Süddeutsche Zeitung

Coronavirus in den USA:Biden stellt Grillpartys zum 4. Juli in Aussicht

In einer optimistischen Rede erklärt der US-Präsident sein ambitioniertes Impfziel. Praktisch jeder, der eine Spritze setzen kann, soll nun helfen - sogar Veterinäre.

Von Hubert Wetzel, Washington

Für die Amerikaner war der Tag, an dem die Corona-Pandemie ernst wurde, der 11. März 2020. Am Morgen jenes Mittwochs brach wegen der Angst vor dem Virus die Börse ein, am Nachmittag wurde wegen erster Infektionen von Spielern die Basketball-Saison abgesagt. Am Abend hielt dann der damalige Präsident Donald Trump eine Rede an die verwirrte Nation, in der er ankündigte, dass der Reiseverkehr zwischen den USA und Europa praktisch eingestellt wird.

Zwischendurch meldete sich über Instagram auch noch Amerikas Lieblingsschauspieler Tom Hanks zu Wort, um die Welt wissen zu lassen, dass er und seine Frau sich mit dem neuen Virus infiziert hätten. Und das Land fragte sich, wer überhaupt noch sicher ist, wenn sogar Forrest Gump sich anstecken kann.

Genau ein Jahr später, am 11. März 2021, hielt der US-Präsident wieder eine Rede an die Nation. Doch dieses Mal war es nicht Donald Trump, sondern Joe Biden. Und die Botschaft, die er am Donnerstagabend mitzuteilen hatte, war dezidiert optimistischer. Die USA, so Biden, seien auf gutem Weg, die Pandemie einzudämmen und das Virus zu bezwingen. Wenn alles gut gehe, könnten die Amerikaner bereits am 4. Juli, dem Unabhängigkeitstag, wieder mit ihrer Familie und Freunden im Garten grillen - nicht in großen Gruppen, aber zumindest in kleinen. "Wir können dann nicht nur die Unabhängigkeit unseres Landes feiern, sondern auch unsere Unabhängigkeit von diesem Virus", sagte Biden.

Independence Day, der Nationalfeiertag, war das eine hoffnungsvolle Datum, das Biden in seiner Rede nannte. Das andere war der 1. Mai. Bis dahin, so forderte der Präsident, müssten sämtliche erwachsenen Bürger in allen Bundesstaaten berechtigt sein, eine Impfung zu bekommen. Derzeit sind die Unterschiede noch groß, in manchen Staaten dürfen praktisch alle Menschen einen Impftermin abmachen, in anderen wird noch streng nach Alter und Beruf sortiert.

Täglich werden mehr als zwei Millionen Menschen geimpft

Damit, so lautet die Anweisung des Präsidenten, müsse bis spätestens 1. Mai Schluss sein. "Das bedeutet nicht, dass bis zu dem Tag alle Bürger geimpft sind", stellte Biden klar. Doch die US-Regierung habe genügend Impfstoffdosen angekauft, um damit dann bis Ende Mai alle Erwachsenen im Land zu impfen - deutlich früher als bisher geplant.

Das ist ein ehrgeiziges, aber kein illusorisches Ziel. In den Vereinigten Staaten werden derzeit bereits mehr als zwei Millionen Menschen pro Tag geimpft. Nach Angaben des Weißen Hauses haben mittlerweile 25 Prozent aller Erwachsenen eine erste Impfdosis bekommen, um die 13 Prozent sind durchgeimpft. Bei den Menschen, die älter als 65 oder 75 sind, liegt der Anteil der Geimpften um das Drei- bis Vierfache höher.

Biden referierte diese Zahlen am Dienstag mit offensichtlichem Stolz. Er erwähnte auch ausdrücklich, dass es seit seiner Vereidigung am 20. Januar nur 50 Tage gedauert habe, diese Zahlen zu erreichen. Er kritisierte seinen Vorgänger Trump zwar nicht namentlich, aber er machte auch keinen Hehl aus seiner Meinung, dass dieser die Pandemie und deren Folgen ignoriert habe. Die ersten Monate seien von "Schweigen und Verdrängen" geprägt gewesen, so Biden. Er habe nun das Land in den "Kriegszustand" versetzt, um das Virus mit allen Mitteln zu bekämpfen.

Um den Rest der Bevölkerung möglichst schnell zu impfen, werde die US-Regierung "Tausende" zusätzliche Helfer in die Impfkampagne einbinden, kündigte Biden an. Bereits jetzt helfen 2000 Soldaten bei den Impfungen, 4000 weitere sollen hinzukommen. Darüber hinaus wird praktisch jeder und jede, der oder die einmal gelernt hat, eine Spritze in einen Oberarm zu stechen, die Befugnis erhalten, Corona-Impfungen durchzuführen: Zahn- und Augenärzte, Arzthelfer, Hebammen, Sanitäter, sogar Veterinäre. Ob Mensch oder Tier - Spritze ist Spritze.

Zudem sollen weitere Impfzentren aufgebaut, mobile Impfteams losgeschickt und die Apotheken stärker einbezogen werden. Diese sind für die Gesundheitsversorgung in den USA besonders wichtig. Die meisten großen Supermarktketten wie Walmart haben eigene Apothekenabteilungen, die zum Beispiel Grippeimpfungen anbieten. Über diese Infrastruktur können Millionen Bürger in abgelegenen, ländlichen Gegenden erreicht werden, in denen es oft nicht einmal eine Klinik gibt.

Das war der Ausblick, den Biden seinen Landsleuten bot: Es könne auch wieder schlimmer werden, warnte er. Aber wenn alle sich impfen ließen, wenn alle vorerst weiter Abstand hielten und vor allem einen Mundschutz trügen, sei ein Ende der Pandemie in Sicht.

Ein Stück Papier mit einer Zahl: 527 726

Biden wäre allerdings nicht Biden, wenn er in seiner Rede nicht auch einen Blick zurück geworfen hätte auf das Elend, die Trauer und den Schmerz, den das Virus über die Amerikaner gebracht hat. Wenn es eine Charaktereigenschaft gibt, die Joe Biden prägt, dann ist es Empathie. Der Präsident hat seine erste Frau, eine Tochter und einen Sohn verloren, er weiß, was das bedeutet und wie weh es tut. Und so holte Biden, während er sprach, aus seinem Jackett ein Stück Papier und las eine Zahl vor: 527 726. Das ist die Anzahl der US-Amerikaner, die bis zum 11. März 2021 am Coronavirus gestorben sind - "mehr als im Ersten und Zweiten Weltkrieg, in Vietnam und an 9/11 zusammen", so Biden.

Der Präsident hat diese aktuelle Todeszahl immer bei sich, sie wird täglich neu auf die Rückseite seiner Terminübersicht geschrieben. Für Biden ist es eine Erinnerung daran, was seine wichtigste Aufgabe ist: seine Landsleute zu schützen und das Virus zu besiegen.

"Wir haben viele Leben verloren", sagte Biden, "und wir haben viel vom Leben verloren." Ausgefallene Geburtstage und Hochzeiten, Großeltern, die ihre Enkel nicht umarmen durften, Kinder, die nicht zur Schule gehen oder ihre Freunde sehen konnten. "Wir haben Träume und Zeit verloren." Doch jetzt komme Amerika zurück, sagte Biden. "Es ist immer eine schlechte Idee, gegen das amerikanische Volk zu wetten."

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