Süddeutsche Zeitung

US-Demokraten:Nancy Pelosi: erfolgreiches Hassobjekt

Kaum jemandem verdanken die US-Demokraten so viel wie Nancy Pelosi. Warum also wollen Parteikollegen sie loswerden?

Von Thorsten Denkler, New York

Brendan Kelly spricht in seinem 30-Sekunden-Wahlwerbespot nichts aus, was irgendwie kontrovers wäre. Er läuft den Mittelgang einer Kirche ab, spricht über das geteilte Land, den schwindenden Glauben. Und wie er das alles zum Guten ändern will, sollte er in den Zwischenwahlen Anfang November seinen Wahlkreis in Illinois gewinnen. So weit, so unspektakulär. Dann aber wird eine weiße Schrift eingeblendet. Und der Satz, der erscheint, spiegelt den Machtkampf zwischen den US-Demokraten wieder. Er, Brendan Kelly, werde Nancy Pelosi nicht für eine weitere Amtszeit als Chefin der Demokraten im Repräsentantenhaus unterstützen.

Kelly ist nicht der Einzige in der Partei, der derart offensiv in Opposition zu Pelosi geht. Dutzende andere Kandidaten haben sich festgelegt, Pelosi nicht zu wählen, sollte sie - wie von ihr angekündigt - noch einmal versuchen, die Demokraten im House führen zu wollen. Das Online-Magazin Vox zählt Anfang August 42 Kandidaten, die Pelosi nicht unterstützen wollen. Die Zahl habe sich seit Juli verdoppelt. Pelosi wird von manchen Parteifreunden behandelt wie ein Giftpilz, der sich plötzlich aus dem feuchten Waldboden erhebt.

Fast alle demokratischen Kandidaten müssen sich inzwischen die Frage gefallen lassen, wie sie es mit Pelosi halten. Geben sie sich als Unterstützer zu erkennen, lassen die Republikaner ihre Wahlkampfmaschine auf sie los. In einem Video-Spot gegen den demokratischen Kandidaten Paul Davis aus Kansas heißt es etwa: "Jede Stimme für Paul Davis ist eine Stimme für Nancy Pelosi." Dazu Musik und Bilder, als stünde mit Pelosi die Welt am Abgrund. Natürlich mischt auch Präsident Donald Trump mit. In einem Tweet etwa fleht er die Demokraten Anfang August an, an Pelosi festzuhalten. Die habe "jedes Recht, die Demokratische Partei zu zerstören". Das ist wohl Trump'scher Humor.

Es scheint, als wäre Pelosi die Personifizierung des Bösen schlechthin, schlimmer als Trump selbst. Dabei ist ihr kaum etwas vorzuwerfen. Sie ist weitgehend frei von Skandalen. Und gilt, von Präsidenten abgesehen, als eine der erfolgreichsten, mächtigsten und einflussreichsten Politiker des Landes. Eine ihrer großen Gaben ist es, Spenden für die Demokraten zu sammeln. Mitte August verkündete sie einen neuen Einnahme-Rekord: Im laufenden Wahlkampf zu den Zwischenwahlen seien bereits 191 Millionen Dollar zusammengekommen. 57 Millionen Dollar mehr als zum gleichen Zeitpunkt vor der Wahl 2016. Und das war ein Präsidentschaftswahljahr. Pelosi alleine hat von den 191 Millionen Dollar die Hälfte eingetrieben. So erfolgreich ist kein anderer Demokrat.

Nancy Pelosi, 78 Jahre alt, sitzt seit 1987 im Repräsentantenhaus. Sie hält einen Wahlkreis in Kalifornien, der seit 1949 nicht mehr an einen Republikaner ging. Seit 2003 führt sie die Demokraten im Repräsentantenhaus. Pelosi wurde mit ihrer Amtseinführung die erste Frau, die erste Kalifornierin und die erste Italo-Amerikanerin, die den Titel Speaker of the United States House of Representatives tragen konnte. Eine Rolle, die traditionell der stärksten Partei zukommt. Der Speaker ist das dritthöchste Amt in den USA nach Präsident und Vizepräsident.

Zusammen mit Chuck Schumer, der den Demokraten im Senat vorsteht, führen beide quasi die Partei. Es gibt zwar einen Parteichef. Aber der ist in seiner Rolle kaum mehr als ein Geschäftsführer.

Pelosi war von Beginn an so umstritten wie erfolgreich. Die Abgeordneten sind in den USA deutlich unabhängiger als etwa in Deutschland. Eine Art Fraktionsdisziplin gibt es nicht. Unter Pelosi aber zeigen sich die Demokraten im House so geeint wie kaum zuvor.

Zu ihren unbestrittenen Verdiensten gehört aus demokratischer Sicht, dass sie die Reform der Sozialversicherung von Präsident George W. Bush verhindert hat. Alle Versuche der Republikaner, nötige Stimmen aus den Reihen der Demokraten zu bekommen, schlugen dank Pelosis Einfluss fehl.

Sie hat auch gegen Widerstand in den eigenen Reihen die Gesundheitsreform von Präsident Barack Obama im House durchgesetzt. Genauso wie Obamas milliardenschweres Investitionsprogramm, mit dem die USA halbwegs glimpflich die Finanzkrise überstanden. Das Programm gilt heute als das Fundament für die wiedererstarkte US-Wirtschaft.

Für den Wirtschafts-Nobelpreisträger Paul Krugman sticht Pelosi deshalb unter allen jüngeren Sprechern des Repräsentantenhauses "heraus wie ein Riese unter Zwergen", schreibt er Mitte August in der New York Times. Sie sei seit vielen Jahren die "bei weitem großartigste Sprecherin".

Was die Frage aufwirft: Warum steht Pelosi derart in der Kritik?

Gründe könnten ihr Alter und die lange Amtszeit sein. Viele ihrer Kritiker fordern ein "frisches Gesicht". Problematischer aber scheint die seit Jahren anhaltende Dauerkampagne der Republikaner gegen Pelosi zu sein. Sie sei zu links, zu liberal, zu was auch immer, wird ihr vorgeworfen - ein Sicherheitsrisiko für die USA.

Die Republikaner sagen ihr nach, Trump vorzeitig aus dem Amt jagen zu wollen

Derzeit basteln die Republikaner an dieser Erzählung: Sollten die Demokraten die Zwischenwahlen gewinnen, dann werde Pelosi umgehend die Amtsenthebung von Donald Trump angehen.

Pelosi hat das mehrfach verneint, sie hält ein Impeachment-Verfahren oder auch nur die Drohung damit für gefährlich. Kürzlich warnte sie die demokratischen Kandidaten in einem Brief davor, sich an Impeachment-Debatten zu beteiligen. Wechselwähler könnten sich abgeschreckt fühlen. Und in vielen Wahlkreisen werden im November wenige Hundert bis Tausend Stimmen darüber entscheiden, ob ein Republikaner oder ein Demokrat gewinnt.

Pelosi hatte schon einmal die Chance, ein Impeachment anzustrengen. Und zwar gegen George W. Bush, weil dieser der Öffentlichkeit offensichtlich falsche Gründe für den Irakkrieg geliefert hatte. Pelosi aber blieb schon damals standhaft: Ein solches Verfahren schade nur der eigenen Partei.

Gerade macht eine Liste die Runde, auf der einige Dutzend Themen stehen, die die Demokraten nach einem Wahlsieg angeblich untersuchen lassen wollen. Die Liste reicht von Fragen, warum Trump den früheren FBI-Chef James Comey entlassen hat, über Trumps Geschäfte, bis zu seinem Liebesleben. Die rechte News-Seite Breitbart titelt dazu, "Nancy Pelosi will die Präsidentschaft von Trump mit mehr als 100 Untersuchungen zerstören". Die Liste stammt allerdings zum einen aus republikanischer Feder. Zum anderen haben die Demokraten im House die Anfragen zu den einzelnen Themen längst gestellt. Sie wurden aber bisher von den Republikanern blockiert. Dafür wiederum kann Pelosi nichts.

Die demokratische Abgeordnete Kathleen Rice aus New York bringt das Problem auf den Punkt: Die Republikaner hätten sich in den vergangenen Jahren stark darauf konzentriert, Pelosi zu attackieren. "Ist das fair? Nein. Haben die Attacken Substanz? Nein. Aber du wirst es nicht glauben, sie funktionieren."

Nicht alle glauben, dass es nur dieser Kreislauf ist: Die Republikaner schießen sich auf Pelosi ein, die wird immer unbeliebter, damit zu einem Problem für die Demokraten, von denen sich dann reihenweise Kandidaten von Pelosi distanzieren. Was den Republikaner wieder Gründe liefert, noch mehr auf Pelosi einzuprügeln.

Paul Krugman sieht Pelosis größtes Problem darin, dass sie eine Frau ist. Ähnlich interpretiert es im April das politische Magazin The Atlantic: "Warum ist die Unzufriedenheit mit einer Frau so groß, die bewiesen hat, dass sie ihren Job gut macht?", fragt Autor Peter Beinart. "Vielleicht, weil die Demokraten glauben, dass ihre Unbeliebtheit die Chance untergräbt, die Mehrheit im House zurückzugewinnen. Und warum ist sie so unpopulär? Weil mächtige Politikerinnen das in der Regel sind." Darin liege die Tragödie, schreibt Beinart. Pelosi mache ihren Job mindestens so gut wie jeder andere. "Aber weil sie eine Frau ist, macht sie ihn womöglich nicht gut genug." Ihr anhaltender Erfolg, ihre Macht und ihre Kontrolle über Männer habe sie zu einer Gefahr werden lassen.

Pelosi lässt sich den Druck nicht anmerken. Sie lebt damit ja schon lange. Kürzlich sagte sie, sie werden jeden demokratischen Kandidaten nach Kräften unterstützen, egal ob der sie unterstützt oder nicht. Ihre schlichte wie entwaffnende Antwort: "Wir wollen die Zwischenwahl gewinnen. So einfach ist das."

Pelosis Chancen stehen gar nicht schlecht, trotz des Widerstandes erneut für den Vorsitz der Demokraten im House nominiert zu werden. Ewig aber wird auch sie nicht im Amt blieben. Sie wird bald 80, merkt der Historiker Thomas Mann an. Es sei offensichtlich, dass sie in naher Zukunft das Amt verlassen werde. Sie wolle nur nicht aus dem Amt gejagt werden, sagt Mann. Angesichts ihrer Erfolge und Verdienste sei das wohl verständlich.

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