Einwanderung in die USA:"Wenn Donald Trump einen einzigen Tag in El Salvador verbringen würde"

Central American migrant walks on the train tracks in Arriaga

Über die Bahnstrecke "La Bestia" gelangen viele Migranten von Zentralamerika nach Norden. Sehr viele bleiben allerdings auch auf der Strecke.

(Foto: Jorge Dan Lopez/Reuters)

Ausweisen - ja oder nein? In den USA wird um den Umgang mit Minderjährigen aus Mittelamerika gerungen, die jeden Monat zu Tausenden über die Grenze kommen.

Reportage von Sacha Batthyany, Washington

Seine Freunde nennen ihn Carlito, weil er so klein ist und bullig. Seit gut einem halben Jahr arbeitet er schwarz für ein Umzugsunternehmen in Virginia, das sich auf Menschen aus Europa und Asien spezialisiert hat, sogenannte Expats, die sich in den USA vorübergehend niederlassen. Carlito trägt Betten und Schränke in ihre neuen Häuser. Dabei ist der 17-Jährige selbst neu in diesem Land, nur kam er nicht im Flugzeug. Carlito kam auf der Ladefläche eines Pickups.

"Ich bin bei meiner Großmutter in El Salvador aufgewachsen", erzählt Carlito, der mühelos schwere Holzschränke die Treppen hochträgt, beim Reden aber verängstigt um sich blickt wie ein schüchternes Kind. "Als sie starb, ist es für mich immer gefährlicher geworden." Er habe sich geweigert, der Jugendbande "Mara Salvatrucha", die sein Viertel beherrscht, einen Teil seines Erbes abzugeben. Daraufhin drohten sie ihm, ihn umzubringen - also musste er fliehen aus El Salvador, das mittlerweile weltweit die höchste Mordrate aufweist.

Zwei Wochen lang fuhr Carlito mit dem Bus bis nach Monterrey, einer Stadt im Norden Mexikos, wo er einem Schlepper 2000 Dollar bezahlte, damit der ihn gemeinsam mit anderen Teenagern zur Grenze fährt. Mit leiser Stimme erzählt Carlito von diesen Stunden ohne Wasser und Nahrung, mal zu Fuß, dann wieder im Pick-up, in ständiger Angst, erwischt zu werden, bis man sie am nächsten Tag irgendwo in Texas an einer Tankstelle stehen ließ. Er war jetzt einer der 11,3 Millionen Immigranten, die illegal in die USA gelangt sind.

So wie Carlito überqueren täglich Hunderte Minderjährige die Grenze in die USA, viele auf der Flucht vor Armut und Bandenkriminalität in Guatemala, Honduras und El Salvador. Als im Sommer des vergangenen Jahres die Zahlen hochschnellten, sprach Barack Obama von einer "humanitären Krise". Damals, im Juni 2014, waren es mehr als zehntausend Jugendliche, die von US-Grenzschützern aufgegriffen wurden. In aller Eile erstellte man Notunterkünfte und dichtete die Grenze besser ab.

Fernsehspots, die vor einer Reise in die USA warnten

Viel Geld floss an mexikanische Grenzbehörden, die junge Flüchtlinge davon abhalten sollten, überhaupt erst nach Mexiko zu gelangen. In ganz Mittelamerika wurden Fernsehspots gesendet, die vor einer Reise in die USA warnten. Es sei gefährlich, hieß es, "das Leben in den Vereinigten Staaten ist nicht nur rosig". Daraufhin gingen zwar die Zahlen zurück, und auch die Bilder überfüllter Heime verschwanden aus den Nachrichten. Nur war damit das Problem nicht gelöst.

"Wir stehen heute wieder da, wo wir im Sommer 2014 standen. Es ist sogar schlimmer", sagt Megan McKenna von KIND, einer Hilfsorganisation, die 2008 von Angelina Jolie gegründet wurde und jugendliche Migranten unterstützt. "Im Winter kommen normalerweise weniger, doch dieses Jahr kommen immer mehr."

Etwa 5000 Jugendliche zählte die US-Grenzpatrouille allein im Oktober, weitere 5000 im November. "Die Schmuggler haben neue Routen", sagt McKenna, viele würden es westlich des Rio Grande Valley versuchen. Eine Ranch in Texas, auf der sonst amerikanische Kinder ihre Sommercamps verbringen, wurde zur Notunterkunft umfunktioniert.

Jetzt schlafen dort Jugendliche aus den Armenvierteln Mittelamerikas. Sie wähnen sich in Freiheit, denn in ihren Heimatländern kursiert das Gerücht, dass sie als Minderjährige vor einer Abschiebung sicher seien. "Dass sie nur eine begrenzte Aufenthaltserlaubnis erhalten, solange, bis ein Gericht über ihr Bleiberecht entscheidet, wissen nur die wenigsten", sagt McKenna. In der Regel dauert es 18 Monate, bis ein Richterentscheid vorliege. Diese Zeit nutzen viele aus, um abzutauchen. Sie leben ohne Papiere, ohne Status, in einer Art Vakuum, so wie Carlito, der Möbelschlepper.

Mit der Ruhe für Migranten aus Mittelamerika könnte es bald vorbei sein

"Seit ich ein Kind bin, habe ich keinen Kontakt zu meiner Mutter. Eines Tages war sie einfach weg." Seinen Vater habe er nie gekannt, erzählt Carlito in seinem Zimmer, für das er monatlich 300 Dollar bezahlt. Er wohnt bei einem mexikanischen Ehepaar neben der Autobahn, 20 Kilometer außerhalb von Richmond, Virginia. Eine seelenlose Gegend, aber Carlito fühlt sich wohl, weil ihn nichts an früher erinnert. Er besitzt nur ein paar Kleider und ein Telefon, doch er hat einen Traum: eine eigene Gärtnerei. "Hier ist es ruhig und sicher", sagt er, genau das habe er gesucht.

Mit der Ruhe für Migranten aus Mittelamerika könnte es bald vorbei sein. Vielleicht nicht für den minderjährigen Carlito, denn Barack Obama erließ 2014 ein Dekret, wonach Kinder und Teenager, die aus Guatemala, Honduras oder El Salvador stammen, von einer Ausweisung verschont bleiben. Zahlreiche republikanische Bundesstaaten haben daraufhin gegen Obamas Präsidialverordnungen geklagt und vor Bundesgerichten recht bekommen; seine Einwanderungsreform ist deshalb blockiert, bis der Oberste Gerichtshof darüber entscheidet.

Die Washington Post schrieb kurz vor Weihnachten, dass im Ministerium für Innere Sicherheit offenbar Pläne kursieren, wonach im Januar mehrere Tausend Familien aus Mittelamerika abgeschoben werden sollen - eine Ankündigung, die für viel Wirbel sorgte. Seit 2014 sind etwa 100 000 Familien aus den drei zentralamerikanischen Ländern in die USA eingereist, meist alleinerziehende Mütter mit ihren Kindern; einige erhielten Asyl, bei anderen aber entschieden die Richter, sie hätten das Land zu verlassen. Diese Familien - gemäß der Informations-Website Vox-News handelt es sich um ungefähr 12 500 - sollen Anfang 2016 in ihre Heimatländer abgeschoben werden.

Hillary Clinton zeigte sich "ernsthaft besorgt"

"Wer kein Bleiberecht bekommt, wird im Einklang mit unseren Gesetzen und Werten zurückgeschickt", sagte Jeh Johnson vom Ministerium für Innere Sicherheit, "unsere Grenzen sind nicht offen für jedermann, wir wollen keine falschen Anreize schaffen". Das Weiße Haus hat zuden entsprechenden Medienberichten noch keine Stellung bezogen. Hillary Clinton zeigte sich "ernsthaft besorgt". Die USA sollten sich in Einwanderungsfragen von "Menschlichkeit und Großzügigkeit" leiten lassen. Donald Trump hingegen twitterte: "Das wurde aber auch Zeit."

Carlito kennt Trump aus dem Fernsehen. "Würde er nur einen einzigen Tag in El Salvador verbringen, würde er verstehen, warum wir alle fliehen." Er hofft, dass Trump nicht Präsident wird. Und dass er selbst irgendwann doch noch zu seiner Gärtnerei kommt. Dazu fehlen ihm Geld und "eine amerikanische Frau." Es ist ein langer Weg.

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