US-Wahl:Von "weit verbreitetem Wahlbetrug" keine Spur

Nation Goes To Polls In Contentious Presidential Election Between Hillary Clinton And Donald Trump

Szene in einem Wahllokal in Iowa: Bisher spricht nichts dafür, dass jener "weit verbreitete Wahlbetrug" eintreten könnte, über den der republikanische Präsidentschaftskandidat Trump seit drei Monaten redet.

(Foto: AFP)

Überall in den USA bilden sich lange Schlangen vor den Wahllokalen. In Pennsylvania streiken vereinzelt alte Wahlmaschinen, doch die Bürger nehmen es gelassen: "Wir warten eben so lange, wie es nötig ist."

Von Matthias Kolb, Philadelphia

Seit einer Stunde stehen Sean Reed und Jessi Black in der Schlange vor dem Wahllokal in Downtown Philadelphia. "2012 dauerte es nicht so lange", sagt Reed und studiert nochmal den Muster-Wahlzettel, der an der Mauer der Chinese Christian Church hängt. Er tut das nur zum Zeitvertreib, denn der 43-jährige Afroamerikaner hat sich längst entschieden: "Ich stimme für Hillary Clinton. Früher war ich Republikaner, doch es wäre verrückt, Trump zu wählen. Der hat nichts im Weißen Haus verloren." Seine Freundin nickt - auch sie wird für die Demokratin stimmen, der nur fünf Minuten entfernt vom Wahllokal am Montagabend noch 33 000 Fans zujubelten.

Wie die meisten Wartenden stört die Verzögerung Black und Reed nicht wirklich. "Die Sonne scheint, es ist ein schöner Tag. Es ist unsere Pflicht zu wählen und dann warten wir eben so lange, wie es nötig ist", sagt Sean Reed. Wenige Meter entfernt haben sich Wahlbeobachterinnen der Demokraten postiert: Die Juristinnen Mimi Methvin und Renee Mittler sind aus Lousiana und New York angereist. "Bisher gibt es keine Probleme", sagt Mittler. Sie bieten jedem Wähler ihre Hilfe an und klären bei Bedarf vorab, ob die Bürger wirklich vor dem richtigen Wahllokal stehen.

US-Wahl Philadelphia Trump Wahlbetrug

Sean Reed und Jessi Black haben Clinton ihre Stimmen gegeben.

(Foto: Matthias Kolb)

Dass sich im ganzen Land lange Schlangen bilden (vor einer Schule in Virginia warteten bereits um sechs Uhr morgens 170 Leute) könnte darauf hindeuten, dass die Wahlbeteiligung von 2012 (53,6 Prozent) überboten wird: Der chaotische, hoch emotionale Wahlkampf voller Beleidigungen scheint keine abschreckende Wirkung zu haben, sondern im Gegenteil viele Bürger zu motivieren, zur Wahl zu gehen.

Trump raunt von Wahlbetrug in "bestimmten Gegenden"

Bisher spricht nichts dafür, dass jener "weit verbreitete Wahlbetrug" eintreten könnte, über den der republikanische Präsidentschaftskandidat Trump seit drei Monaten redet (Live-Updates bietet die Website Electionland). Bei einem Auftritt in Altoona, vier Autostunden von Philadelphia entfernt, rief er im August seinen Anhängern zu, dass er nur verlieren könne, wenn etwas nicht mit rechten Dingen zugehe. Er forderte seine Fans auf, in "bestimmte Gegenden" zu gehen und zu überprüfen, dass "keiner fünf Mal abstimmt".

Und allen im Publikum sowie im Pressebereich war klar, welche certain areas Trump meinte: In der Großstadt Philadelphia leben 44 Prozent Schwarze und sie wählen traditionell die Demokraten (2012 erhielt Romney in 59 Wahllokalen keine einzige Stimme, ähnlich ging es John McCain 2008). Pennsylvania mit seinen 20 Wahlmänner-Stimmen gehört zu jenen blue wall-Staaten, welche die Demokraten seit 1992 stets gewonnen haben - Erfolge, die auf den Hunderttausenden Stimmen Vorsprung basierten, die sie in Philadelphia ansammelten.

Probleme und lange Wartezeiten sind Normalität

US Presidential Election

Trump wittert Wahlbetrug - aber alles läuft gut.

(Foto: dpa)

Die Sorge, dass Trumps Hardcore-Fans aus den konservativen Teilen Pennsylvanias in die Millionen-Metropole reisen und es dort zu Streit mit Wählern kommt, hat sich bisher als unbegründet erwiesen. "Es gibt ähnliche Wahlbeobachter-Teams von den Republikanern", erzählt die Anwältin Renee Mittler, aber hier in Chinatown hat sie diese noch nicht entdeckt. Auf Twitter und Facebook gibt es einige Berichte, wonach mehrere der 14 Jahre alte Wahlmaschinen ihren Geist aufgegeben hätten.

Es seien Dutzende Techniker im Einsatz, um die antiquierten Geräte zu reparieren. Nach Angaben von Al Schmidt, einem republikanischen Lokalpolitiker, gab es ähnliche Probleme schon 2012.

Weil die US-Wahl dezentral und von den einzelnen Bundesstaaten sehr unterschiedlich organisiert wird, kommt es alle vier Jahre bei den Vorwahlen und der Hauptwahl zu langen Schlangen, technischen Problemen und erneuten Auszählungen. Was in den nächsten Stunden passiert, weiß niemand, aber bisher scheint alles seinen normalen Verlauf zu nehmen. Wie viele Republikaner und Trump-Fans im Falle einer Niederlage ihres Kandidaten das Ergebnis als rechtmäßig ansehen, dürfte stark von der Reaktion des Geschäftsmanns selbst abhängen.

In der Innenstadt von Philadelphia wird sich Trump schwer tun, da hier neben vielen Schwarzen auch zahlreiche Asian Americans wohnen: Sie tendieren eher zu Hillary Clinton. Doch auch in der Chinese Christian Church hat Trump seine Unterstützer: Matthew, ein junger Anwalt, hat nach 90 Minuten seine Stimme abgegeben. Etwas verschämt sagt er dem ausländischen Reporter: "Ich habe für den Republikaner gestimmt. Aber jetzt muss ich schnell in die Arbeit."

Linktipps: Wieso es so schwer wäre, die US-Wahl zu hacken, erklärt dieser SZ.de-Artikel von Hakan Tanriverdi. Warum es vor allem ärmere Amerikaner sind, die für die langen Wartezeiten an den Wahllokalen einen hohen Preis zahlen, beschreibt der NYT-Blog "The Upshot" in diesem Text.

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