Süddeutsche Zeitung

USA:Trumps Hin und Her in der Corona-Krise

  • Ein Tweet von US-Präsident Donald Trump bringt die Möglichkeit ins Spiel, das die Isolierungsregeln in den USA wieder gelockert werden könnten.
  • Vor allem rechte Kommentatoren warnen vor verheerenden wirtschaftlichen Folgen des derzeitigen Kurses.
  • Experten und Gouverneure pochen jedoch weiterhin auf strenge Beschränkungen. Ohnehin droht dem Gesundheitssystem in wenigen Tagen die Überlastung.

Von Hubert Wetzel, Washington

US-Präsident Donald Trump hat angedeutet, dass er die Vorgaben zur Selbstisolierung, die im Kampf gegen das Coronavirus verhängt wurden, Anfang nächster Woche überdenken könnte. "Wir können nicht zulassen, dass die Arznei schädlicher ist als das Problem selbst", twitterte Trump. "Am Ende der 15-Tage-Frist werden wir entscheiden, in welche Richtung wir gehen wollen."

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Die US-Regierung hatte am 16. März allen Amerikanern geraten, sich 15 Tage lang nicht in Gruppen von mehr als zehn Personen aufzuhalten. Zudem empfahl Washington den Bürgern, von zu Hause aus zu arbeiten sowie möglichst wenig in Läden und in Restaurants zu gehen. Medienberichten zufolge sucht der US-Präsident dringend einen Weg, um die dramatischen wirtschaftlichen Schäden, welche die Corona-Krise anrichtet, zumindest etwas abzufedern. Eine Lockerung der derzeitigen Isolierungsregeln könnte dazu beitragen.

Allerdings gibt es dabei auch wesentliche Probleme. Viele Bundesstaaten haben weitaus schärfere Quarantänevorschriften erlassen als die US-Bundesregierung. In Kalifornien etwa gilt für alle 40 Millionen Einwohner - mehr als zehn Prozent der US-Bevölkerung - eine strikte Ausgangssperre. Die Menschen dort dürfen ihre Häuser nur verlassen, um Lebensmittel zu kaufen, zum Arzt oder zur Apotheke zu gehen.

Praktisch alle Geschäfte wurden per Regierungsdekret geschlossen. Auch die Millionenstadt New York steht weitgehend unter Quarantäne. Andere Bundesstaaten haben weniger strikte Regeln, dennoch sind alle Schulen und Universitäten geschlossen, auch viele Privatunternehmen haben zu.

Ein Kollaps bei der Versorgung von Kranken ist in manchen Gebieten kaum zu verhindern

All diese Vorgaben wurden von den Gouverneuren der Bundesstaaten sowie von lokalen Behörden getroffen. Trump kann sie nicht einfach aufheben. Zudem versuchen die Politiker in den von der Corona-Krise besonders hart getroffenen Gegenden wie Kalifornien, New York oder dem Bundesstaat Washington derzeit, ihren Bürgern die gegenteilige Botschaft einzuhämmern: Bleibt zu Hause, damit ihr nicht noch mehr Menschen ansteckt! Denn die Krankenhäuser in diesen Regionen geraten langsam an ihre Kapazitätsgrenzen. Es mangelt an Intensivbetten, an Beatmungsgeräten und vor allem an Schutzmasken und -kleidung für das medizinische Personal.

Und ein Ende ist nicht abzusehen: Die Infektions- und Todeszahlen steigen steil an, New York gilt inzwischen als einer der weltweiten Corona-Brennpunkte. Ein Kollaps der Gesundheitsversorgung ist in manchen Gegenden kaum noch zu verhindern.

Viele US-Gouverneure beknien Trump daher eher, endlich den Defense Production Act von 1950 zu nutzen, um Privatunternehmen zu zwingen, dass sie die fehlenden Produkte herstellen. Bisher setzt das Weiße Haus in diesem Zusammenhang eher auf Freiwilligkeit. Das Letzte, was die Krisenmanager vor Ort im Moment brauchen, ist ein Präsident, der per Twitter andeutet, dass man alle Isolierungsregeln in ein paar Tagen wieder aufweichen könnte. Sollte Trump tatsächlich auf Bundesebene eine Lockerung beschließen, dürfte das daher zu einem massiven Streit mit einigen Gouverneuren führen.

Ein ähnlicher Konflikt würde in diesem Fall wohl zwischen dem Weißen Haus und den medizinischen Fachbehörden ausbrechen. Die meisten Experten in der amerikanischen Regierung unterstützen die derzeitigen Isolierungsregeln.

Allerdings ist auch nicht völlig klar, wie man Trumps Tweet - sowohl den Inhalt als auch den Zeitpunkt - interpretieren muss. Einerseits werden in konservativen Kreisen in den USA zunehmend Stimmen laut, die daran zweifeln, ob der erzwungene Stillstand großer Teile der US-Wirtschaft nicht auf Dauer irreparabele ökonomische und soziale Schäden anrichtet.

Schon jetzt haben durch die verordneten Schließungen zig Millionen Menschen ihre Existenzgrundlage verloren. Ökonomen spekulieren über eine Arbeitslosenrate von 20 oder 30 Prozent, dazu über einen Einbruch des Wirtschaftswachstums in ähnlicher Höhe. Die Folgen der Corona-Krise würde damit die der Großen Depression in den Dreißigerjahren deutlich übersteigen. Es ist daher durchaus denkbar, dass Trump bei seinem Tweet dieses Szenario vor Augen hatte und es, so wie viele rechte Kommentatoren, schlicht für inakzeptabel hält.

Andererseits ist aber auch denkbar, dass Trumps Tweet - abgesetzt um kurz vor Mitternacht am Sonntagabend - in erster Linie ein taktischer Zug war, um die Aktienmärkte am Montagmorgen mit einer beruhigend klingenden Nachricht zu versorgen. Nachdem der US-Senat in Washington sich am Sonntag zunächst nicht auf ein Rettungspaket für die Wirtschaft hatte einigen könnte, drohte an der Wall Street zu Beginn der neuen Woche ein weiterer Absturz.

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SZ vom 24.03.2020/bepe
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