Süddeutsche Zeitung

US-Wahlkampf:Trumps Kampagne implodiert

Die vulgäre Aufnahme, in der Trump sexuelle Übergriffe verharmlost, widert Wählerinnen an - jeder Mann sollte schockiert sein. Das ist der Skandal, den der Republikaner politisch nicht überleben dürfte.

Kommentar von Matthias Kolb, Washington

32 Tage vor der US-Präsidentschaftswahl ist der Moment gekommen, an dem aus Donald Trump ein normaler Politiker wird. Mehr als ein Jahr lang schien er unbesiegbar: Seine Umfragewerte blieben hoch, obwohl er Einwanderer aus Mexiko als "Vergewaltiger" bezeichnet, die muslimischen Eltern eines toten US-Soldaten beleidigt, die Wiedereinführung der Folter gefordert und unzählige Verschwörungstheorien verbreitet hatte. Dass er Frauen als "Bimbo", "Fressmaschine" oder "Miss Piggy" bezeichnet hatte, war ihm keine Entschuldigung wert.

Doch das Video aus dem Jahr 2005, in dem er sexuelle Übergriffe verharmlost und sich nach seiner dritten Hochzeit damit brüstet, verheirateten Frauen nachzustellen, ist von einem anderen Kaliber. Bislang konnten sich Republikaner oder chronische Hillary-Clinton-Hasser einreden, dass er auch im Wahlkampf alte Fehden mit der Schauspielerin Rosie O'Donnell ("fettes, hässliches Gesicht") oder der früheren Miss Universe Alicia Machado fortsetzt.

Doch nun kann jeder US-Wähler und der Rest der Welt hören, wie der Kandidat der Republikaner solche Dinge sagt: "Und wenn du ein Star bist, lassen sie dich alles machen. Ihnen an die Pussy fassen, alles." Trumps Image als Sexist und Frauenfeind ist damit ein weiteres Mal belegt.

Trumps Worte sollten neben den zurecht angewiderten Frauen auch alle Männer schockieren. Egal ob sie Väter, Ehemänner, Lebenspartner, Brüder oder Onkel sind: Niemand kann wollen, dass Frauen als Objekte angesehen werden, die (Reality-TV-) Stars jederzeit küssen, bedrängen oder an intimsten Stellen betatschen dürfen.

Trumps Statement vom privaten "Kabinen-Gequatsche" und "Ich entschuldige mich, falls sich jemand beleidigt fühlt" ist nicht ausreichend, denn zu entschuldigen gibt es hier nichts. Trump wurde nicht reingelegt (2005 moderierte er seine Show "The Apprentice" und sollte wissen, dass Mikrofone stets angeschaltet sein können): Das Video, das der Washington Post zugespielt wurde, dokumentiert ungefiltert das Denken des Immobilien-Unternehmers.

Die Demokraten werden dafür sorgen, dass das Video nicht vergessen wird

Natürlich werden überzeugte Trump-Fans weiter zu ihm halten, weil sie weder Hillary Clinton noch die politischen Ziele der Demokraten leiden können. Bei Twitter und Facebook gibt es sogar Wortmeldungen, in denen von einer Fälschung des Videos die Rede ist - obwohl Trump die Echtheit bestätigt hat.

Schon vor den Skandal-Aufnahmen hatte die Unterstützung der Amerikanerinnen Hillary Clinton zur Favoritin gemacht: Laut Quinnipiac beträgt ihr Vorsprung unter Wählerinnen 53 zu 33 Prozent. Die Demokraten werden dafür sorgen, dass die Aussagen bis zum 8. November nicht in Vergessenheit geraten. Seit zwei Wochen sehen Wähler in swing states in den Werbepausen einen 30-Sekunden-Clip, in dem Mädchen vor Spiegeln stehen - im Hintergrund sind Trumps sexistische Ausfälle zu hören.

Dass sich der Kandidat zehn Stunden lang im goldenen Trump Tower verschanzt und nach Mitternacht Ortszeit ein trotziges Video veröffentlicht, macht nichts besser. Vor der TV-Debatte stand Trump wegen seines Umfrage-Rückstands ohnehin unter Druck: Nun distanzieren sich mit Paul Ryan, dem Chef des Repräsentantenhauses, und Parteichef Reince Priebus wichtige Republikaner von Trumps Äußerungen (mehr über die angewiderten Konservativen in diesem SZ.de-Text). Und das einen Monat vor der Wahl.

Top-Republikaner distanzieren sich - das Image der Partei wird leiden

Sie geben damit anderen Republikanern - gerade jenen, die in knappen Wahlkampf-Rennen sind - stillschweigend die Erlaubnis, vom Kandidaten abzurücken. Wer wie die Senatoren Mark Kirk in Illinois oder Kelly Ayotte in New Hampshire in eher liberalen Staaten antritt, hat gar keine andere Wahl. Die Alternative ist ein Wahlkampf-Endspurt, der sich nur um das Verhältnis zum beschädigten Spitzenkandidaten dreht. Und auch für evangelikale Christen oder den strenggläubigen Vize Mike Pence dürfte es schwer werden, diese Aussagen schönzureden oder wegzulächeln.

Für die Republikaner, die ohnehin seit langem Probleme mit Frauen sowie Latinos und Afroamerikanern haben, ist dieses Video ein Super-Gau. Bisher galt die Partei ohnehin schon als "intolerant, altmodisch und technikfeindlich", wie die Analystin Soltis Andersen herausfand. Mit seinen Sprüchen aus dem Jahr 2005 dürfte Trump dafür sorgen, dass altmodisch nun in den Köpfen vieler Wählerinnen auch "frauenfeindlich" bedeutet. Konservative Beraterinnen und Kommentatorinnen warnen eindringlich vor Langfrist-Schäden und fordern deutliche Worte und eine klare Distanzierung der Partei-Elite.

Dass der damals 56-jährige Geschäftsmann seinerzeit Mitglied der Demokraten war (mehr über Trumps diverse Parteiwechsel), darf keine Ausrede sein. Es waren die Wähler und Mitglieder der Grand Old Party, die Donald Trump in Vorwahlen zu ihrem Kandidaten fürs Weiße Haus gemacht und beim Parteitag in Cleveland zugejubelt haben. Wenn ihr Favorit im November krachend verliert, sind sie selbst daran schuld.

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