USA:Warum der Marihuana-Boom an den einstigen Dealern vorbeigeht

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Proteste in New York (Archivbild aus dem Jahr 2014): Viele Schwarze und Latinos haben nicht zuletzt über den Drogenkrieg das Vertrauen in den Staat verloren.

(Foto: AFP)

In den USA haben Schwarze den Cannabis-Markt in der Illegalität aufgebaut und sind dafür im Drogenkrieg oft im Knast gelandet. Von der Legalisierung haben sie selten etwas.

Von Thorsten Denkler, New York

Alphonso "Tucky" Blunt war immer vorsichtig. Er hat sein Marihuana nur von Leuten gekauft, denen er vertrauen konnte. Und es nur an Kumpels und Familie in seiner Gegend weiterverkauft. Ein Anruf und Tucky Blunt war zur Stelle. Mit 16 hat er angefangen in Oakland, Kalifornien, sein Weed zu verticken. Um Geld für seine Familie dazuzuverdienen, sagt er. Sie hatten ja nicht viel. "Ich mag Gras. Ich kannte viele andere, die Gras mochten. Warum sollte ich denen also nicht helfen, an gutes Gras zu kommen. So habe ich das gesehen", sagte er der Zeitung USA Today.

Nach zehn Jahren im Geschäft haben sie ihn erwischt. 2004 fand die Polizei bei ihm Marihuana im Wert von 80 Dollar. Ein Freund hatte ihn verraten. Blunt bekam zehn Jahre auf Bewährung.

Kurz nachdem Blunt seine Strafe verbüßt hatte, hat Kalifornien den Verkauf und den Genuss von Marihuana legalisiert. Und folgte damit den Staaten Colorado und Washington, die 2012 eine Welle der Legalisierung losgetreten haben. Vor drei Wochen ist auch Illinois diesen Schritt gegangen. In elf Bundesstaaten kann Marihuana jetzt frei erworben werden. In elf weiteren Staaten ist der Besitz kleiner Mengen erlaubt. In vielen weiteren ist zumindest die medizinische Nutzung legal.

Die Legalisierung hat in den meisten dieser Bundesstaaten einen Boom ausgelöst, einen "green rush", wie manche sagen. Zigtausende neuer Jobs sind geschaffen worden in Produktion, Forschung und Handel. Bis 2021 wird erwartet, dass die US-Weed-Industrie 23 Milliarden Dollar schwer sein wird. 2017 waren es noch 8,5 Milliarden Dollar. Inzwischen sind große Investoren am Start. Getränke-Konzerne etwa wie der US-Riese "Constellation Brands", zu dem auch die Bier-Marke "Corona" gehört. Der hat im Sommer 2018 vier Milliarden Dollar in ein kanadisches Cannabis-Start-up investiert.

Die niederländische Brauerei Heineken hat in Kalifornien seit wenigen Monaten zwei mit Cannabis versetzte Sprudelwasser im Angebot. Das Cannabis dafür liefert der kalifornische Hersteller "AbsoluteXtracts", eine Tochter des Cannabis-Konzerns "CannaCraft" mit mehr als 100 Millionen Dollar Einnahmen im Jahr und mehr als 350 Mitarbeitern. Es ist eines der größten in Kalifornien. Und hat eine typische Führungsspitze: drei Männer, alle weiß. Immerhin, Mitgründer Dennis Hunter, Jahrgang 1972, saß mehr als sechs Jahre im Knast, weil er Cannabis angebaut und gedealt hat. Da ist er eine Ausnahme.

Meist nämlich haben jene, die wie Tucky Blunt als Dealer über Jahrzehnte den Markt in der Illegalität aufgebaut haben, kaum etwas vom grünen Goldrausch. Wer heute auf den Chef einer Firma trifft, die Produkte aus Marihuana anbietet, wird in der Regel auf einen eher jungen, weißen und unbescholtenen Mann treffen. Nach Zahlen des Branchenblattes Marijuana Business Daily aus dem Jahr 2017 sind mehr als 80 Prozent aller Weed-Unternehmer weiß und zu mehr als 73 Prozent männlich.

Das hat viel mit dem "War on Drugs" zu tun, dem "Krieg gegen Drogen", den US-Präsident Ronald Reagan einst ausgerufen hatte und der noch von Bill Clinton mit aller Härte geführt wurde. Der Konsum und Verbrauch von Marihuana wurde unter drastische Strafen gestellt. Selbst kleinste Vergehen wurden und werden massiv verfolgt. Aber obwohl Marihuana unter weißen Menschen ähnlich beliebt ist wie unter schwarzen, sind es vor allem Letztere, die hinter Gittern landen.

Nach einer Studie der Bürgerrechtsorganisation ACLU war im Jahr 2010 die Chance für einen schwarzen Konsumenten, wegen eines Marihuana-Deliktes in Haft zu kommen, im US-Mittel 3,73 Mal höher als für einen weißen Konsumenten. Die damals Festgenommenen sitzen zum Teil immer noch im Gefängnis.

Legalisierung wird in den USA als Bürgerrechtsfrage diskutiert

Der Krieg gegen die Drogen ist zu einem Krieg gegen die schwarze Bevölkerung geworden, sagen Kritiker. Es ist ein Krieg, der in weiten Teilen der USA bis heute geführt wird; staatlich organisierte rassistische Diskriminierung. Die Legalisierung von Marihuana ist deshalb kein Versuch, Alt-Hippies und Neu-Hipstern einen sorgenfreien Joint zu ermöglichen. Legalisierung wird in den USA vielmehr als Bürgerrechtsfrage diskutiert.

Viele Schwarze und Latinos haben nicht zuletzt über den Drogenkrieg das Vertrauen in den Staat verloren. Tucky Blunt sagt, er kenne kaum eine Familie, die nicht betroffen gewesen wäre. Im Drogenkrieg sei es allein "darum gegangen, möglichst viele von uns einzusperren. Das hat eine Menge Familien auseinandergerissen."

Selbst da, wo Marihuana jetzt legal verkauft werden darf, trauen viele dem Frieden nicht. Die Legalisierung hat die Diskriminierung nämlich meist nicht beseitigt. Sondern nur verlagert. In Colorado etwa, wo der Genuss von Marihuana seit 2012 für über 21-jährige legal ist, ist der Verfolgungsdruck auf unter 21-Jährige verstärkt worden. Und wieder trifft es vor allem junge Schwarze.

Diese systematische und andauernde Ungleichbehandlung ist ein wichtiger Grund dafür, dass sich viele scheuen, ein legales Marihuana-Unternehmen zu gründen.

Die jahrzentelange Kriminalisierung produziert also nach wie vor Verlierer, auch da, wo Marihuana heute legal ist. In Kalifornien, inzwischen der weltweit größte legale Markt für Genuss-Cannabis, warten gut eine Million einst wegen Marihuana-Besitzes Verurteilte darauf, dass ihre Vorstrafen aus ihren Akten entfernt werden. Worauf sie seit der Legalisierung 2016 ein Recht haben. Mit Vorstrafen ist es in den USA äußerst schwer, einen geregelten Job oder eine Wohnung zu finden. Eine Vorstrafe ist meist auch bereits das Ende eines jeden Versuches, ein legales Marihuana-Geschäft aufzumachen. Die nötige Handelslizenz gibt es in der Regel nur mit weißer Weste. Das gilt auch für nötige Kredite.

Vom Drogen-Knasti zum legalen Marihuana-Dealer

Tucky Blunt hatte Glück, er landete nicht im Knast. Und er hat Glück, er lebt in Oakland. Die Stadt setzt derzeit Maßstäbe, wenn es darum geht, einen gerechten Zugang zum Marihuana-Markt zu schaffen. Eine US-weite Strategie, benachteiligte Gruppen am Marihuana-Boom zu beteiligen, gibt es nämlich nicht. Es sind vor allem die Städte, die aktiv werden. Die wenigen Bundesstaaten, die überhaupt aktiv werden, geben oft nur einen vagen Rahmen vor. Und im besten Fall stellen sie ein bisschen Geld für Gerechtigkeits-Programme bereit. In Kalifornien sind es landesweit gerade mal zehn Millionen Dollar.

Oakland hat bereits 2017 ein umfassendes Programm gestartet, um Schwarzen und Latinos einen Weg in das legale Marihuana-Business zu eröffnen. Als wichtigster Baustein gilt die Gleichbehandlungsklausel. Mindestens die Hälfte der Lizenzen für Handel oder Produktion von Marihuana in Oakland müssen an Personen gehen, die entweder wegen eines Marihuana-Deliktes verurteilt worden sind oder in einer der Nachbarschaften wohnen, in denen es früher überproportional viele Verhaftungen wegen Cannabis-Vergehen gab. Außerdem werden Gründer mit Training und Beratung unterstützt und können einen zinsfreien 100 000-Dollar-Kredit beantragen.

Schwarze und Latinos sollen so wenigstens die Hälfte vom Kuchen abbekommen. Und anders als in manchen Nachbarstädten ist hier eine Vorstrafe kein Hinderungsgrund mehr. Sondern quasi eine Eintrittskarte in das Marihuana-Business. Eine Eintrittskarte, die Tucky Blunt gerne eingelöst hat.

Im Herbst 2018 hat er zusammen mit seiner Geschäftspartnerin Brittany Moore den Marihuana-Laden "Blunts and Moore" aufgemacht. Er kennt sich bestens aus in der Künstler- und Kreativen-Szene von San Francisco, kennt also die potenzielle Kundschaft sehr gut. Sie hat jahrelang für einen Finanzdienstleister gearbeitet und dann Marihuana-Geschäfte in Denver, Colorado, gemanagt. "Blunts and Moore" ist die erste Verkaufsstelle für Cannabis-Produkte, die unter den Gleichbehandlungsregeln von Oakland eröffnet hat.

Tucky Blunt hat es so als Schwarzer vom Drogen-Kriminellen zum seriösen Besitzer eines Cannabis-Geschäftes gebracht. Sein Geschäft liegt mitten in seiner alten Nachbarschaft, wo ihn damals die Polizei festgenommen hat. Dass er sein Weed hier jetzt legal verkaufen kann, "das hat mein Leben verändert", sagt er.

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13 06 2014 Wismar Mecklenburg Vorpommern Deutschland Blaetter einer Hanfpflanze 00S140613D014

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