US-Wahl:Wo Amerikas Drogen-Epidemie wütet, setzt man auf Trump

Vermont Battles With Deadly Heroin Epidemic

Heroin-Abhängiger in den USA: Die Soziologin Shannon Monnat zeigt, dass Trump in jenen Wahlbezirken besonders gut abschnitt, in denen viele Weiße süchtig sind.

(Foto: AFP)

In Gegenden, wo besonders viele Weiße süchtig nach Heroin und Schmerzmitteln sind, hat Trump besonders klar gewonnen. Das ländliche Amerika wurde von Obamas Regierung zu lange ignoriert.

Von Matthias Kolb, Washington

Ein Monat ist seit dem überraschenden Wahlsieg von Donald Trump vergangen und die Suche nach den Ursachen wird viele Menschen noch viele Monate beschäftigen. Den einen Faktor wird man nicht finden: Weder eine angeblich wundersame Big-Data-Geheimoperation noch die angeblich fehlende Unterstützung für Hillary Clinton durch Schwarze oder Latinos. Viele Ad-hoc-Erklärungen können nun differenzierter gesehen werden - nachzulesen in dieser SZ-Analyse.

Doch je genauer Wissenschaftler die Wahlergebnisse auswerten, umso besser lässt sich die Anziehungskraft von Trump erklären. Die Soziologin Shannon Monnat zeigt, dass Trump in jenen Wahlbezirken besonders gut abschnitt, in denen viele Weiße süchtig nach Heroin und Schmerzmitteln sind. Diese befinden sich in ländlichen Regionen in West Virginia, Kentucky oder Indiana (hier dominieren die Republikaner seit langem). Doch die Drogen-Epidemie wütet auch in Ohio, Pennsylvania und Michigan, wo Obama zwei Mal siegen konnte und Hillary Clinton nun unterlag.

Um das beängstigende Ausmaß des Drogenproblems zu begreifen, helfen einige Zahlen.

  • 2015 starben erstmals mehr US-Amerikaner an einer Überdosis Heroin, als mit Schusswaffen ermordet wurden. Laut der Gesundheitsbehörde CDC tötete Heroin 12 989 Menschen, ein Anstieg von etwa 2000 Opfern. Die Zahl der erschossenen Mordopfer lag bei 12 979 (mehr Details hier). An natürlichen Opiaten wie Hydrocodon und Oxycodon, die in Schmerzmitteln verwendet werden, starben etwa 12 000 Menschen; fast 10 000 weitere wurden durch synthetisch hergestellte Opiate getötet. Insgesamt starben durch Opiate 33 000 Amerikaner.
  • Erstmals seit mehr als zwei Jahrzehnten ist die Lebenserwartung in den USA gesunken: Hatte ein Neugeborenes 2014 im Durchschnitt 78,9 Lebensjahre vor sich, waren es 2015 nur noch 78,8 Lebensjahre, wie das CDC mitteilte.
  • Ende 2015 schockierte eine Studie zweier Princeton-Ökonomen, wonach immer mehr weiße US-Amerikaner mit niedrigem Bildungsstand häufig mit etwa 50 Jahren sterben - wegen Drogensucht, Alkoholmissbrauch und Suizid. Die Forscherin Anne Case spricht von deaths of despair - also von "Tod aus Verzeiflung". Von Afroamerikanern und Latinos werden dagegen immer mehr Menschen älter als 54 (Details hier).

Die Studie von Shannon Monnat zeigt klar: Trump schnitt dort am besten ab, wo die Sterberate wegen Drogen- und Alkoholmissbrauch am höchsten lag (Studie hier als PDF). Die Forscherin der Penn State University betont, dass sie dies nicht als alleinige Erklärung für Trumps Sieg ansieht - aber sie schreibt in einer Fußnote: "Auch wenn 14 verschiedene Faktoren zu Demographie, Wirtschaft und Gesundheit einbezogen werden, ist Sterberate der beste Indikator, um ein überdurchschnittliches Ergebnis Trumps vorherzusagen."

Monnat vergleicht Trumps Werte mit jenen von Mitt Romney, dem republikanischen Kandidaten des Jahres 2012. In Scioto County, einem Arbeiterbezirk in Ohio, hat sich die Sterberate bei Drogenabhängigen seit 1999 mehr als verdoppelt - Trump erhielt 33 Prozentpunkte mehr als Romney. Ähnlich bezeichnend ist Coos County in New Hampshire, an der Grenze zu Kanada. Hier siegte Obama zwei Mal, doch 2016 lag Trump mit zehn Punkten deutlich vor Clinton (sie gewann knapp im Granite State). Dass in Coos County der Anteil der Industriejobs von 49 (Mitte der Achtziger) auf neun gefallen ist, hat Trumps "Make America Great Again"-Botschaft sicher noch attraktiver gemacht.

Im Vorwahlkampf wurde Drogen-Epidemie sehr wohl diskutiert ...

In New Hampshire, wo die zweite Vorwahl stattfand, ist das Thema Schmerzmittel- und Heroinsucht allgegenwärtig. Dort, im beschaulichen und dünn besiedelten New-England-Staat, sterben mehr Menschen an einer Überdosis als an Autounfällen - die Opfer sind vor allem weiß und es trifft alle Schichten. In Manchester, der bevölkerungsreichsten Stadt, kümmert sich Susan McKeown seit 20 Jahren um Eltern mit drogensüchtigen Kindern. Im Februar sagte sie zur SZ: "Früher ging es um Alkohol und Marihuana, heute nur um Heroin und Opiate. Die Kinder stehlen alles, was nicht niet- und nagelfest ist. Es zerreißt ganze Familien und Nachbarschaften."

Damals sprachen fast alle Präsidentschaftskandidaten - von Jeb Bush bis zu Carly Fiorina - über Verwandte, die mit Drogensucht zu kämpfen hatten (mehr in diesem SZ-Blog). Doch nichts kam besser an als Trumps Forderung nach einer Grenzmauer zu Mexiko, die neben illegalen Einwanderern auch Drogen aufhalten soll. Dass auch die Anti-Drogen-Botschaft Trumps umstrittenstes Projekt so populär machte, haben viele Beobachter falsch eingeschätzt.

Sam Quinones, dessen Buch Dreamland als Standardwerk zur Opiat-Epidemie gilt, verbringt viel Zeit in Amerikas geschundenen Regionen. Er hat jahrelang aus Mexiko berichtet und schreibt in einem aktuellen Blog-Beitrag: "Die Leute wissen, dass das Heroin aus Mexiko kommt und dass es billiger und wirksamer ist als alles zuvor. Wo Menschen sowohl Fabriken als auch ihre Kinder verlieren, gibt es wenig Mitgefühl gegenüber unserem südlichen Nachbarn. Bei der Aufklärung von Verbrechen war Mexiko auch kein guter Partner."

... doch Hillary Clinton hörte auf, die Epidemie zu thematisieren

Im Vorwahlkampf hatte Hillary Clinton ebenso wie Bernie Sanders viel über Schmerzmittel-Epidemie gesprochen und sie traf viele Angehörige. Doch von Sommer an hörte man kein Wort mehr dazu von der Ex-Außenministerin. Es war Trump, der bei fast jedem seiner Auftritte über die Drogen-Epidemie sprach und sie mit der Mauer verknüpfte. Auch bei der letzten TV-Debatte sagte er:

"Das größte Problem ist das Heroin, das über die Grenze im Süden ins Land strömt. Es zerstört die Jugend. (...) Wir brauchen starke Grenzen. Wir müssen die Drogen aus unserem Land fernhalten. Heute kriegen wir die Drogen und sie das Geld. Wir müssen die Grenzen sichern. Wir können keine Gnade zeigen. Ich will die Mauer bauen. Wir brauchen die Mauer. Und die Grenzschutzbeamten, die wollen die Mauer auch. Wir werden die Drogen stoppen."

Egal ob in Indiana, Missouri, New Hampshire oder Pennsylvania: Während des Wahlkampfs waren oft Aussagen wie jene von Bob Hirsch zu hören. Früher habe es in seinem Heimatort Fabriken und gute Jobs gegeben, doch heute sehe es anders aus: "An den Ecken verkaufen die Dealer Heroin und die Teenager konsumieren das. Nirgends sterben mehr junge Männer an einer Überdosis als in Pennsylvania." Dass Hillary Clinton wider besseres Wissen dieses Thema aufgab, ist ihre eigene Schuld, doch auch Präsident Barack Obama hat falsche Prioritäten gesetzt.

Lange Zeit kämpfte Landwirtschaftsminister Tom Vilsack darum, die Washingtoner Eliten aufzurütteln, doch diese ignorierten das Problem. Ein Zeitungsporträt war im Herbst treffend mit "Tom Vilsacks einsamer Kampf für das vergessene ländliche Amerika überschrieben". Dass der Kongress nun eine Milliarde Dollar für den Kampf gegen die Epidemie bewilligt hat, kommt nach Ansicht vieler Bürger zu spät. Sie fühlen sich von der Regierung (und damit von den Demokraten) im Stich gelassen und ignoriert.

Kann ein Präsident Trump den Süchtigen und deren Familien helfen?

Auf die Frage gibt es momentan keine seriöse Antwort. Interessant sind jedoch zwei Punkte: Die Schmerzmittel-Epidemie ist ein typisches Beispiel für einen Kapitalismus, in der ein Unternehmen die Gewinne privatisiert und die sozialen Folgen auf die Gesellschaft (und das staatliche Gesundheitssystem) abwälzt.

Seit Mitte der Neunziger verschrieben viele Ärzte Patienten, die über Knie- oder Rückenschmerzen klagten, das Medikament OxyContin, das Oxycodon enthält. Dieses Opioid wirkt wie Heroin und macht Patienten süchtig. Laxe staatliche Aufsicht führte dazu, dass Ärzte die Gefahr von OxyContin lange ignorierten: Der Hersteller Purdue behauptete, dass "weniger als ein Prozent" der Patienten abhängig würden.

2007 gestand Purdue vor Gericht ein, "Patienten, Ärzte und Aufsichtsbehörden" über die Risiken belogen zu haben, und zahlte 600 Millionen Dollar Strafe. Die Sackler-Familie, der Purdue gehört, wird vom Forbes Magazine übrigens auf Platz 19 in der Liste der reichsten US-Familien geführt: mit einem Vermögen von 13 Milliarden Dollar.

In den Folgejahren verkauften Rentner die Schmerzmittel oft weiter - an Junkies, die nach dem "Hillbilly Heroin" gierten. Ein Grund, weshalb deutlich weniger Schwarze und Latinos süchtig nach Schmerzmitteln sind, liegt nach Einschätzung von Experten daran, dass Ärzte bei diesen Gruppen seltener OxyContin und ähnliche Präparate verschreiben - auch aus Sorge, dass diese Medikamente auf dem Schwarzmarkt landen.

Nicht nur Sam Quinones fragt sich, inwieweit die von Trump und den Republikanern angekündigte Politik den Menschen im ländlichen Amerika helfen können. Wenn die Obamacare-Krankenversicherung wie angekündigt abgeschafft wird, wird die Gesundheitsversorgung noch schlechter werden (Details bei The Nation). Und momentan haben viele (Ex-)Süchtige keine Chance auf einen Job, weil Drogentests Teil der Bewerbung sind. Und niemand weiß, ob es Trump zu einer Priorität macht, die örtlichen Handelskammern zu überzeugen, diese Praxis aufzugeben.

In den ländlichen Regionen, das unterstreicht diese aktuelle Studie, haben viele US-Bürger seit Jahrzehnten keinen ökonomischen Fortschritt gesehen - aus Frust und Enttäuschung wählten sie Donald Trump. Doch der künftige US-Präsident, den der Autor J.D. Vance selbst als "Opium für die Massen" bezeichnet hat, muss erst noch liefern.

Linktipps: Buchautor Sam Quinones schreibt in diesem Blog-Beitrag sehr eindrücklich, was er im Herbst bei Reisen durch Amerikas Heartland erlebt hat. Die Washington Post geht in der Serie "Unnatural Causes - Sick and Dying in Small-Town America" der Frage nach, warum so viele weiße Frauen so früh starben. Ebenso schockierend wie eindrucksvoll ist diese Reportage von Pulitzer-Preisträger Eli Saslow, die zeigt, wie die Drogen-Epidemie das Leben einer Familie zerstört und drei Generation belastet.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: