Süddeutsche Zeitung

Abtreibungsverbot in den USA:"Jetzt gehen wir wieder rückwärts"

Lesezeit: 4 min

Das Oberste Gericht der USA will offenbar das Recht auf Abtreibung kippen. Dagegen demonstrieren im ganzen Land Tausende Frauen. Und das Abtreibungsrecht sei nur der Anfang, fürchten manche.

Von Fabian Fellmann, Washington

Sie sind wütend, die vielen Frauen und einige Männer, die vor dem Obersten Gericht der USA protestieren. "My body, my choice", skandieren sie, "mein Körper, meine Wahl". Es ist der Kampfslogan der Befürworterinnen und Befürworter des Rechts auf Abtreibung. Sie sind zu Tausenden auf die Straße zwischen Kapitol und Supreme Court in der Hauptstadt Washington geströmt, um für dieses Recht einzutreten.

Um Mitternacht in der Nacht auf Dienstag tauchten die ersten Demonstrantinnen auf, nachdem die Internetpublikation Politico am Montag eine politische Bombe hochgehen ließ: Sie machte den vertraulichen Entwurf des Urteils einer Mehrheitsmeinung der Richter publik. Demnach bereitet das Oberste Gericht einen Kurswechsel bei Abtreibungen vor. Seit 1973 hatte es den Frauen ein verfassungsmäßiges Recht auf Schwangerschaftsabbrüche zugesprochen und den Bundesstaaten verboten, dieses einzuschränken. Nun wollen gemäß dem Entwurf fünf der neun Richter dieses Recht aufheben.

"Ich bin echt sauer", sagt eine 14-jährige Schülerin aus Washington auf der Straße vor dem Gericht. "Wir haben so viel Fortschritt gemacht, und jetzt gehen wir wieder rückwärts. Das ist unfair, und dagegen will ich protestieren." Abtreibungen zu verbieten, könne Millionen Frauen das Leben kosten, sagt ihre Freundin. Sie nehme sonst nicht an Demonstrationen teil. "Aber das ist ein so wichtiges Thema."

Wohl ist die Entscheidung des Gerichts nicht in Stein gemeißelt. Das Beratungsverfahren dauert mehrere Wochen; das Urteil wird erst Ende Juni erwartet. Dabei könnten sich die Mehrheiten durchaus noch ändern. Bei den Demonstrantinnen macht sich jedoch bereits ein Gefühl der Ohnmacht breit.

Senator Bernie Sanders hofft auf die Mehrheit der Demokraten im Kongress

Besonders jene aus Washington könnten in eine missliche Lage geraten: Die Stadt tickt politisch links, doch steht sie unter direkter Verwaltung des US-Kongresses. Sollten die Republikaner dort die Mehrheit erringen, könnten sie in der Hauptstadt Abtreibungen verbieten. Besonders Abgeordnete aus konservativen ländlichen Regionen machen sich einen Sport daraus, die ungeliebten Hauptstädter zu piesacken. Schon bisher darf Washington zum Beispiel mittellose Frauen nicht bei Abtreibungen unterstützen.

Noch besitzen die Demokraten in beiden Kongresskammern die Mehrheit. Die müssten sie nun nutzen, um das Recht auf Abtreibung in einem Gesetz zu verankern, fordert nun unter anderem Bernie Sanders, der linke Senator aus Vermont.

Von diesen Plänen haben auch die Demonstranten gehört, doch sie wissen: "Die Demokraten haben nicht genug Stimmen", sagt etwa Chris Mancini. "Wir müssen an der Urne etwas ändern." Der Streit um das Abtreibungsrecht werde die linke Wählerschaft hoffentlich aufrütteln. "Die Mobilisierung ist ein wichtiger Faktor für den Wahlerfolg. Dieses Thema könnte dabei helfen." Demonstrationen fanden jedenfalls bereits in den meisten großen Städten des Landes statt.

Wer aber bei den Zwischenwahlen profitieren wird, ist umstritten. Die Republikaner könnten den Kurswechsel im Abtreibungsrecht als ihren Erfolg verkaufen - und als Leistung von Donald Trump, der die Mehrheit an dem Gericht zu den Konservativen verschob. Zudem werden die Republikaner die Gelegenheit nutzen, in jedem Staat mit Abtreibungsverboten ihre Basis zu motivieren. In rund der Hälfte der Staaten haben sie bereits Gesetze eingeführt, die Schwangerschaftsabbrüche einschränken oder gleich ganz verbieten; in Kraft treten die meisten erst, falls der Supreme Court seine bisherige Haltung auch wirklich ändert.

Das Abtreibungsrecht sei nur der Anfang, befürchtet MC Hammond, Anwältin in Washington: Das Gericht plane eine breite konservative Wende. Die Art und Weise, wie die veröffentlichte Mehrheitsmeinung begründet sei, stelle auch andere Rechte infrage, die in der Verfassung nicht erwähnt sind - etwa den Zugang zu Verhütungsmitteln oder die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare. Sie gründen alle auf demselben Verfassungsartikel, aus dem der Supreme Court bisher das Recht auf Abtreibung herleitete, sagt Hammond. "Das Gericht verletzt damit klar den Willen des Volkes." In der Tat zeigen Umfragen, dass eine Mehrheit der Amerikanerinnen und Amerikaner ein Recht auf Abtreibungen befürwortet.

Auch Republikanerinnen demonstrieren gegen das Urteil

Unter den Demonstrantinnen vor dem Obersten Gericht sind denn auch solche, die sich als beinharte Republikanerinnen bezeichnen. "Ich bin Republikanerin, aber zuerst bin ich eine Frau", sagt Jasmine, die ihren Nachnamen nicht nennt. "Jede Frau hat das Recht zu entscheiden, was mit ihrem Körper geschieht." Die libertären Argumente dazu steuert ihre Freundin Delaney bei: "Der Staat sollte nicht in die Rechte von Frauen eingreifen dürfen." Sie seien zur Kundgebung gekommen, um die Augen der Richter zu öffnen. "Wir wollen den Graben zwischen Republikanern und Demokraten überbrücken", sagt Jasmine.

Wie schwierig dieses Unterfangen ist, zeigt die Lautstärke dort, wo die verschiedenen Meinungen unter den Demonstrierenden aufeinanderprallen. Viele sind es nicht an diesem Mittwoch, die gegen Abtreibungen auf die Straße gehen. Er finde es richtig, was das Oberste Gericht plane - es jedem Bundesstaat zu überlassen, wie er Abtreibungen regeln will, sagt ein Mann, der seinen Namen nicht sagen will, weil er für das Verteidigungsministerium arbeite. "Das Volk soll entscheiden. Das ist eben Demokratie."

Anne und Jim Berger aus Michigan haben während einer Ferienreise nach Washington von den Demonstrationen erfahren. Sie marschierten schnurstracks selbst vor das Oberste Gericht, um die Abtreibungsgegner zu unterstützen. Er sei überzeugt, dass die Richter ihr Urteil bereits gefällt hätten, und hoffe, dass sie nicht einknickten, sagt Jim Berger. "Über das Abtreibungsrecht streiten wir seit Jahren. Die Richter hatten schon viel Zeit, darüber nachzudenken, und haben sich mit Sicherheit eine feste Meinung dazu gebildet."

Auf das Gericht werfen die Vorgänge kein gutes Licht

Das Gericht beeilte sich hingegen zu betonen, es habe noch kein Urteil gefasst. Der Vorsitzende, Chief Justice John Roberts, verurteilte die Veröffentlichung des Entwurfs. "Sofern der Verrat am Vertrauen des Gerichts die Integrität unseres Verfahrens untergraben sollte, wird das nicht gelingen", teilte Roberts mit. "Die Arbeit des Gerichts wird in keiner Weise beeinflusst."

Natürlich muss der Chief Justice auf die Unabhängigkeit des Supreme Courts pochen und jeden Anschein vermeiden, dieser nehme auf politische Befindlichkeiten Rücksicht oder lasse sich von Demonstrationen beeindrucken. Auf das Gericht werfen die jüngsten Vorgänge aber auch so kein gutes Licht. Dass interne Unterlagen für politisches Powerplay benutzt werden, ist ein neuartiger Vorgang, ein weiterer Hinweis dafür, wie politisch das Organ geworden ist, und beschädigt das Vertrauen in das Gericht. Roberts hat ein internes Aufsichtsorgan damit beauftragt, die Urheber des Leaks ausfindig zu machen. Allerdings ist der Personenkreis, der infrage kommt, ziemlich groß.

Unter den Demonstrantinnen und Demonstranten kursieren bereits die unterschiedlichsten Theorien dazu. Die Demokraten missbrauchten das Gericht, um ihre Wählerschaft aufzuwiegeln, sagt Abtreibungsgegner Jim Berger. Ganz im Gegenteil, ist Anwältin MC Hammond überzeugt: Der Entwurf sei veröffentlicht worden, damit die konservativen Richter ihre Meinung nicht mehr ändern.

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