USA:Abtreibung nicht einmal bei Vergewaltigung oder Inzest

Alabama führt das bisher radikalste Abtreibungsverbot ein. Das eigentliche Ziel konservativer Aktivisten reicht aber noch viel weiter.

Von Alan Cassidy, Washington

Noch vor Kurzem war diese Idee selbst vielen Abtreibungsgegnern zu extrem. Nun wird sie in weiten Teilen Amerikas Realität. Heartbeat Bill nennen Konservative das Gesetz, das sie jetzt in mehreren Bundesstaaten durchgebracht haben: Herzschlag-Gesetz. Es verbietet Abtreibungen nach der sechsten Woche einer Schwangerschaft, wenn also bei einem Embryo ein Herzschlag feststellbar ist.

Am Dienstagabend hat der Senat von Alabama die bisher schärfste Variante eines solchen Gesetzes verabschiedet. Es lässt einen Schwangerschaftsabbruch nicht einmal bei Vergewaltigung oder Inzest zu, sondern nur noch dann, wenn die Gesundheit der Mutter in Gefahr ist. Frauen, die dagegen verstoßen, werden zwar nicht bestraft. Ärzten, die einen Eingriff vornehmen, droht aber bis zu 99 Jahre Haft.

Die Republikaner sehen das Gesetz als Beleg dafür, dass Alabama "für den Schutz des Lebens" stehe. "Ich glaube, dass wir uns an Gottes Stelle setzen, wenn wir das Leben eines ungeborenen Kindes beenden", sagte Senator Clyde Chambliss während der Debatte. Seine Partei hatte zuvor einen von den Demokraten eingebrachten Zusatz zum Gesetz abgelehnt, der Ausnahmen bei Vergewaltigung oder Inzest vorsah. "Heute ist ein dunkler Tag für die Frauen in Alabama und im ganzen Land", sagte Staci Fox von der Organisation Planned Parenthood, die sich für ein Recht auf Abtreibung einsetzt. Abtreibung zu verbieten, sei schlimm genug. Ärzte dafür einzusperren, sei aber jenseits des Abgrunds.

Alabama ist nach Georgia, Mississippi, Kentucky und Ohio der fünfte Bundesstaat, der dieses Jahr ein Herzschlag-Gesetz beschlossen hat. In weiteren Staaten sind ähnliche Gesetze eingebracht. Mit einigen Ausnahmen zählen diese Staaten zum Süden der USA, dem Stammland der religiösen Rechten. Die Befürworter des Rechts auf Schwangerschaftsabbruch reden deshalb von einer "Abtreibungswüste", die sich von Florida bis nach New Mexico ziehe.

Viele Frauen, die ihr Kind abtreiben wollen, sehen sich dort schon länger gezwungen, für den Eingriff in andere Bundesstaaten zu reisen, weil die Hürden in den vergangenen Jahren schrittweise erhöht wurden. So gibt es in Mississippi - das halb so groß ist wie Deutschland - nur noch eine einzige Abtreibungsklinik.

Das Oberste Gericht müsste massive Gründe anführen, um einen Präzedenzfall zu kippen

Nun also die Herzschlag-Gesetze. In der Praxis kommen sie einem Totalverbot der Abtreibung gleich, weil sie schwangeren Frauen nur ein sehr kleines Zeitfenster für einen Schwangerschaftsabbruch einräumen. Viele Frauen wissen bis zur sechsten Woche gar nicht, dass sie schwanger sind. Noch sind die Gesetze in keinem Bundesstaat in Kraft, überall haben bereits Abtreibungsbefürworter und Bürgerrechtsorganisationen Klagen eingereicht oder angekündigt.

Genau dies ist auch das Ziel der konservativen Aktivisten, die hinter den Anstrengungen für ein Verbot stecken. Ihre offen deklarierte Absicht ist es, einen Rechtsstreit zu provozieren, der vor dem Obersten Gerichtshof in Washington landet - damit dieser eine Zeitenwende in der Abtreibungsfrage einläuten möge.

Der Supreme Court hatte 1973 Abtreibungen im ganzen Land in einem Grundsatzurteil namens Roe vs. Wade entkriminalisiert, indem es den Schwangerschaftsabbruch unter das Recht auf Privatsphäre stellte. Die religiöse Rechte, die in der Republikanischen Partei großen Einfluss genießt, hat dieses Urteil allerdings nie akzeptiert. Die Umkehr der Entscheidung ist für diese Kreise seit vielen Jahren ein heiliger Gral.

Seit Trumps Wahl fühlen sich Abtreibungsgegner ermutigt

Seit der Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten sehen sie sich ermutigt, alles zu versuchen, um den Supreme Court zu einer Neubeurteilung zu bewegen. Trump selbst war in früheren Jahren ein Befürworter des Rechts auf Schwangerschaftsabbruch. Nach seiner Kandidatur begann er aber damit, konservative Wähler mit dem Versprechen zu umwerben, nur Richter zu ernennen, die sich zu einer Aufhebung von Roe vs. Wade bekennen.

Mit der umstrittenen Ernennung des Juristen Brett Kavanaugh im vergangenen Jahr gibt es nun am Obersten Gericht eine klare konservative Mehrheit. Dennoch ist nicht sicher, wie die Bundesrichter in der Sache verfahren werden. Bisher zeigten sie keine Eile, Fälle anzunehmen, die zu einem neuen Grundsatzentscheid führen könnten. Der Supreme Court kann ein Urteil wie Roe vs. Wade auch nicht einfach aufheben, weil sich die politische Zusammensetzung des Gerichts verändert hat. Um einen Präzedenzfall zu kippen, müsste das Gericht wohl gewisse objektive Gründe geltend machen, neue wissenschaftliche Erkenntnisse etwa oder eine grundlegend veränderte öffentliche Haltung.

Abtreibungsgegner argumentieren, dass man heute viel mehr über die pränatale Entwicklung wisse als vor 45 Jahren. In der Bevölkerung zeigen Umfragen wie jene des Pew-Instituts aber eine stabile Mehrheit für das Recht auf Abtreibung. 58 Prozent der Amerikanerinnen und Amerikaner befürworten demnach den Schwangerschaftsabbruch "in allen oder fast allen Fällen", 37 Prozent lehnen ihn ab.

Demokratisch regierte Staaten kontern

Der Ton der Debatte hat sich aber in jüngster Zeit wieder verschärft. Um das Recht auf Abtreibung bei ihnen zu schützen, haben mehrere demokratisch regierte Bundesstaaten wie New York und Vermont zuletzt eigene Gesetze verabschiedet. Jenes in New York sieht dabei auch Spätabtreibungen nach der 24. Schwangerschaftswoche vor, wenn der Embryo nicht lebensfähig oder das Leben der Mutter in Gefahr ist. Die Republikaner sprechen seither davon, dass die Demokraten den "Kindesmord" legalisieren wollten.

Schon jetzt zeichnet sich ab, dass das Thema auch im Wahlkampf 2020 eine Rolle spielen wird. Eine Reihe von Präsidentschaftskandidaten der Demokraten verurteilte das neueste Gesetz in Alabama. "Dieses Verbot ist gefährlich und außerordentlich grausam", sagte Senatorin Elizabeth Warren. Kirsten Gillibrand, Senatorin aus New York, sprach von einem "Krieg" gegen die Frauen: "Wir müssen jetzt kämpfen wie verrückt."

Zur SZ-Startseite
Einsame junge Frau

SZ PlusSchwangerschaftsabbruch
:"Ich bereue die Abtreibung nicht"

Mutter werden - oder die Schwangerschaft abbrechen? Vier Frauen, die vor der Entscheidung standen, erzählen ihre Geschichte.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: