Tod von Rayshard Brooks:Schockierendes Muster

Protests Erupt In Atlanta After The Police Killing Of Rayshard Brooks

Nach dem Tod des Afroamerikaners Rayshard Brooks bei einer Polizeikontrolle sind die Proteste auf den Straßen von Atlanta aufgeflammt. Hier nimmt die Polizei einen Demonstranten fest.

(Foto: AFP)

Beim tödlichen Polizeieinsatz in Atlanta gibt es nicht nur viele Parallelen zum Fall George Floyd, sondern auch große Unterschiede. Die Frage ist jetzt, wie die Gerichte damit umgehen werden.

Von Hubert Wetzel, Washington

Der Polizeieinsatz auf dem Parkplatz der Fast-Food-Kette Wendy's in Atlanta am Freitagabend dauerte 48 Minuten, von 22.42 Uhr bis 23.30 Uhr. Er begann als Personenkontrolle und endete mit drei Schüssen aus der Dienstpistole eines Beamten, durch die der 27-jährige Rayshard Brooks so schwer verletzt wurde, dass er noch in der Nacht im Krankenhaus starb.

Vor allem aber lief der Polizeieinsatz wieder nach dem Muster ab, das in der afroamerikanischen Gemeinde seit Jahren nur allzu bekannt und gefürchtet ist: Ein junger schwarzer Mann, weiße Polizisten, eine Auseinandersetzung - am Ende fallen Schüsse, und der Schwarze ist tot.

Vor drei Wochen, am 25. Mai, war es der Schwarze George Floyd, der bei einem Einsatz in Minneapolis von dem weißen Polizisten Derek Chauvin getötet wurde. Nun war es Rayshard Brooks in Atlanta. Und wie nach dem Tod von Floyd kam es auch nach dem Tod von Brooks zu Demonstrationen, die in Gewalt umschlugen. Die Wendy's-Filiale, auf deren Parkplatz sich der Vorfall zugetragen hatte, wurde angezündet. Allerdings scheint es im Moment nicht so, als würde Brooks' Tod wieder eine landesweite Welle von Krawallen auslösen.

Das könnte auch daran liegen, dass es nicht nur Parallelen zum Fall George Floyd gibt - weißer Täter, schwarzes Opfer -, sondern auch große Unterschiede. Floyd wurde von Chauvin auf äußerst brutale Weise getötet: Der Polizist kniete fast neun Minuten lang auf Floyds Hals, laut Autopsiebericht erdrosselte er ihn dadurch. Chauvin ignorierte die Hilferufe von Floyd ebenso wie die Passanten, die den Vorfall filmten. Dass Chauvin wegen Totschlags angeklagt wurde, erscheint angesichts des Beweismaterials als gerechtfertigt.

Nach dem Atemtest eskalierte die Situation sehr schnell

Der Fall Rayshard Brooks ist weniger eindeutig. Nach allem, was bisher bekannt ist, wurde die Polizei am Freitagabend zu der Wendy's-Filiale gerufen, weil Brooks in seinem Auto eingeschlafen war und die Zufahrt blockierte. Der erste Polizist, der eintraf, Devin Brosnan, weckte Brooks und bat ihn, sein Auto zur Seite zu fahren. Dann forderte er Unterstützung an. Um 22.56 Uhr traf der Beamte Garrett Rolfe auf dem Parkplatz ein. Die Polizisten hatten offenbar den Verdacht, dass Brooks betrunken war, was dieser zuerst bestritt. Sie ließen Brooks auf einem Bein stehen und schlugen einen Atemtest vor. Brooks stimmte zu. Das Ergebnis fiel offenbar nicht so aus, dass die Polizisten ihn weiter mit dem Auto fahren lassen konnten.

Die Aufzeichnungen der Kameras, die die Beamten an ihren Uniformen trugen, zeigen, dass der Ton zwischen Brooks und den Polizisten bis etwa 23.20 Uhr kooperativ war. In dem Moment allerdings, in dem der Beamte Rolfe versuchte, Brooks nach dem Atemtest Handschellen anzulegen, eskalierte die Situation. Ein Video, das eine Passantin gemacht hat, zeigt, dass die Polizisten mit Brooks auf dem Boden lagen und rangen. Rolfe forderte Brooks auf, keinen Widerstand zu leisten, Brosnan warnte ihn, dass er seine Elektroschockpistole, einen Taser, einsetzen werde.

Während des Kampfs gelang es Brooks, Brosnan dessen Taser zu entwinden. Er riss sich los und floh mit der Elektroschockpistole in der rechten Hand über den Parkplatz. Rolfe, der seinen Taser auf Brooks abgefeuert hatte, rannte hinter dem Fliehenden her.

Die Polizeipräsidentin der Stadt trat noch am Wochenende zurück

Eine Überwachungskamera, deren Aufnahmen vom Georgia Bureau of Investigation veröffentlicht wurden, hat die entscheidenden Momente festgehalten: Zu sehen ist, wie Rolfe den Flüchtenden verfolgt. Er hält dabei seinen Taser in der rechten Hand. Nach einigen Schritten wechselt Rolfe den Taser in die linke Hand und greift mit der rechten an seine Pistole am Gürtel. In diesem Moment dreht sich Brooks um und feuert mit dem Taser, den er Brosnan abgenommen hatte, auf Rolfe. Es ist kein sehr gezielter Schuss, Brooks rennt währenddessen weiter, aber die Absicht, Rolfe zu treffen, ist erkennbar.

Der Polizist lässt daraufhin seinen Taser fallen, zieht seine Pistole und gibt drei Schüsse auf Brooks ab, der etwa vier bis fünf Meter vor ihm läuft. Brooks fällt getroffen auf den Asphalt. In den Minuten danach versuchen die Polizisten, den Angeschossenen zu verbinden, und rufen einen Krankenwagen, der um 23.30 Uhr eintrifft. Brooks stirbt kurze Zeit später.

Das Büro der Gerichtsmedizin im Bezirk Fulton County teilte am Montag nach der Autopsie mit, der 27-Jährige sei von zwei Schüssen in den Rücken getroffen worden.

Anders als im Fall Floyd wurden in Atlanta sofort nach dem Vorfall Konsequenzen gezogen. Officer Brosnan wurde in den Innendienst strafversetzt, Officer Rolfe, der Schütze, wurde aus dem Dienst entlassen. Atlantas Polizeichefin Erika Shields trat am Wochenende zurück.

Es ist längst nicht sicher, dass Rolfe verurteilt werden würde

Offen ist, ob und welche strafrechtlichen Folgen der Vorfall hat. Derek Chauvin, der Beamte in Minneapolis, wurde wegen "Second Degree Murder" angeklagt - Totschlag. Die Bürgermeisterin von Atlanta, Keisha Lance Bottoms, hat gesagt, dass sie den Einsatz von tödlicher Gewalt im Fall Brooks für "nicht angemessen" hält. Und es ist denkbar, dass der zuständige Staatsanwalt es für politisch notwendig und juristisch gerechtfertigt hält, Rolfe in den kommenden Tagen wegen eines Tötungsdelikts anzuklagen.

Allerdings ist es längst nicht sicher, dass Rolfe auch verurteilt werden würde. Das Verfassungsgericht hat 1985 zwar festgestellt, dass ein Polizist keine tödliche Gewalt einsetzen darf, um einen Verdächtigen an der Flucht zu hindern. Aber der Supreme Court hat danach in diversen Urteilen auch dargelegt, dass bei der Bewertung, ob der Einsatz von Gewalt durch einen Polizisten überzogen war, beachtet werden muss, ob der Beamte einen Grund hatte, um seine Sicherheit oder sein Leben zu fürchten. Zudem, so das Gericht, müsse die Situation aus der Perspektive des Polizisten gesehen werden, der unter großem Zeitdruck Entscheidungen treffen müsse.

Nach diesem Standard wäre ein Schuldurteil gegen Derek Chauvin fast zwingend. Garrett Rolfe hätte dagegen wohl bessere Argumente, um sich zu verteidigen - jedenfalls vor Gericht. Die Frage, ob es nicht einen Weg hätte geben können, mit dem angetrunkenen Brooks so umzugehen, dass niemand dabei zu Tode kommt, muss Rolfe mit seinem Gewissen abmachen.

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