Süddeutsche Zeitung

US-Wahlkampf:Diszipliniert, misstrauisch, bereit

Die vergangenen 18 Monate Wahlkampf verraten viel über die Person Hillary Clinton - und darüber, wie ihre mögliche Präsidentschaft aussehen könnte.

Von Matthias Kolb, Washington

Hillary Clinton hat in ihrem Leben viele gläserne Decken zertrümmert. Als erste First Lady übernahm sie 1993 die Verantwortung für ein Sachgebiet (Gesundheitspolitik) und hatte ein eigenes Büro in der Nähe des Präsidenten. Vor ihr war keine Frau in New York zur Senatorin gewählt worden und vor ihr hatte keine Frau eine Vorwahl gewonnen.

All das verblasst gegen den bisherigen Höhepunkt ihrer Karriere: Am 26. Juli wurde die Ex-Außenministerin zur ersten Präsidentschaftskandidatin einer großen Partei in der 240-jährigen Geschichte der USA gewählt. Auch wenn die neuen FBI-Ermittlungen in der E-Mail-Affäre für viel Wirbel und offene Fragen sorgen: Sieben Tage vor der Wahl spricht fast alles dafür, dass auf den ersten schwarzen Präsidenten Barack Obama die erste US-Präsidentin folgt.

Seit mehr als einem Vierteljahrhundert ist "Hillary" in den USA so präsent, dass die Nennung ihres Nachnamens fast überflüssig ist und jeder eine Meinung über sie hat. Momentan ist sie ähnlich unbeliebt wie Donald Trump - 47 Prozent der Wähler haben eine "sehr schlechte" Meinung über beide. Dies ist eine Folge der vergangenen 18 Monate Wahlkampf, in der sie erst gegen Senator Bernie Sanders und dann gegen Trump bestehen musste. Doch diese eineinhalb Jahre verraten viel über die Person Hillary Clinton - und wie sie im Weißen Haus agieren könnte.

Fitness, Fleiß, Detailkenntnis: Clinton ist bereit für das Amt. Im Sommer warf Donald Trump seiner Rivalin permanent vor, es fehle ihr an "Stehvermögen". Clintons Schwächeanfall bei der 9/11-Gedenkfeier schockierte viele progressive Amerikaner, weil Trump zugleich in Umfragen aufholte. Grund für den Kollaps war eine verschleppte Lungenentzündung - und die Tatsache, dass sich die arbeitswütige Clinton zu wenig Pausen gönnt.

Aus deutscher Sicht ist der US-Wahlkampf absurd lang, die Kandidaten werden mehr als ein Jahr lang getestet. Nur Verschwörungstheoretiker werden bestreiten, dass die 69-Jährige körperlich fit ist. Neben unzähligen Auftritten, Spendengalas und Interviews fand sie genug Zeit, um sich perfekt auf die TV-Debatten vorzubereiten und Trump empfindlich zuzusetzen. Dass sie fachlich kompetenter ist, stand nie in Zweifel. Trump selbst gestand am Ende des zweiten TV-Duells ein, wie fleißig und unbeirrbar Clinton ist: "Sie ist eine Kämpferin und steht immer wieder auf."

Die Skandale und Affären nehmen kein Ende. Seit Bill Clinton 1992 fürs Weiße Haus kandidierte, werden er und seine Frau Hillary ihre diversen Skandale und Affären nicht mehr los. Nie wurden sie gerichtlich verurteilt, vieles wurde extrem aufgeblasen. Aber dieser Wahlkampf zeigt, dass Clinton für die Mehrheit der Amerikaner das Establishment verkörpert - und das gilt als machtgeil und korrupt. Als Insider zu gelten, ist gefährlich in dieser Zeit der Wut, wo der Wunsch nach Veränderung riesig und das Vertrauen in Berufspolitiker gering ist.

Die jüngste Wendung in den Ermittlungen wegen Clintons privatem Mail-Server macht deutlich: Dieses Thema wird in den kommenden Jahren ebenso wenig aus der Diskussion verschwinden wie ihre Nähe zur Wall Street und die hochbezahlten Reden, die die Ex-Außenministerin in den Jahren 2013 und 2014 vor Banken und Industrieverbänden hielt.

Dies liegt nicht nur daran, dass es den Republikanern politisch nutzt - es war Clinton, die seinerzeit über ihre Auftritte und E-Mail-Praxis entschied, obwohl sie als Präsidentschaftskandidatin erwartbar im Fokus stehen würde. Es hat ihren Ruf verstärkt, abgehoben und elitär zu sein. Viele Amerikaner haben kein Verständnis, dass dass die Clintons seit Ende von Bills Präsidentschaft 2001 allein durch Reden 153 Millionen Dollar verdient haben (die Millionen-Vorschüsse und Honorare für diverse Bücher sind hier nicht enthalten).

Ihr tiefes Misstrauen gegenüber Medien schadet ihr. Nach Ansicht vieler Beobachter gibt es einen Moment, der Clintons Beziehung zu Journalisten definiert. Im Dezember 1993 wurde im Weißen Haus diskutiert, ob alle Unterlagen zum "Whitewater"-Immobiliendeal offengelegt werden sollen (seit Jahrzehnten wird dem Ehepaar Clinton hier Betrug vorgeworfen, was vielfach widerlegt ist). Bill und seine Berater waren dafür, doch Hillary legte ein Veto ein, um ihre Privatsphäre zu schützen.

Die Folgen waren enorm, wie die Clinton-Kennerin Karen Tumulty in der Washington Post resümiert. Die Republikaner setzten einen Sonderermittler ein, der schließlich die Affäre von Bill mit der Praktikantin Monica Lewinsky entdeckte (Details hier). Damals bekam die First Lady den Eindruck, der rechte Rand des konservativen Flügels habe sich gegen sie verschworen - später sprach sie über eine right-wing conspiracy. Die Klage ist nicht unberechtigt, denn viele konservative Autoren verdienen seit Mitte der 90er Millionen mit Anti-Hillary-Büchern, die sie auf Fox News promoten.

Clintons Geheimniskrämerei hat seitdem eher zu- als abgenommen. Und dank Wikileaks lässt sich nachlesen, dass ihre derzeitgen Berater damit nicht einverstanden sind: Ihr "grauenhafter politischer Instinkt" verhindere, dass solche Themen früher öffentlich gemacht und so aus der Welt geschafft werden, heißt es dort. Wenig spricht dafür, dass eine Präsidentin Clinton transparenter agieren wird als die Kandidatin.

Im Falles eines Wahlsiegs wäre Bill Clinton nicht nur der erste First Gentleman, sondern auch der erste Ex-Präsident, der ins Weiße Haus zurückkehrt. Auch wenn der 70-Jährige unermüdlich Wahlkampf macht: Er steht nicht wirklich im Zentrum des Interesses, wenn er seine Bustouren durch Iowa und Ohio absolviert.

Seit seiner vielgelobten Rede beim Parteitag hat Bill seiner Frau eher Probleme beschert: Die Wikileaks-Nachrichten machen klar, wie gut geölt die "Bill Clinton GmbH" läuft und dass die Wohltätigkeitsarbeit wohl auch dazu diente, lukrative Reden zu halten und Millionen zu verdienen. Flüge im Privatjet und Luxusurlaub auf Kosten anderer: Der Eindruck von Günstlingswirtschaft drängt sich auf. Egal ob Russland, Saudi-Arabien, Norwegen, Katar oder Marokko: Wenn Präsidentin Clinton im Amt ist, wird im Umgang mit diesen Staaten immer an die Millionen-Spenden der Regierungen oder andere Projekte der Stiftung erinnert werden.

Ob sie ihren Mann mit einem Posten betrauen wird, scheint offen (im Mai witzelte sie, er solle ihr "Job-Zar" werden) - und würde weitere Probleme schaffen. Wenn ein Beamter eine Sex-Affäre mit einer Praktikantin hat, dann erhält er nie wieder einen Regierungsauftrag. Das sollte eigentlich auch für den Ex-Präsidenten gelten. Eine Aufgabe für Bill zu finden, wird nicht leicht.

Sie erfährt Respekt, aber löst keine Begeisterung aus. Das Urteil des Publikums ist eindeutig: Eine junge Mutter nennt die Rednerin "ein Vorbild für mich und meine Tochter", während ein Mann schwärmt: "Sie ist die Beste." Diese Menschen sind Demokraten - und sie reden über Michelle Obama, die in Phoenix für Clinton wirbt. Wenn die Kandidatin selbst dort am Mittwoch auftritt, wird sich die Begeisterung in Grenzen halten: Für Jubelstürme sorgen die beiden Obamas oder Elizabeth Warren und Bernie Sanders.

Es sind die linken Senatoren, die gerade junge Amerikaner inspirieren: Dass bis zu 80 Prozent der Wählerinnen unter 30 im Vorwahlkampf für Sanders stimmten, schockiert Hillaryland noch immer. Sanders und Warren werben nun für Clinton, doch das hilft deren Popularität nicht. Was gern ignoriert wird: Seit das FBI im Juli seine Ermittlungen einstellte, verharren ihre Werte auf niedrigem Niveau. Seit Monaten sagen nur 40 Prozent der Wähler, dass sie Clinton für "ehrlich" und "vertrauenswürdig" halten. Fazit: Von der Mehrheit kann sie höchstens Respekt für ihren Fleiß und ihre Intelligenz erwarten. Das Beispiel Angela Merkel zeigt, dass dies ausreichen kann.

Sie hat einen Plan. Nein: viele Pläne. Hillary Clinton ist stolz darauf, ein policy wonk zu sein und redet gern über Steuersätze, erneuerbare Energien oder die Gründe für Armut in Amerika. Zu allen Politikfeldern präsentiert sie auf ihrer Website detaillierte Vorschläge (die wichtigsten Punkte in dieser SZ-Übersicht). Ihre Neigung, bei Wahlkampf-Events Fünf-Punkte-Pläne zu referieren, ermüdet ihr Publikum - doch die Vorbereitung wird ihr im Oval Office helfen. Clinton hat eine realistische Vorstellung, was sie als Präsidentin erreichen kann und glaubt an Institutionen und den politischen Prozess. Durch Kompromisse und richtige Gesetze lassen sich die USA ein bisschen gerechter machen.

Sie hat ein gutes Netzwerk und weiß, wer ihr nützen kann. Acht Jahre lang war Clinton US-Senatorin und in dieser Zeit und als Chefdiplomatin arbeitete sie oft mit konservativen Kollegen zusammen. Diese Republikaner reden nicht so schlecht über sie wie ihre Parteikollegen. Das politische Klima hat sich verschlechtert, aber die 69-Jährige ist bereit, anderen das Rampenlicht zu überlassen. Dass sie unter Obama als Außenministerin arbeitete und sich mit Sanders zusammengerauft hat, zeigt neben Kalkül eben diese Kompromissbereitschaft. Seit Wochen ist Clinton sehr pragmatisch: Sie weiß, dass die Auftritte der All-Star-Truppe (Michelle und Barack Obama sowie Sanders und Warren) mehr bewirken als ihre eigenen oder die von Ehemann Bill und Tochter Chelsea.

Sollte Hillary Clinton die Wahl am 8. November gewinnen (FivethirtyEight gibt ihre Siegchancen mit etwa 75 Prozent an), dann dürfte sich auch zeigen, inwieweit sie an einer anderen Eigenschaft festhält, die stets erwähnt wird. Der Demokratin ist Loyalität extrem wichtig und schätzt Treue ungemein - dies dürfte bei der Wahl ihrer Minister, Diplomaten und Richter eine große Rolle spielen.

Dass sie es anders anders ihr Ehemann Bill oder Barack Obama keine geborene Wahlkämpferin ist, hat Hillary Clinton freimütig eingeräumt. Ihre Freunde, Mitarbeiter und Kollegen beschreiben sie im privaten Umgang als warmherzig, humorvoll und mitfühlend - doch das überträgt sich nicht. Allerdings zählen im Oval Office andere Fähigkeiten und dort würde der für sie angenehmere Teil beginnen: Clinton ist viel besser im Zuhören als im Reden - und im modernen US-Wahlkampf zählt der Auftritt vor Tausenden Leuten und Kameras mehr als das Treffen mit sechs Bürgern.

Aber in einer Woche ist das Spektakel endlich vorbei.

Linktipps: Das schwierige Verhältnis zwischen Hillary Clinton und den Medien wird sehr gut in diesem Washington Post-Artikel von Karen Tumulty beschrieben. Ezra Klein, der Gründer von Vox.com versucht in diesem langen Text zu erklären, wieso Clinton als "steif und kalkuliert" gilt - und ihre engsten Mitarbeiter sie als warmherzig und humorvoll beschreiben. Das Interview, das Klein im Juli mit Clinton führte, gibt einen guten Eindruck, wie Clinton über Politik denkt und wie Details aus ihr heraussprudeln. Das macht es zu einer spannenden Lektüre für Polit-Nerds und Wonks.

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