USA: Demokraten und Republikaner im Schuldenstreit:Die verfeindeten Staaten von Amerika

Sie wollen "die da in Washington" aufmischen, Obamas "Marsch in den Sozialismus" stoppen - sie wollen weniger Staat, weniger Steuern, weniger Schulden. Der ungekannt erbitterte Kampf konservativer Hardliner gegen das linksliberale Lager des Präsidenten dreht sich um mehr als ein Kreditlimit, er macht endgültig klar: Das Land ist tief gespalten.

Christian Wernicke, Washington

Diane Black weiß genau, wer schuld ist an dem Schlamassel. "Der Präsident hat keinen Plan, er führt nicht", beklagt die republikanische Kongressabgeordnete in jenem süßlichen Singsang, der typisch ist für die Melodie von Amerikas Süden.

Capitol Hill

US-Kongress: Erbitterter Kampf

(Foto: dpa)

Diane Black, eine 60-jährige Großmutter aus Gallatin, einem Vorort von Nashville in Tennessee, muss nach Luft ringen, wann immer sie auf Barack Obama zu sprechen kommt: "Das einzige, was wir von ihm hören ist, dass er die Steuern erhöhen will", empört sich die pummelige Frau im feuerroten Kostüm. Es sei "eine Schande", wie das Staatsoberhaupt die nahende Staatspleite an die Wand male und unschuldige Rentner verängstige: "Er will uns einschüchtern", poltert Black bei Fox-TV, dem Leitmedium der US-Rechten, "aber an wem läge es denn, falls die Schecks ausblieben? Am Präsidenten!"

Ja, dieser Obama ist ein Unglück für die Nation. Davon ist Diane Black, die Tea-Party-Aktivistin, überzeugt. Daheim in Tennessee genießt sie Respekt, als Krankenschwester und als Gattin eines Unternehmers, der es mit forensischer Hochtechnologie zum Multimillionär brachte. In Washington jedoch ist die Frau mit den blondierten Locken und der steten Perlenkette um den Hals ein neues Gesicht: Black gehört zu jenen 87 republikanischen Frischlingen, die bei der Kongresswahl im vergangenen November von der Welle der Anti-Obama-Proteste ins Parlament getragen wurden.

"Zu viele und zu faule Kompromisse" mit den Demokraten

Dort hat sie sich dem Tea-Party-Caucus angeschlossenen, einem Club erzkonservativer Hardliner, die "die da in Washington" aufmischen wollen: Obamas angeblichen "Marsch in den Sozialismus" wollen sie stoppen und dem eigenen Establishment die Neigung austreiben, "zu viele und zu faule Kompromisse" mit den Demokraten zu machen.

Diane Black verkörpert den Trend - den schrillen Rechtsruck in Washington, aber ebenso den leisen, steten Umbruch draußen im Land. Denn es ist kein Zufall, dass diese Republikanerin Tennessees Wahlkreis Nummer 6 eroberte: Ihr Distrikt umfasst all die neuen, boomenden Suburbs im Norden und Westen von Nashville, wohin in den vergangenen 15 bis 20 Jahren die Besserverdienenden aus Nashville zogen, wo die Besser-Gebildeten ihre Reihenhäuser und Bungalows bauten, wo neun von zehn Nachbarn Weiße sind, die ihre Kinder auf bessere Schulen schicken und häufiger als anderswo zur Kirche gehen. Früher wählte man hier demokratisch, aber das hat sich geändert: Bei der Präsidentschaftswahl 2000 lagen Links und Rechts erstmals gleichauf (mit jeweils 49 Prozent), 2004 gewann George W. Bush dann bereits mit 20 Prozentpunkten Vorsprung, und selbst bei der Obama-Wahl 2008 legten die Republikaner noch zu (62 Prozent).

Amerika sortiert sich. Die Nation verkommt immer mehr zu einem Flickenteppich, in dem Gleichgesinnte unter sich bleiben und der politisch jeweils Andersdenkende in fremden, kilometerweit entfernten Vierteln und Subkulturen lebt. "Die Vereinigten Staaten entwickeln sich zu einem Land politischer Segregation", schreibt der Sozialwissenschaftler Bill Bishop, "wir werden zu einem Land von politischen Stämmen, die sich immer weniger begegnen und deshalb immer hemmungsloser bekämpfen."

Der Kulturkampf, der Washington lähmt

Noch 1976 wohnte nur jeder vierte US-Bürger in einem County, das von einer Partei dominiert und regelmäßig mit 20 Prozentpunkten Vorsprung gewonnen wurde. Die Obama-Wahl 2008 ergab: Nun lebt fast die Hälfte des Volkes (47,6 Prozent) in Gegenden, die solche Erdrutsch-Siege produzieren. Der Kulturkampf, der regelmäßig den Kongress in Washington lähmt, wurzelt in dieser Spaltung.

Auch bei Diane Black daheim in Tennessee war voriges Jahr die Wahl längst vor dem Wahltag entschieden. Zwar hatte ein altgedienter, populärer Demokrat den Distrikt lange gegen den Trend verteidigen können - aber als der Haudegen 2010 amtsmüde aufgab, wusste Black: Wer im Frühjahr die parteiinterne Vorwahl gewinnt, ist im Herbst sicherer Sieger. In der Primary setzte sie sich mit weniger als 300 Stimmen gegen eine erzkonservative Konkurrentin durch, die sitzt ihr bis heute im Nacken. Die Kongresswahl hingegen war ein Spaziergang: Sieg mit 72.000 Stimmen Vorsprung.

Also macht Diane Black im Schuldenstreit keine Kompromisse: Würde sie von der Tea Party beim vermeintlichen Verrat ertappt, drohte der Aufstand der Basis. Diese Menschen hat sie vor Augen, wenn sie sagt, sie wolle "unser Land zurückerobern von Obama". Oder wenn sie vom "amerikanischen Volk" und dessen Sehnsucht nach weniger Steuern, weniger Schulden und weniger Staat redet.

Die Obama-Anhänger: Ein anderes Volk und eine völlig andere Welt

Vom Volk und dessen Willen spricht auch Keith Ellison. Nur hat dieser Afro-Amerikaner, gläubige Muslim und Vorsitzende des "Progressive Caucus", also des entschieden linken Fraktionsflügels der Demokraten, ein anderes Volk und eine völlig andere Welt vor Augen. Ellison stammt aus Minneapolis, einer jener gesegneten US-Städte, die mit Hightech-Jobs viele junge, hoch qualifizierte und meist linksliberale Menschen anziehen. Auch dort sortiert sich Amerika neu: Konservative ziehen in die Suburbs, dort legen die Republikaner zu. In Ellisons Wahlkreis hingegen dominiert die typische Obama-Koalition: gebildete Weiße, überdurchschnittlich viele Schwarze und Latinos, Singles und Schwule.

Auf Ellison kommen harte Zeiten zu. Vorige Woche erst hatte er ein linkes Manifest verbreitet, das die Schuldenkrise mit drakonischen Steuersätzen für Millionäre und Kürzungen im Militärbudget lösen wollte. Seit Sonntag nun überwältigt ihn die Kompromissfreude seines Präsidenten: Nach dem Spar-Deal mit den Republikanern könnte er nächstes Jahr gestürzt werden - von einem Rebellen aus den eigenen Reihen, der dann radikaler denn je die Linie halten würde in Washington.

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