Amerikanische Präsidentschaftswahlkämpfe zeichnen sich durch ihre Länge und Brutalität aus. Lang dauert die Aussage von Hillary Clinton vor dem Bengasi-Sonderausschuss fraglos: Von zehn Uhr morgens bis neun Uhr abends beantwortet die Ex-Außenministerin Fragen über die Vorgeschichte des Terroranschlags auf das US-Konsulat im libyschen Bengasi und warum sie die Öffentlichkeit wann und wie informiert habe.
Wirklich brutal ist dieser Tag jedoch nicht für die Top-Favoritin auf die Nachfolge von US-Präsident Barack Obama: Die Demokratin macht keinen schweren Fehler. Sie betont, wie entsetzt sie über den Tod der vier US-Amerikaner in Bengasi sei; dass sie anschließend alles getan habe, um eine solche Tragödie zu verhindern und die US-Diplomaten besser zu schützen.
Die Reaktionen folgen stets den parteipolitischen Linien: Die sieben Mitglieder der Republikaner versuchen, der ehemaligen Außenministerin Nachlässigkeit und Überheblichkeit nachzuweisen, während die fünf Demokraten ihrer Parteikollegin die Zeit geben, sich ausführlich zu äußern und Anschuldigungen der Konservativen ( Details in diesem SZ-Artikel) zurückzuweisen. Wirklich brutal ist nur der Umgang mancher Ausschussmitglieder miteinander, die sich wiederholt anbrüllen, über die Offenlegung diverser Protokolle streiten und wütend in die Pausen stürmen. Clinton verfolgt grinsend dieses politische Theater mit Laiendarstellern.
Viele Nachfragen zu Clintons E-Mails
Im Zentrum der Diskussion stehen dabei meist jene E-Mails, die Hillary Clinton als oberste Diplomatin zwischen Anfang 2009 und Anfang 2013 erhalten und versendet hat. Die Republikaner wollen wissen, wieso Clinton angeblich niemals über die Bitten des in Bengasi getöteten Botschafters Chris Stevens nach mehr Sicherheitskräften informiert wurde - und zugleich mehr als 100 E-Mails von Sydney Blumenthal erhielt, einem alten Bekannten ihres Mannes, der in Libyen Geschäfte machen wollte.
Der Eindruck, der erweckt werden soll, ist klar: Clinton war es 2012 wichtiger, einem Freund der Familie zu helfen, als sich um die Sicherheit der US-Diplomaten in Libyen zu kümmern. Ohne allzu gereizt zu wirken, sagt die 67-Jährige mehrmals: "Sydney Blumenthal war und ist nie mein Libyen-Berater gewesen." In ihrem Berufsalltag spielen E-Mails angeblich keine Rolle: "In meinem Büro im Außenministerium befand sich kein Computer. Ich brauche E-Mails nicht für meine Arbeit." Stevens, den sie als "Freund" bezeichnet, habe wie alle anderen Diplomaten gewusst, wie sie zu erreichen sei: "Niemand brauchte meine E-Mail-Adresse, um meine Aufmerksamkeit zu erhalten."
Dass die Republikaner ständig auf Blumenthal zurückkommen, liegt an dessen Lebensgeschichte, die untrennbar mit den Clintons verknüpft ist: Der ehemalige Journalist der Washington Post arbeitete unter Präsident Bill Clinton im Weißen Haus, bevor er in Washington als Lobbyist und Berater tätig war. 2007 unterstützte er Hillary bei deren Wahlkampagne und war anschließend bei der Clinton-Stiftung angestellt, während er parallel Geschäfte in Libyen starten wollte. Für viele Konservative sind die Blumenthal-Mails Beleg dafür, dass Hillary ihren Bekannten Aufträge zuschustert .
Das lange Hin und Her in der zähen Auseinandersetzung zwischen Republikanern und Demokraten wird die Meinung von nur wenigen Amerikanern verändert haben. Einen Tag vor Clintons Anhörung hatte eine Umfrage des Time-Magazins ergeben, dass 52 Prozent der Befragten den Sonderausschuss als parteipolitisch motiviert ansehen, dessen einziges Ziel es sei, Clintons Ruf zu schädigen. Regelmäßig fällt das Wort "Hexenjagd".
Nach 17 Monaten und mehr als 4,5 Millionen Dollar hat das "Benghazi Select Committee" des Repräsentantenhauses zumindest kaum Fakten hervorgebracht, die Hillary Clinton wirklich belasten können. Ob einzelne Republikaner wirklich überzeugt sind, dass die 67-Jährige etwas zu verbergen hat oder ob es eher darum geht, sich vor den heimischen Wählern als unerbittliche Inquisitoren darzustellen, wirkt fast nebensächlich. Die Tatsache, dass Clinton als Chefdiplomatin ihre E-Mails über einen privaten Server versenden ließ und dies mit "Bequemlichkeit" begründete, wird an diesem Tag kaum thematisiert.
Clinton versucht, sich präsidentiell zu geben
Die ehemalige First Lady und Senatorin nutzt hingegen jede Chance, sich kundig und staatstragend zu geben. Es sei doch viel wichtiger, in die Zukunft zu blicken und darauf zu setzen, dass Kongress und Regierung kooperieren. Clinton verweist darauf, dass beide Parteien immer wieder die Sicherheitsbestimmungen angepasst und dafür mehr Geld bereitgestellt hätten - etwa nach 9/11, den Anschlägen auf die US-Botschaft in Beirut während der Reagan-Zeit oder nach den Al-Qaida-Attacken in Kenia und Tansania während der Clinton-Präsidentschaft. Dieser Appell an Überparteilichkeit und Vernunft klingt schon ziemlich präsidentiell.
Momentan spricht alles dafür, dass die Kandidatin Hillary Clinton im Oktober viele Hindernisse überwindet. Erst dominiert sie die TV-Debatte, danach steigt Vizepräsident Joe Biden nicht ins Rennen ums Weiße Haus ein und nun ist diese monatelang erwartete Anhörung glimpflich zu Ende gegangen - fast alle US-Medien sehen die Ex-Außenministerin als "Gewinnerin" des Abends. Auch wenn Widersprüche bleiben und Clinton die Verantwortung in Sachen Bengasi von sich weist und Mitarbeitern ihres Ministeriums gibt, wirken die Republikaner noch viel unglaubwürdiger.
Nach einem mehr als holprigen Sommer scheint dieser Herbst für Clinton ziemlich gut zu verlaufen. Ihrem Ziel, als erste Frau US-Präsidentin zu werden, ist sie auf alle Fälle näher gekommen.