Süddeutsche Zeitung

Entwicklungen 2018:Was in den USA passiert ist, während alles auf Trump blickte

  • Viele gesellschaftspolitische Entwicklungen sind in den USA 2018 ohne große Öffentlichkeit abgelaufen.
  • So gehen Ermittlungen gegen Großfirmen zurück, der Umweltschutz verliert an Wichtigkeit.
  • Stattdessen rückt die katholische Kirche ins Zentrum von Ermittlungen.

Von Johannes Kuhn, Austin

Trump, Naturkatastrophen, Trump, Midterm-Wahlen, Trump: So in etwa lassen sich die in den USA dominierenden Themen der vergangenen zwölf Monate zusammenfassen. Doch hinter den Schlagzeilen, an denen es nicht mangelte, fanden auch weniger prominente, aber ebenso wichtige Entwicklungen statt - oder Veränderungen, die erst beim Blick zurück klarer werden. Was die USA im Jahr 2018 neben den Titelgeschichten noch beschäftigt hat - eine kleine Auswahl.

Großunternehmen entgehen Strafen

Die amtierende US-Regierung gilt als unternehmerfreundlich. Das schlägt auf die Ermittlungen von Justizministerium und Börsenaufsicht SEC gegen Firmen durch. Knapp vier Milliarden US-Dollar Strafzahlungen verhängte das Justizministerium in den ersten 20 Monaten seit Trumps Amtsantritt. Im gleichen Zeitraum der letzten Obama-Monate waren es 14 Milliarden. Aus 71 Untersuchungen gegen Banken wurden 17. Die Bank Barclays handelte eine angedrohte Strafzahlung wegen ihrer Rolle in der Finanzkrise von sieben auf zwei Milliarden US-Dollar herunter.

Die bei Republikanern verhasste Verbraucherschutzbehörde "Consumer Protection Bureau" ist unter Trump kaltgestellt, die Zahl ihrer angekündigten Untersuchungen ist um 75 Prozent gesunken, Mitarbeiter verlassen scharenweise die Behörde. Währenddessen sind die Verbraucherbeschwerden der Washington Post zufolge auf einem historischen Höchststand. Die Behörde war als Reaktion auf die Finanzkrise von 2007 geschaffen worden, um Banken etwa bei Kreditvergaben zu beaufsichtigen. Unter Trump kommt sie ihrer Aufgabe kaum noch nach.

Der Drohnenkrieg geht weiter

Kritiker nannten Barack Obama einst den "Drohnenkrieg-Präsidenten". Während seiner Amtszeit wurden die Tötungen von mutmaßlichen Terroristen aus der Luft zu einem Markenzeichen der US-Militärstrategie. Doch ein Vergleich der ersten beiden Amtsjahre zeigt: Während 2009 und 2010 unter Obama 186 Drohnenschläge in Ländern wie Jemen, Somalia und Pakistan ausgeführt wurden, waren es von 2017 bis Herbst 2018 unter Donald Trump bereits 286 Drohnenangriffe. Die neue US-Regierung hatte 2017 die Voraussetzung für solche Luftschläge gelockert. Der Drohnenkrieg scheint unter Trump einiges von seinem Empörungspotenzial verloren zu haben.

Katholische Kirche landesweit im Kreuzfeuer

Zwei Enthüllungen machten in diesem Jahr Schlagzeilen und brachten die katholische Kirche in Bedrängnis: Die Missbrauchsvorwürfe gegen den ehemaligen Erzbischof von Washington, Kardinal Theodore E. McCarrick. Und dann die mehr als tausend Missbrauchsfälle aus den vergangenen Jahrzehnten, die eine Untersuchung in Pennsylvania ans Tageslicht brachte.

Doch das war nur der Anfang: In 13 Bundesstaaten und der Hauptstadt Washington ermitteln inzwischen Staatsanwälte. Einige Diözesen haben auf öffentlichen Druck hin die Namen von Priestern veröffentlicht, denen in den vergangenen Jahrzehnten Missbrauch von Kindern und Jugendlichen vorgeworfen wurde. Und auch in Pennsylvania prüft das FBI nun, ob die katholische Kirche die Fälle systematisch vertuscht hat. Dann wäre eine Anklage möglich, die sonst nur gegen mafiartige Organisationen erhoben wird.

Heimatlos nach Naturkatastrophen

Wenn Waldbrände und Wirbelstürme ein paar Tage oder Wochen vorüber sind, lässt häufig das Interesse nach. Dabei haben die Naturkatastrophen für Betroffene oft Heimatlosigkeit zur Folge. Ein Jahr nach Hurricane Harvey, der vor allem im Süden der USA schwere Schäden angerichtet hatte, lebten in weniger privilegierten Gegenden in Texas immer noch zahlreiche Menschen in provisorischen Behausungen. Im September kündigte die US-Katastrophenschutzbehörde mehr als tausend Puerto Ricanern, die von den Wirbelstürmen 2017 betroffen waren, die Unterbringung. In Staaten wie Texas und North Carolina erhielten Mieter Kündigungen wegen Sturmreparaturen an ihren Wohnblocks - ein Abgleich mit den staatlichen Informationen zu Sturmschäden legt nahe, dass dies nicht selten ein Vorwand ist, um Bewohner loszuwerden und die Objekte teurer weiterzuvermieten. In Kalifornien dürften sich die Auswirkungen der verheerenden Waldbrände in den nächsten Monaten genauer nachvollziehen lassen. Dort treffen Mieter und Besitzer abgebrannter Häuser derzeit auf einen Immobilienmarkt, der völlig überlaufen ist.

Anzeichen für Paradigmenwechsel im Strafrecht

Wenige Tage vor Weihnachten verabschiedete US-Kongress eine Strafrechtsreform. Sie soll Mindeststrafen, automatische Gefängnisstrafen nach dem dritten Vergehen und das Strafmaß für nicht-gewalttätige Verbrechen abmildern. Aktivisten hatten sich zwar ambitioniertere Änderungen erhofft, doch der Paradigmenwechsel ist eingeleitet - und auf regionaler und lokaler Ebene doch deutlicher zu sehen: Eine neue Generation von Staatsanwälten hat in einigen Regionen und Bundesstaaten die Modernisierung in die eigene Hand genommen. Sie übt Augenmaß bei Strafmaß-Forderungen, lässt in einigen Bezirken sogar alte zweifelhafte Urteile aufarbeiten oder erschwert das Geschäft mit den umstrittenen Wucherkrediten für Kautionen.

Noch hat der Reformeifer nicht alle Landesteile erfasst, doch selbst in konservativen Bundesstaaten gibt es inzwischen Anstrengungen, das Strafrecht etwas humaner zu machen. Die sind auch der Tatsache geschuldet, dass Amerikas Gefängnisse völlig überbevölkert sind und die alttestamentarische Philosophie des "Auge um Auge" in der Praxis niemandem hilft. Auch die Bevölkerung trägt diesen Wandel mit: Zum Beispiel stimmten zwei Drittel der Wähler in Florida in einer Volksabstimmung dafür, Bürgern mit Vorstrafe nicht länger das Wahlrecht vorzuenthalten. Das betrifft gut eine Million Menschen.

Immer wieder ist von einzelnen Deregulierungsmaßnahmen der Umweltbehörde Environmental Protection Agency (EPA) zu lesen. Sie wird seit dem Sommer vom ehemaligen Energie- und Kohle-Lobbyisten Andrew Wheeler geleitet, der zum Leidwesen von Umweltschützern rechtlich sauberer dereguliert als sein Vorgänger Scott Pruitt. Wie groß ist das Ausmaß der Maßnahmen? Ein unvollständiger Rückblick auf das 2018:

Die EPA kippte die unter Barack Obama festgelegten Emissionsregeln für Kohlekraftwerke und gab die CO2-Richtlinien größtenteils in die Hand der Bundesstaaten; legte einen Entwurf vor, der die eigenen Rechte bei der Untersuchung der Trinkwasserqualität einschränkt; zog die Methan-Begrenzungen für Öl- und Gasbohrungen auf bundesstaatlichem Land zurück; strich Regulierungen für die Asche-Entsorgung bei Kohle-Kraftwerken; lockerte die KfZ-Abgasvorschriften und schwächte die Rechte der Bundesstaaten, eigene (niedrigere) Abgasnormen zu verabschieden; erlaubte Bauern die Nutzung des umstrittenen Monsanto(Bayer)-Spritzmittels Dicamba, das nicht-genveränderte Pflanzen schädigen kann und wegen wachsenden Glyphosphat-Immunität von Ukräutern eingesetzt wird; versprach der Gas- und Ölindustrie, mit weiteren Deregulierungen die "Wettbewerbsfähigkeit amerikanischer Firmen" zu stärken; nahm Vorschriften zur Entsorgung von Abfallprodukten aus Uran-Minen zurück; schaffte einen Beirat ab, der die Kriterien zur Luftreinheit festzulegen half; wird bei der Überprüfung möglicher giftiger Chemikalien nicht mehr die Wirkung auf Luft, Wasser und Boden analysieren; nahm das Sommerverbot für Benzin mit 15-prozentigem Ethanolanteil zurück, das einst als Reaktion auf den Smog in vielen Großstädten eingeführt wurde; schlug eine Erhöhung der Grenzwerte im Strahlenschutz vor; erlaubte in bestimmten Fällen wieder den Vertrieb von Produkten mit Asbest; forderte von Trump-kritischen Behördenmitarbeitern die Herausgabe dienstlicher E-Mails; plant Medienberichten zufolge, die Regeln für Kohlenstoff-Abscheidung in neuen Kohlekraftwerken und Quecksilber-Verschmutzung größtenteils außer Kraft zu setzen; beendete eine Untersuchung über die ethisch fragwürdigen Praktiken des im Sommer zurückgetretenen Ex-Chefs Scott Pruitt ohne Ergebnis.

Gegen zahlreiche Entscheidungen wurden bereits Klagen eingereicht. Nicht enthalten in der Liste ist die intensiv vorangetriebene Freigabe öffentlichen Lands für den Abbau von Öl und Gas. Für sie ist das Innenministerium verantwortlich, dessen Leiter Ryan Zinke im Dezember sein Amt niederlegte, nachdem er wegen mutmaßlicher Interessenkonflikte in die Kritik geraten war.

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