US-Wahl:Was der Wahlausgang für die Frauenbewegung bedeutet

Noch nie war ein Bewerber so qualifiziert für das höchste amerikanische Staatsamt wie Hillary Clinton. Allein: Es reichte nicht. Das ist besonders hart für Frauen.

Von Alexandra Borchardt

In der Logik des linear denkenden Optimisten schien die Sache geritzt zu sein: Die Mauer fällt, in Europa verschwinden die Grenzen, ein Schwarzer wird amerikanischer Präsident und schließlich eine Frau - die Welt, so dieser Gedankengang, wird immer ein kleines bisschen aufgeklärter, freiheitlicher, besser, man arbeitet schließlich daran. Dass "Frau" nach "Schwarzer" kommt in dieser Welt, tat da nicht mehr viel zur Sache. Man war das Warten ja gewöhnt. Und nun das: der große Rückschlag, und er ist heftig, besonders auch für Frauen.

"Es bricht mir das Herz, dass eine hochqualifizierte Kandidatin für das Präsidentenamt gegen den am schlechtesten qualifizierten Kandidaten aller Zeiten verloren hat", sagt Irene Natividad. Sie ist Gründerin und Präsidentin des Global Summit of Women und hatte in den Achtzigerjahren schon für Geraldine Ferraro Wahlkampf gemacht, als diese 1984 für die Vizepräsidentschaft kandidierte. "Sexismus bleibt tief verwurzelt in der amerikanischen Gesellschaft. Ich habe Angst um mein Land und die Menschen, die aussehen wie ich." Natividad ist in Manila geboren, also eine asiatischstämmige Amerikanerin.

Dabei war es in den vergangenen Tagen so anrührend, diese Bilder zu sehen: Fotos von Frauen um die 100, geboren vor der Einführung des nationalen Wahlrechts für Frauen 1920 in den USA, die, gestützt auf Rollatoren, am Arm ihrer Töchter oder Pflegerinnen, zur Stimmabgabe aufbrachen, um Hillary Clinton zu unterstützen. Sie werden es nun nicht mehr erleben, dass eine Geschlechtsgenossin ins Oval Office einzieht. Für sie und viele andere zerschlägt sich damit ein Traum, bei dem es um mehr geht als die Person Hillary Clinton: dass es für eine Frau reicht, hart zu arbeiten, eine Spitzenausbildung zu absolvieren, praktische Erfahrungen zu sammeln und nie aufzugeben, um ganz nach oben zu kommen. Denn noch nie war ein Bewerber so qualifiziert für das höchste amerikanische Staatsamt wie Hillary Clinton. Allein: Es reichte nicht. Und es reicht für viele Frauen mit Ambitionen auf andere Ämter und Positionen auch nicht.

Eine Welle von Frauenfeindlichkeit

Dass Hillary Clinton im Wahlkampf so attackiert wurde, hatte nicht nur mit all dem zu tun, was ihr immer wieder vorgeworfen wurde, ihre Verbindungen zum großen Geld, ihr lässiger Umgang mit E-Mails, ihre Verwurzelung im Washingtoner Milieu. Sie kämpfte zusätzlich gegen Sexismus und jene Stereotypenfalle, die Frauen in Führungspositionen nur zu gut kennen.

Der Sexismus war offensichtlich, Trump hat ihn sich schamlos zunutze gemacht. "Trump 2016: Finally someone with Balls" - endlich mal jemand mit Eiern - war einer der harmloseren Aufkleber, mit denen sich seine Unterstützer schmückten. Seine Ausfälle in den Fernsehdebatten müssen hier nicht wiederholt werden, aber seine Wahl beweist, dass das, was er als Gerede aus der Umkleidekabine verharmloste, von der Mehrheit der amerikanischen Wähler letztlich für gesellschaftlich akzeptabel gehalten wird.

Peter Beinart, Professor für Journalistik und Politikwissenschaft an der City University of New York, hat in seinem Artikel "Fear of a Female President" für das Magazin The Atlantic verstörende Fakten zusammengetragen. Der Anteil der Amerikaner, die in Meinungsumfragen eine "stark negative" Einstellung zu Hillary Clinton bekundeten, lag erheblich höher als bei jedem anderen demokratischen Bewerber um das Präsidentenamt seit 1980, als diese Frage erstmals gestellt wurde. 52 Prozent aller weißen Männer hätten dies geäußert, bei Obama hätten bei dessen Wiederwahl 32 Prozent, bei seiner ersten Wahl lediglich 20 Prozent aus dieser Gruppe der Aussage zugestimmt. "Die akademische Literatur darüber, wie Männer auf Frauen reagieren, die traditionell männliche Rollen einnehmen, erklärt das", schreibt Beinart, sie fühlten sich entmännlicht. Er belegt das mit einer ganzen Reihe von Studien, und seine Bilanz ist niederschmetternd. Clintons Kandidatur habe eine Welle von Frauenfeindlichkeit ausgelöst, die noch Jahre nachwirken werde.

"Hillary Clinton ist sich des Heidi-und-Howard-Problems sehr bewusst"

Dabei ist offener Sexismus nur das eine Problem. Hinzu kommen Stereotype, mit denen Männer und Frauen gleichermaßen reagieren, wenn sie eine Frau in einer Machtposition sehen. Eine ehrgeizige, erfolgreiche Frau verletzt die Rollenerwartungen der Gesellschaft - ebenso wie ein Mann, der am hellichten Wochentag mit Baby vor dem Bauch spazierengeht. Kaum vorstellbar, dass es ein Hausmann im Wahlkampf auch nur annähernd so weit geschafft hätte wie Donald Trump, der mit männlichen Statussymbolen wie Geld, Macht und Virilität nur so um sich warf. Das erklärt auch, zumindest teilweise, warum 53 Prozent der weißen Wählerinnen für Trump gestimmt haben. Sie wollten den echten Kerl, der besser zu ihren eigenen Weltvorstellungen passt als die Frau, die sich über Traditionen hinwegsetzt.

Sehr gut demonstrieren lassen sich diese unterschiedlichen Erwartungshaltungen an dem Heidi-und-Howard-Experiment: An der Harvard Business School wurde eine Fallstudie über ein erfolgreiches IT-Unternehmen genommen, dessen Chefin mit Vornamen Heidi hieß (sie gibt es wirklich). Einer Vergleichsgruppe von Studenten wurde sie dann in einer Version vorgelegt, in der ihr Vorname in Howard verändert wurde. Das Ergebnis: Die Studenten beurteilen grundsätzlich beide als erfolgreich, Heidi finden sie aber unsympathisch. Iris Bohnet, Professorin an der Harvard Kennedy School und Autorin des Buches "What works: Gender Equality by Design" kennt Hillary Clinton persönlich: "Hillary Clinton ist sich des Heidi-und-Howard-Problems sehr bewusst", sagte sie kürzlich.

Spätestens seit ihrem Versuch in den Neunzigern, sich als First Lady der schon damals dringend notwendigen Gesundheitsreform anzunehmen, wusste Hillary Clinton, dass der Spagat zwischen Commander-in-Chief und Ehefrau unendlich schwer ist. Schnell musste sie beweisen, dass sie auch Kekse backen kann. Es ist vielfach belegt: Frauen, die nicht als sympathisch wahrgenommen werden, haben im Kampf um Höheres schon verloren, wogegen bei Männern zur Not auch "Eier" reichen. Auch im Präsidentschaftswahlkampf musste Hillary Clinton deshalb versuchen, sich gleichzeitig als Mutter und loyale Ehefrau zu präsentieren und zu demonstrieren, dass man ihr die Kontrolle über amerikanische Nuklearwaffen anvertrauen könnte - am Ende nahmen ihr viele Wähler offenbar beides nicht ab.

Dabei ist es schwer, sich eine Frau auszudenken, die sich konsequenter auf dieses mächtigste Amt der Welt vorbereitet hätte. Schon zu einer Zeit, als das für Frauen in Amerika noch undenkbar war, wollte sie Klassensprecherin werden, sie machte Abschlüsse an den renommierten Universitäten Wellesley und Yale, wurde Anwältin. Zunächst stellte sie ihre Ambitionen hinter die ihres Mannes zurück. Aber als der ins Weiße Haus einzog, schien ein neues Zeitalter der Partnerschaft im Oval Office anzubrechen. "Sie bekommen zwei für den Preis von einem", hatte Bill Clinton nach seiner ersten Wahl 1992 gesagt, was eine Debatte darüber auslöste, ob das die Grenzen der Demokratie sprenge - schließlich hatte man ja nur ihn gewählt.

Dabei hatten auch schon früher Frauen im Weißen Haus Einfluss auf die Politik genommen, allerdings so, wie es sich gehörte: als Frau an seiner Seite. Historiker sind zum Beispiel zu der Erkenntnis gekommen, dass Edith Wilson nach 1919 praktisch die Regierungsgeschäfte führte, nachdem ihr Mann Woodrow Wilson einen Schlaganfall erlitten hatte. Sie selbst allerdings hatte einmal betont, keine einzige Regierungsentscheidung getroffen zu haben, so wie das eben erwartet wurde.

Die Tatsache, dass in den vergangenen acht Jahren ein Schwarzer Amerika regiert hat, mag Hillary Clinton zusätzlich geschadet haben. Beinart zitiert Studien, nach denen der gesellschaftlich akzeptable Rassismus durch die Präsidentschaft Obamas sogar zugelegt hat. Sie habe Weißen offenbar die moralische Lizenz gegeben, sich gegenüber Förderprogrammen für Schwarze wie Affirmative Action kritischer zu äußern als zuvor, schließlich habe man ja einen schwarzen Präsidenten gewählt und könne deshalb per se kein Rassist sein. In diesem Frühjahr hätten bei einer Umfrage 42 Prozent der Interviewten der Aussage zugestimmt, Amerika sei "zu weich und feminin" geworden, so Beinart. Die Reaktion ist da.

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