Es hätte für Joe Biden sicher bessere Einstiege in dieses Wochenende gegeben als diesen. Gerade erst hatte der US-Präsident beim Nato-Gipfel in Washington den ukrainischen Kollegen Wolodimir Selenskij versehentlich als „Präsident Putin“ vorgestellt, sich allerdings umgehend korrigiert. Nun begann er seine mit Aufregung erwartete Pressekonferenz zum Abschluss der Tagung am Donnerstagabend mit einer ähnlich verstörenden Antwort auf die Frage nach Kamala Harris, seiner Vizepräsidentin.
Welche Bedenken er denn habe, was ihre Aussichten auf einen Sieg gegen Donald Trump beträfe, wenn sie die Kandidatin wäre, wollte ein amerikanischer Reporter wissen. „Schauen Sie“, sagte Biden, „ich hätte Vizepräsidentin Trump nicht als Vizepräsidentin ausgewählt, wenn ich nicht davon überzeugt wäre, dass sie dafür qualifiziert ist, Präsidentin zu werden.“ Vice-President Trump? Da schien es für Biden wieder schlimm zu werden, selbstverständlich amüsierte sich auch Trump im Netz über den Versprecher.
Die restliche knappe Stunde verlief für den Amtsinhaber dann deutlich besser als das nahezu durchgehend missglückte Fernsehduell mit Trump. Spätestens seit jener TV-Debatte gilt seine neuerliche Kandidatur als so gewagt, dass sich immer mehr Parteifreunde seinen Rückzug wünschen. Biden nannte das Desaster von Ende Juni jetzt einen „dummen Fehler“. Ansonsten pries er bei seinem professionellen Auftritt seine ja tatsächlich beeindruckende Bilanz und nannte sich den besten Kandidaten, doch verscheucht hat der Amtsinhaber seine Kritiker aus den eigenen Reihen nicht.
Letztlich fühlen sich nach seinem Medientermin beide Lager bestätigt. Die Mehrheit der demokratischen Mandatsträger steht bisher jedenfalls offiziell zu ihrem Spitzenmann, mindestens 16 Abgeordnete und ein Senator wünschen sich öffentlich einen Wechsel. Laut CNN haben außerdem der frühere Präsident Barack Obama und Nancy Pelosi, die ehemalige Sprecherin des Repräsentantenhauses, privat ihre Sorgen erörtert. Beide sind nach wie vor Schwergewichte der Demokraten.
George Clooneys Beitrag hat die Skepsis vergrößert
Auch der Beitrag von George Clooney vom Mittwoch in der New York Times scheint die Zweifel verschärft zu haben, nicht nur im demokratisch gesinnten Hollywood. Der Schauspieler wies in seinem melancholischen Essay darauf hin, dass er Biden zwar liebe, aber mit ihm eine verheerende Niederlage bevorstehe. „Es geht um das Alter“, schrieb Clooney. „Um nichts anderes.“ Am Freitag berichtete die Zeitung dann von einigen Großspendern, die etwa 90 Millionen Dollar zurückhalten würden, sollte Biden nicht seine Bewerbung aufgeben.
Selbst der Abgeordnete James Clyburn aus South Carolina, 83 Jahre alt und 2020 einer der wichtigsten Verbündeten des damaligen Siegers, lässt alle Möglichkeiten offen. Biden solle entscheiden, er habe sich dieses Recht verdient, sagte Clyburn beim Sender NBC. „Wenn er seine Meinung zu einem späteren Zeitpunkt ändert, werden wir darauf reagieren. Wir haben bis zum 19. August Zeit, unseren Konvent zu eröffnen.“ Bei dem Kongress der Demokraten in Chicago wird der Bewerber von den Delegierten nominiert, bisher hat sich kein ernst zu nehmender Gegner Bidens gemeldet. Doch es kursieren angesichts der gegenwärtigen Panik allerlei Namen. Darunter sind außer dem von Vize Kamala Harris auch die des kalifornischen Gouverneurs Gavin Newsom, seiner Kollegin Gretchen Whitmer aus dem Swing State Michigan oder des Milliardärs J.B. Pritzker aus Illinois.
Vorläufig setzt Biden seinen Wahlkampf wie gehabt fort. Am Freitag wurde er in Detroit erwartet, wo angesichts zahlreicher Bewohner mit arabischen Wurzeln viel über den Krieg im Nahen Osten diskutiert wird. Wegen der Treue zu Israel verliert Biden dort viele vormalige Unterstützer, obwohl er die israelische Führung kritisiert. Die Republikaner nähern sich derweil ihrem Kongress in Wisconsin, einem weiteren umkämpften Bundesstaat. Dort wird von Montag kommender Woche an ihr Wortführer Trump mit Pauken und Trompeten als Aspirant für die Rückkehr ins Weiße Haus abgesegnet.
In der Grand Old Party gibt es kaum mehr Widerstand gegen den inzwischen verurteilten Straftäter, trotz seiner Lügen und Skandale. Bei Donald Trump, 78, wird nur noch mit Spannung erwartet, wen er als möglichen Vize auswählt, zu den Favoriten zählen Marco Rubio, J.D. Vance und Doug Burgum. Joe Biden warnt aus sehr guten Gründen vor einem Comeback seines Vorgängers und einem Ende von Amerikas Demokratie. Diese Angst prägte auch die Jubiläumsfeier zum 75-jährigen Bestehen der Nato, Trump hat für die Allianz wenig übrig.
Freitags empfing er in seinem Palast Mar-a-Lago den Ungarn Viktor Orbán, der dafür extra frühzeitig vom Gipfel abgereist war. „Wir haben darüber gesprochen, wie wir Frieden schaffen können“, meldete Orbán danach auf X. „Die gute Nachricht des Tages: Er wird es lösen!“ Ansonsten verspottet Trump bevorzugt seinen Nachfolger – und regte bei einer Rede am Dienstag ein Golfmatch mit Biden an, während die Nato Geburtstag feierte.