Süddeutsche Zeitung

USA:So spaltet Trump in der Corona-Krise das Volk

Der US-Präsident nutzt die Pandemie, um seine Klientel zu mobilisieren. Dabei wären die USA unendlich viel stärker, wenn sie in der Krise zusammenstünden.

Kommentar von Stefan Kornelius

Wenn es also stimmt, dass Corona die Extreme in einem politischen System verstärkt, wenn gute Regierungen besser und schlechte Regierungen immer schlechter regieren, wenn dysfunktionale Bürokratien kollabieren und organisierte Gemeinwesen die Krise ordentlich managen - dann wird kein Land der Erde schlimmer unter Corona zu leiden haben als die USA. Hier tobt schon seit Jahren der Kampf der Extreme, weshalb das Land als das vielleicht am stärksten polarisierte Gemeinwesen unter den Demokratien gilt.

Die Polarisierung der USA ist keine Erfindung Donald Trumps und hat auch nur am Rande mit dem Arm-Reich-Gegensatz zu tun, der ja fast schon als Verfassungsgrundsatz festgeschrieben ist. Die amerikanische Gesellschaft ist einerseits hochgradig individualistisch und freiheitsliebend, aber auch enorm solidarisch und geschlossen, besonders in Krisen. Die amerikanische Politik ist einerseits und besonders auf der Bundesebene unangenehm kompetitiv und zerstörerisch, andererseits - besonders im föderalen Amerika der Bundesstaaten - pragmatisch und kompromissfähig. Ja, es gibt den Narzissten in chief, es gibt aber auch Gouverneure, die momentan aufopferungsvoll und verantwortungsbewusst gegen Corona kämpfen und von Sympathiebekundungen überhäuft werden.

Wenn nun also der Präsident die Gouverneure nicht nur der von Demokraten regierter Bundesstaaten in seiner täglichen Unterhaltungsshow aus dem Weißen Haus unter Druck setzt, wenn er zur "Befreiung" aufruft, als stünde das Land unter fremder Besatzung, wenn er zwar sachliche Richtlinien für die Lockerung der Einschränkungen ausgibt, aber wenige Minuten später Hilfe bei Tests oder Krankenbetten verweigert - dann ist das der typisch sprunghafte Trump, dessen einzige Konstante seine Unberechenbarkeit ist. Trump hat nun endlich das Virus zu packen bekommen, er greift es mit seinem politischen Werkzeug, das ihm schon die Präsidentschaft beschert hat und das er als einziges verlässlich beherrscht: Er spaltet und polarisiert.

Im Fall der Gouverneure gelingt ihm das auch deswegen so gut, weil er bei den von Demokraten dominierten Bundesstaaten keine Rücksicht auf die Wähler zu nehmen braucht. Trump will nur seine Klientel mobilisieren, und die sitzt nun mal nicht in New York oder Chicago.

Amerika war schon immer empfänglich für den großen Versöhner. Heißt er Joe Biden?

Der Kern des amerikanischen Regierungsproblems - sei es im Umgang mit der Pandemie, sei es als Führungsmacht in der Welt - liegt in der Polarisierung des Landes. Diese Spaltung hat sich Trump sein Leben lang zunutze gemacht, sie hat ihn ins Amt gebracht und bestimmt seinen Umgang mit Behörden, den föderalen Institutionen, der Wissenschaft und der Welt außerhalb der USA. Kein Präsident vor ihm hat so viel Macht aus dem Streit gezogen.

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Allerdings stimmt auch dies: Die USA haben in Momenten nationaler Tragödien immer schon ungeahnte Kräfte entwickelt, wenn die machtvolle Figur an der Spitze des Landes ihre versöhnende Wirkung ausspielte. Von Roosevelt bis Obama ist die Geschichte voller Beispiele, wie ein Präsident aller Amerikaner von Krisen profitieren und das Land stärken konnte. Sicher ist, dass Trump ein solcher Präsident nicht ist. Weil das Land aber empfänglich ist für den messianischen Anführer in der Not, wird die Marktlücke immer größer. Wird Joe Biden sie füllen können?

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SZ vom 20.04.2020/fie
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