhängerschaft radikalisiert

"Das Vertrauen in unsere Institutionen hat gehalten. Die Integrität unserer Wahlen bleibt intakt", sagte Biden, als er sich in seinem Wohnort in Delaware an die Amerikaner wandte. Es war das erste Mal seit Längerem, dass sich Biden ausführlich zur Wahl äußerte. Er lobte die lokalen Wahlhelfer und Offiziellen, die in den vergangenen Wochen von Trump beschimpft und von seinen Anhängern mit Gewalt bedroht wurden: "Unsere Demokratie hat dank ihnen überlebt." Auch Biden weiß, dass Trumps Gerede von einem angeblichen systematischen Wahlbetrug Teile von dessen Anhängerschaft radikalisiert hat. Das führte dazu, dass sich die Elektoren in mehreren Bundesstaaten nur unter verschärften Sicherheitsvorkehrungen treffen konnten, weil es auch gegen sie Drohungen gegeben hatte.

Biden wies in seiner Rede darauf hin, dass Trump jede erdenkliche Möglichkeit genutzt habe, das Wahlresultat gerichtlich anzufechten - und dabei Dutzende Male gescheitert ist. Und er kritisierte den Amtsinhaber scharf: Die anhaltenden Angriffe auf die Wahl seien "skrupellos". Das Land müsse nun zusammenkommen, forderte der Demokrat: "Es ist Zeit, das nächste Kapitel aufzuschlagen."

Es gibt Anzeichen dafür, dass dies tatsächlich geschehen könnte. Senator Mike Braun, ein treuer Unterstützer Trumps, bezeichnete die Abstimmung des Electoral College als "Wendepunkt" und rief dazu auf, nun den Prozess zu respektieren, der über den Ausgang der Präsidentschaftswahl entscheide - was man als Kritik am Präsidenten lesen konnte.

Auch Senator Lindsey Graham, einer von Trumps eifrigsten Verteidigern, räumte gegenüber Journalisten erstmals ein, dass Biden der nächste Präsident werde. Und am Dienstag rang sich schließlich Mitch McConnell, der republikanische Mehrheitsführer im Senat, nach wochenlangem Schweigen zu einer Gratulation an die Adresse Bidens durch. "Das Electoral College hat gesprochen", sagte McConnell im Senat.

Der abgewählte Präsident wirft seinem Justizminister vor, ihn im Stich gelassen zu haben

Die kommenden Tage werden zeigen, ob sich solche Stimmen bei den Republikanern mehren oder ob sie die Ausnahme bleiben. Für Trump ist die Wahl jedenfalls immer noch nicht vorbei, und es war wohl auch kein Zufall, dass der Präsident ausgerechnet am Montagabend bekannt gab, dass sein Justizminister William Barr noch vor Weihnachten zurücktreten werde - ganz so, als wolle Trump von der Bestätigung von Bidens Sieg durch das Electoral College ablenken.

Über einen vorzeitigen Abgang Barrs war in den US-Medien schon seit einiger Zeit spekuliert worden. Trump ist nach diesen Berichten verärgert darüber, dass der Justizminister in einem Interview erklärt hat, dass er keine Anzeichen für einen umfassenden Wahlbetrug gesehen habe. Zudem wirft der Präsident Barr vor, ihn ihm Stich gelassen zu haben, weil er schon vor der Wahl über die laufenden Ermittlungen des FBI gegen Bidens Sohn Hunter Biden wusste - diese aber bis nach der Wahl geheim hielt.

Barr habe Trump verraten, schimpfen konservativen Medien deshalb seit Tagen. Biden wird es egal sein. Er will womöglich noch diese Woche bekannt geben, wen er nach seinem Amtsantritt am 20. Januar zum Justizminister ernennen will. Auch wenn es Trump noch nicht einsieht, auch wenn er und seine Verbündeten am 6. Januar im Kongress noch ein letztes, aussichtsloses Manöver planen, um Trumps Niederlage noch irgendwie abzuwenden: Trumps Zeit im Weißen Haus ist bald zu Ende.

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