US-Demokraten:Bitte links abbiegen

US-Demokraten: Reklamieren den Wahlsieg für den progressiven Flügel der Partei: die linke Kongressabgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez (zweite von links) und ihre Mitstreiterinnen, die Abgeordneten Ilhan Abdullahi Omar, Rashida Tlaib und Ayanna Pressley (von links).

Reklamieren den Wahlsieg für den progressiven Flügel der Partei: die linke Kongressabgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez (zweite von links) und ihre Mitstreiterinnen, die Abgeordneten Ilhan Abdullahi Omar, Rashida Tlaib und Ayanna Pressley (von links).

(Foto: BRENDAN SMIALOWSKI/AFP)

Kaum dass der Sieg von Joe Biden feststeht, brechen bei den Demokraten die alten Flügelkämpfe wieder aus - zumal es nicht nur um Positionen, sondern auch um Posten geht.

Von Hubert Wetzel, Washington

Die Demokraten sind für ihre Freude an innerparteilichen Debatten berühmt. Das setzt sie einerseits wohltuend von den Republikanern ab, die zu einer dummtreuen Trump-Partei geworden sind. Andererseits diskutieren die Demokraten aber zuweilen mit einer solchen Leidenschaft, dass ein Außenstehender den Eindruck gewinnen könnte, die Partei sei in Wahrheit tief zerstritten.

Eine solche Situation bahnt sich in der Partei derzeit an. Die Demokraten haben gerade das Weiße Haus zurückerobert, sie haben ihre Mehrheit im Abgeordnetenhaus verteidigt, und sie haben zumindest eine rechnerische Chance, im Januar durch Siege bei zwei Senatswahlen in Georgia auch die Macht in dieser Parlamentskammer zu übernehmen. Trotz all dieser guten Nachrichten gibt es Parteikreise, die jetzt lieber darüber reden, welchen Kurs die Demokraten künftig steuern sollen. Sollen sie eine gemäßigte, moderat-sozialdemokratische Partei sein oder eine dezidiert linke, eher demokratisch-sozialistische Partei?

Das ist ein alter Streit, der bereits den Vorwahlkampf der Partei beherrscht hat. Dort standen sich die Mitte-Kandidaten (darunter Joe Biden, Kamala Harris, Pete Buttigieg und einige andere) sowie die Links-Kandidaten (Elizabeth Warren und Bernie Sanders) gegenüber. Einer der größten Streitpunkt war zu jener Zeit die Frage, welcher Weg der richtige sei, um allen Amerikanern eine Krankenversicherung zu verschaffen.

Alexandria Ocasio-Cortez schlägt bereits in Interviews Pflöcke ein

Biden hat sich damals als Kandidat durchgesetzt, doch der Streit wurde nur für einige Monate auf Eis gelegt. Die Parteilinke sah ein, dass nur eine geschlossene Partei den gemeinsamen Feind Donald Trump besiegen könne. Abgesehen von einigen ehemaligen Sanders-Leuten, die weiter gegen Biden stichelten, scharten sich deswegen praktisch alle Demokraten hinter Biden und Harris. Auch Bernie Sanders beschwor seine Anhänger, Biden zu helfen, um Trump endlich loszuwerden.

Doch jetzt, nachdem Trump besiegt ist, bricht dieser Richtungsstreit wieder auf. Angeführt wird die Parteilinke jetzt von Alexandria Ocasio-Cortez, die wegen ihrer Initialen AOC genannt wird. Die junge Abgeordnete aus New York ist in den vergangenen zwei Jahren zur prominentesten Vertreterin des "progressiven" Flügels der Demokraten geworden und lag in einer Art Dauerclinch mit der demokratischen Vorsitzenden des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi. Von Biden hat Ocasio-Cortez nie viel gehalten und das die Welt auch immer wissen lassen. Bidens Team revanchierte sich für diese mangelnde Treue dadurch, dass AOC beim Wahlparteitag der Partei im Sommer nur eineinhalb Minuten Redezeit bekam. John Kasich, der ehemalige republikanische Gouverneur von Ohio, der Biden unterstützt, durfte deutlich länger sprechen.

In Interviews schlägt Ocasio-Cortez derzeit jede Menge Pflöcke ein, um die Partei nach links zu rücken - dorthin, wo sie die politischen Mehrheiten der Zukunft sieht. Sie fordert eine staatliche Krankenversicherung, einen klimafreundlichen Umbau der Wirtschaft, einen entschiedenen Kampf gegen Rassismus in der Gesellschaft. Den Versuch, durch gemäßigte Positionen bei diesen Themen konservative weiße Wähler zurückzugewinnen, hält sie für aussichtslos.

So, wie AOC es sieht, hat Biden gewonnen, weil junge, linke Parteiaktivisten überall im Land neue progressive Wähler an die Urnen gebracht haben. Zu riskieren, dass diese Aktivisten und Wähler nun durch einen moderaten Kurs wieder verprellt werden, sei schlicht dumm, sagte Ocasio-Cortez der New York Times: "Wenn die Partei das Signal sendet, dass es die konservativen Mitte-Demokraten gewesen seien, die diese Wahl gewonnen haben, nachdem Biden in Detroit 94 Prozent bekommen hat, nachdem schwarze Organisatoren die Wahlbeteiligung in Georgia verdoppelt und verdreifacht haben, nachdem so viele Menschen in Philadelphia geackert haben - ich finde nicht einmal ein Wort, um zu sagen, wie gefährlich das wäre."

Andere Demokraten sehen das ganz anders. Die Abgeordnete Abigail Spanberger zum Beispiel, die vor zwei Jahren einen ehemals republikanischen Wahlkreis in Virginia erobert hat und diesen jetzt nur knapp verteidigen konnte, wurde vor einigen Tagen bei einer Telefonkonferenz der Fraktion laut. Das Gerede des linken Flügels über "Sozialismus" und darüber, dass man der Polizei die Mittel streichen müsse, habe ihr enorm geschadet, schimpfte sie. "Das hätte mich fast die Wiederwahl gekostet." Dabei gehört Spanberger, eine frühere CIA-Agentin, zu den Glücklichen - mehrere andere Demokratinnen, die 2018 ins Abgeordnetenhaus gewählt wurden, weil sie Republikaner besiegen konnten, haben ihre Sitze am Dienstag wieder verloren.

Ocasio-Cortez hat auf diese Kritik recht kühl reagiert. Sie habe sich die Wahlkämpfe der Verliererinnen angesehen, sagte sie. Diese hätten schlicht zu wenig Geld in ihre Internet-Wahlkämpfe investiert. Wer in der letzten Woche vor dem Wahltag nur 2000 statt 20 000 Dollar in Facebook-Werbung stecke, müsse sich nicht wundern, wenn er von negativen republikanischen Werbespots überrollt werde und verliere. Da ist etwas dran. Es waren vor allem die Republikaner, die darüber geredet haben, dass die Demokraten "Sozialisten" sind, weniger die Demokraten selbst.

Kandidaten der Mitte hatten es schwer bei dieser Wahl

Aber es gibt eben auch einen fundamentalen, politischen Unterschied zwischen den Parlamentarierinnen Spanberger und Ocasio-Cortez. Und dieser Unterschied hat direkte Folgen für den Kurs, den die Partei ihrer Ansicht nach steuern sollte: Ocasio-Cortez vertritt einen New Yorker Wahlkreis, der fest in demokratischer Hand ist. Sie muss sich keine Sorgen um einen republikanischen Gegner machen - der ist praktisch chancenlos. Ihr wichtigster Wahlsieg war, als sie im Juni 2018 in der parteiinternen Vorwahl den damaligen Inhaber ihres Sitzes schlug, einen gemäßigten Demokraten. AOC kann deswegen ohne großes Risiko Positionen vertreten, die politisch weit links liegen.

Spanberger dagegen hat im November 2018 einen republikanischen Abgeordneten besiegt. Ihr Wahlkreis in Virginia ist sehr viel konservativer als der von Ocasio-Cortez, die Mehrheit wird hier in der Mitte gewonnen, nicht am linken Rand. Für Spanberger gibt es keinerlei Garantie, dass die Wähler in ihrem Bezirk nicht wieder für einen Republikaner stimmen, wenn sie als zu links gesehen wird. 2020 wäre das fast passiert. Und je weiter die Partei nach links rutscht, desto schwieriger wird es für Abgeordnete wie Spanberger, ihrer Position in der Mitte und ihr Mandat zu halten.

Dieser Grundkonflikt zieht sich durch die Partei und ihr Programm. Und er wird auch die Personalauswahl beeinflussen. Biden hat noch keine Personalien verkündet, aber die Spekulationen drehen sich um Namen, die der Parteilinken nicht gefallen. So drängt der linke Flügel darauf, im künftigen Biden-Kabinett prominent vertreten zu sein. Die Progressiven fordern das Finanzministerium für die Senatorin Elizabeth Warren, eine harsche Kritikerin der Wall Street, und das Arbeitsministerium für Bernie Sanders, den Senator aus Vermont, der sich selbst einen "demokratischen Sozialisten" nennt.

Der Mitte-Flügel würde das gerne vermeiden. Warren und Sanders einfach zu übergehen, wäre allerdings ein massiver Affront. Es wird daher in diesen Kreisen überlegt, einfach zu sagen, man werde keine amtierenden Senatoren für Ministerposten in Erwägung ziehen. Das ist freilich ein ziemlich durchsichtiges Manöver.

Und gelegentlich gibt es auch Debattenbeiträge aus dem linken Lager, die ratlos machen. "Wir sind begeistert, dass Donald Trump aus dem Amt entfernt worden ist", lautete ein Tweet aus dieser Ecke am Wochenende. "Wir sind NICHT begeistert von einer Biden-Harris-Präsidentschaft, nicht als sozial-progressive Latino-Organisation und schon gar nicht als Organisation, die das Recht auf freien Waffenbesitz verteidigt." Absender war die Latino Rifle Association.

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