Süddeutsche Zeitung

USA:Auf Crashkurs

Lesezeit: 2 min

Immer mehr Amerikaner überschulden sich für ihre Autos.

Von Claus Hulverscheidt

Der morgendliche Blick auf den sonnenbeschienenen Vorgarten kann etwas Wunderbares sein, ein Quell der Freude, der Inspiration sogar. Oder das glatte Gegenteil, wie dieser Tage mancher Amerikaner erfahren muss, der durchs Küchenfenster auf die Garagenauffahrt späht: Stresshormone bahnen sich ihren Weg durch den Körper, die Hände werden feucht - das Auto ist weg! Geklaut? Vielleicht. Wahrscheinlicher jedoch: abgeschleppt. Von der eigenen Bank, bei der man mit den Pkw-Kreditraten im Rückstand ist.

Mehr als sieben Millionen US-Autobesitzer sind derzeit mindestens drei Monate mit ihren Zahlungen in Verzug, mehr als vor der großen Finanzkrise des Jahres 2008. Allein 2018 nahmen die Amerikaner 584 Milliarden Dollar an Autokrediten auf - und bei vielen wächst der Schuldenberg mit jedem neuen Fahrzeug weiter. Der Grund: Wer den alten, noch nicht abbezahlten Pkw in Zahlung gibt und einen Neu- oder Gebrauchtwagen erwirbt, dem wird der Restkredit einfach auf das neue Darlehen aufgeschlagen. In einem von drei Fällen führt das mittlerweile dazu, dass die Gesamtforderung der Bank den Wert des neuen Autos übersteigt.

Wer in dieser Lage schwer krank oder arbeitslos wird, gerät rasch in Not, denn nicht einmal der Verkauf des Pkw bietet nun noch einen Ausweg aus den Schulden. Ist man mit der Ratenzahlung erst einmal 90 Tage im Rückstand, belässt es die Bank oft nicht mehr bei Mahnungen, sondern denkt über Zwangsmaßnahmen nach. Das ist der Moment, in dem Menschen wie Larry Baker ins Spiel kommen.

Baker ist Sachpfänder, Nacht für Nacht fährt er im Auftrag von Banken mit seinem Abschleppwagen durch die Vororte Ohios, um Pkw von säumigen Schuldnern einzusammeln. Die Autos zu finden, ist nicht schwierig, denn die Händler können ihre Fahrzeuge per GPS orten, solange noch Kreditraten ausstehen.

Fünf Minuten dauert es in der Regel, bis Baker den vor dem Haus geparkten Wagen verschnürt und auf die Ladefläche gehievt hat. Er arbeitet nachts, weil die meisten Autobesitzer dann schlafen und es weniger Konflikte gibt. Dennoch trägt er eine Pistole, Kaliber .45, mit sich, wie er jüngst dem Radiosenderverbund NPR erzählt hat. Ziehen musste er sie in 15 Jahren nur zwei Mal, vier Mal blickte er selbst in die Mündung einer Waffe. Glücklicherweise ging alles glimpflich aus.

Die hohen Schuldenzahlen erinnern an die Zeit vor der Finanzkrise, wobei es damals nicht Auto-, sondern Hausbesitzer waren, die in Verzug gerieten. Der Mechanismus indes ist der gleiche: Pkw-Händler verzichten auf Anzahlungen und locken damit Menschen in die Autohäuser, die sich einen neuen Wagen eigentlich nicht leisten können und deshalb hohe Zinsen zahlen müssen. Clevere Finanzmanager reiben sich die Hände, kaufen und bündeln die Kredite und veräußern sie als Wertpapiere an renditehungrige Anleger.

Das Spiel geht gut, solange die Wirtschaft brummt und nicht mehr Autobesitzer in Verzug geraten als von den Experten berechnet. Sollten die Arbeitslosenzahlen oder die Zinsen jedoch einmal steigen, wird man nicht lange spekulieren müssen, welche Lawine die laxe Vergabe von Autodarlehen auslösen könnte: Es reicht dann ein Blick in die Zeitungen des Jahres 2008.

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Quelle:
SZ vom 24.01.2020
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