USA:Videochat am Badewannenrand

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Viele Amerikaner besichtigen Wohnungen nur noch virtuell.

Von Claus Hulverscheidt

Eine Wohnung, das ist laut Wikipedia "die Zusammenfassung einer Mehrheit von Räumen, die in ihrer Gesamtheit so beschaffen sein müssen, dass die Führung eines selbständigen Haushalts möglich ist". Ja, so kühl und emotionslos kann man es beschreiben - und so falsch, denn für viele Menschen ist die Wohnung sicher mehr als die Summe von Küche, Bad, Wohn- und Schlafzimmer. Sie ist der Ort, der in einer oft kalten, komplizierten Welt Wärme und Geborgenheit schenkt. An dem die großen Lebensentscheidungen fallen. An dem aus Paaren Familien werden und aus Familien im besten Fall wieder Paare. Es liegt also auf der Hand, dass die Wahl des privaten Refugiums sorgfältig vorbereitet werden sollte - und genau das passiert in den USA immer seltener.

Schuld ist, wie so oft dieser Tage, das Coronavirus, das auch die Wohnungssuche erschwert. Die Amerikaner trifft es besonders, weil sie häufiger als etwa der durchschnittliche Deutsche den Job verlieren und umziehen müssen. Das ist angesichts teils irrwitziger Mieten und riesiger Entfernungen im Land schon in virenfreien Zeiten ein aufwendiges Unterfangen. Die Pandemie hat es nun noch komplizierter gemacht: Wer etwa in New York persönlich auf die Suche gehen will, muss sich nicht nur - oft widerwillig - ins Flugzeug setzen, sondern auch 14 Tage in Quarantäne gehen. Auch lehnen es manche Vermieter aus Angst vor Ansteckung ab, Interessenten durchs Haus zu führen.

Immer öfter finden Besichtigungen deshalb via Skype, Facetime, Teams oder Zoom statt. Allein die Internet-Plattform Showingtime hat nach eigenem Bekunden seit April 150 000 virtuelle Touren begleitet. Viele Mieter, sogar manche Käufer, betreten ihr neues Domizil tatsächlich zum ersten Mal, wenn der Möbelwagen bereits vor der Tür steht - und erleben nicht selten ihr blaues Wunder: Die Wohnung ist zwar schön, liegt aber in einer zweifelhaften Gegend. In den Zimmerecken blüht der Schimmel, die Heizung oder der Herd funktioniert nicht, die vermeintlich ruhige Straße vor dem Haus entpuppt sich als vierspurige Rennstrecke.

Doch auch die Vermieter haben es nicht leicht. Manche turnen während der Online-Touren mit dem Smartphone in der Hand auf dem Badewannenrand herum, um peniblen Interessenten den ordnungsgemäßen Zustand des Brausekopfs zu demonstrieren. Andere, vor allem jene, die im selben Gebäude wohnen, haben schlaflose Nächte, weil sie wissen, dass sie sich Menschen ins Haus holen, denen sie nie gegenübergestanden haben.

Und selbst manche Makler, die ja ein Interesse daran haben müssten, dass Besichtigungen zumindest elektronisch weiter stattfinden, tun sich schwer: "Ich rate jedem davon ab, eine Wohnung virtuell zu kaufen", sagt Alison McQueen vom New Yorker Vermittler Corcoran. Es sei einfach unmöglich, per Videotelefonat das richtige Gefühl für ein Zuhause zu bekommen. Eine Erfahrung, die auch ein Mann aus Arkansas machen musste, der im Juli ein Haus in New York online besichtigte und tatsächlich kaufte, weil er keine Zeit für die Quarantäne hatte. Am Ende hatte er zwar insgesamt Glück mit dem Domizil, lebt nun aber mit kleinen Mängeln, wie er dem Wall Street Journal verriet: "Du kannst die Dinge über Facetime nun einmal nicht riechen."

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