USA: Attentat auf Giffords:Das Mekka der Eiferer

Hat ein "Klima des Hasses" zu dem Attentat in Arizona geführt? Erbittert kämpfen Medien und Blogger um die Deutungshoheit - und reden sich in Rage. Während Liberale der Tea-Party-Bewegung und Sarah Palin eine Mitschuld geben, keilen die Konservativen zurück.

W. Jaschensky und M. König

Seit 30 Jahren ist Clarence Dupnik Sheriff von Pima County im US-Bundesstaat Arizona. Er hat viel geleistet in seiner Karriere, hat gegen Drogen und den Strom illegaler Immigranten aus Mexiko gekämpft und für ein Kriminalitäts-Präventionsprogramm mehrere Preise gewonnen. Sein Widerstand gegen "SB 1070", ein besonders striktes und umstrittenes Anti-Einwanderungsgesetz in Arizona hat ihm sogar eine Fanseite eingebracht: "I love Clarence Dupnik" fristete im weltgrößten sozialen Netzwerk mit ganzen zehn Einträgen aber lange Zeit ein Schattendasein - bis Jared Lee Loughner am Sonntag mit einer Pistole sechs Menschen tötete und der US-Kongressabgeordneten Gabrielle Giffords in den Kopf schoss.

USA: Attentat auf Giffords: Mit dieser Landkarte warb Sarah Palin darum, in 20 Bundesstaaten demokratische Abgeordnete abzuwählen. Dass diese mit Fadenkreuzen markiert wurden, sorgt nach dem Attentat für Kritik an der Republikanerin.

Mit dieser Landkarte warb Sarah Palin darum, in 20 Bundesstaaten demokratische Abgeordnete abzuwählen. Dass diese mit Fadenkreuzen markiert wurden, sorgt nach dem Attentat für Kritik an der Republikanerin.

(Foto: AP)

Eine Pressekonferenz nach dem Attentat wird zum großen Moment für den Sheriff aus Arizona werden. "Wenn Sie sich Leute anschauen, die aus dem Gleichgewicht geraten sind, wie sie reagieren auf hetzerische Äußerungen, die aus bestimmten Mündern kommen und zum Sturz der Regierung aufrufen... Die Wut, der Hass, die Borniertheit im Land werden allmählich ungeheuerlich", sagt Dupnik in die Mikrofone und ergänzt: "Leider ist Arizona, zur Hauptstadt, zum Mekka der Vorurteile und der Bigotterie geworden".

Seit Dupnik angedeutet hat, dass er die Tea-Party und deren scharfe Rhetorik für den Anschlag verantwortlich macht, geht es hoch her auf "I love Clarence Dupnik". Eine andere Seite ("Clarence Dupnik is my Hero") hat schon weit mehr als 5000 Unterstützer und auf "Get rid of Clarence Dupnik" versammeln sich die Menschen, die in ihm einen "Mistkerl" sehen.

Clarence Dupnik ist zum Kristallisationspunkt einer Debatte geworden, die Amerika für lange Zeit beschäftigen wird. Längst geht es nicht mehr um die Frage: Wer ist schuld an dem Attentat? Spätestens mit den Worten des Sheriffs ist aus dem Anschlag ein Politikum geworden. Liberale und konservative Politiker, Blogger und Kommentatoren diskutieren mit scharfen Worten darüber, wieviel Kriegsrhetorik im Wahlkampf erlaubt ist, wer damit angefangen hat - und wer schuld ist.

An kaum einer Stelle offenbart sich der Kampf um die Deutungshoheit so sehr wie im Falle der "Fadenkreuz-Karte" der Tea-Party-Galionsfigur Sarah Palin. Die ehemalige Vizepräsidentschaftskandidatin der Republikaner hatte im Kongresswahlkampf 2010 eine Grafik auf ihrer Website veröffentlicht: Eine blau hinterlegte Karte der USA mit 20 weißen Symbolen, die an das Fadenkreuz eines Zielfernrohrs erinnern. Auf diese Weise markierte Palin Wahlbezirke mit demokratischen Amtsinhabern, denen sie politisch den Garaus machen wollte - darunter war auch Gabrielle Giffords. "Wir stehen auf Palins Liste", beschwerte sich die Demokratin vor etwa einem Jahr.

Nach dem Attentat ist die Karte aus dem Netz verschwunden, stattdessen kondoliert die ehemalige Gouverneurin des Bundestaats Alaska: "Unser tiefes Mitgefühl gilt der Familie von Gabrielle Giffords und den anderen Opfern der tragischen Schießerei in Arizona." Sie bete für "Frieden und Gerechtigkeit", schreibt Palin. Ihre Sprecherin erklärte, es habe sich auf der Karte nicht um Fadenkreuze gehandelt, sondern um "Symbole eines Landvermessers".

Ihre Kritiker kann das nicht beruhigen: Sie arbeiten sich in wütenden Kommentaren an der potentiellen Obama-Herausforderin ab. "Mission accomplished, Sarah Palin", schrieb das demokratische Blog Daily Kos kurz nach dem Attentat. Mehrere Blogs erinnerten an ein (angebliches) Zitat Palins aus dem Wahlkampf: Konservative Politiker sollten nicht zurücktreten, sondern nachladen. Auf der Facebook-Seite der Politikerin fragte ein User: "Was ist aus dem Motto 'Schießen und Nachladen' geworden? Haben Sie ihre Karte schon aktualisiert, Frau Palin?"

"Klima des Hasses"

In der New York Times beklagt Nobelpreisträger Paul Krugman ein "Klima des Hasses" in der amerikanischen Politik, ausgehend von den Republikanern. Die "giftige Rhetorik" komme "in überwältigendem Maße von der Rechten", schreibt Krugman und verweist auf Michele Bachmann, eine republikanische Abgeordnete im Repräsentantenhaus, die ihre Unterstützer in Minnesota aufforderte, "bewaffnet und gefährlich" zu sein.

Krugman gibt auch den konservativen Medien eine Teilschuld an dem Attentat - Witze über das Erschießen von Regierungsbeamten oder Enthaupten von liberalen Journalisten seien bei TV-Scharfmachern wie Glenn Beck oder Bill O'Reilly (Fox News) sehr verbreitet. Demokratische Blogger griffen den Vorwurf auf und zeigten eine Archivaufnahme einer Sendung von Glenn Beck, in der sich der Moderator über die Demokratin Nancy Pelosi lustig macht, weil diese sich besorgt über die scharfe Rhetorik im Wahlkampf geäußert hatte.

Beck schweigt bislang zu den Vorwürfen, andere Konservative drehen den Spieß um und bezichtigen die Liberalen der Bigotterie. Im Wall Street Journal erinnert der Kommentator Glenn Reynolds daran, dass auch Barack Obama schon verbal ausgeteilt hat: "Wenn sie ein Messer mitbringen, kommen wir mit einem Gewehr", soll der damalige Präsidentschaftskandidat bei einem Wahlkampf-Auftritt 2008 gesagt haben. Reynolds wirft den Demokraten fehlenden Anstand vor, weil sie "ihren politischen Gegner zu Komplizen in einem Mordfall erklären", obwohl es keinen Beweis für eine Verbindung zwischen dem Attentäter Jared Lee Loughner und der Tea-Party gebe.

Das Blog Gateway Pundit verweist auf eine Grafik des Democratic Leadership Commitee aus dem Jahre 2004: Dort führt die demokratische Organisation republikanisch geprägte Bundesstaaten auf, die es im Wahlkampf zu gewinnen gelte. Jene Staaten sind auf einer Karte markiert - mit einer Zielscheibe, wie man sie von Schießständen kennt. "Da ist eine Entschuldigung an Sarah Palin fällig", kommentiert ein User die Entdeckung.

Außerdem will das Blog herausgefunden haben, dass Loughner ein Linker ist. Ein angeblicher Bekannter des Attentäters habe ihn bei Twitter als "links und eher liberal" bezeichnet. In seinem vermeintlichen Youtube-Account soll der Attentäter das Kommunistische Manifest von Karl Marx als sein Lieblingsbuch bezeichnet haben. Dass er dort auch Adolf Hitlers Mein Kampf aufgeführt hat, irritiert die Blogger nicht.

Angesichts solcher Diskussionen haben Vertreter beider Parteien zur Mäßigung aufgerufen, der republikanische Sprecher des Repräsentantenhauses setzte sogar eine Debatte zur umstrittenen Gesundheitsreform aus, damit Amerika innehalten kann. Doch daraus scheint nichts zu werden - die Debatte über die politische Kultur in den USA bestätigt vor allem die Befürchtungen über deren Zustand.

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