US-Wahl und die Filterblase:Was uns Trumps Sieg lehren muss

US-Wahl und die Filterblase: Auch in Deutschland setzen Menschen Zeichen gegen Trumps Hetze, gegen seinen Rassismus und Chauvinismus: Szene auf der "Pussy Grabs Back"-Demo in Berlin am vergangenen Wochenende.

Auch in Deutschland setzen Menschen Zeichen gegen Trumps Hetze, gegen seinen Rassismus und Chauvinismus: Szene auf der "Pussy Grabs Back"-Demo in Berlin am vergangenen Wochenende.

(Foto: AFP)

Ist die Blase gutmenschelnder Mitte-Menschen schuld, dass die Trumps dieser Welt Wahlen gewinnen? Nach der US-Sensation mischen sich bürgerliche Selbstzweifel in die Debatte. Doch jetzt ist Gegenhalten Pflicht.

Kommentar von Sebastian Gierke

"If you have a racist friend / Now is the time, now is the time for your friendship to end. / Be it your father be it your mother / Be it your cousin or your uncle or your brother."

The Special A.K.A, "Racist Friend"

Wenn ein Rassist, Sexist, notorischer Lügner und Hetzer Präsident wird, weil ihn 27 Prozent der wahlberechtigten Amerikaner gewählt haben — wie sollen wir künftig mit radikalen Populisten umgehen? Wir hätten die Gefahr unterschätzt, lese ich jetzt ständig in meinem Facebook-Feed. Wir hätten "den Kontakt zu den Abgehängten der Gesellschaft" verloren. Wir hätten Donald Trumps Triumph kommen sehen können, wenn wir uns um die Abgehängten gekümmert hätten — aber wir wollten es nicht. Weil wir uns der Realität verweigern.

Wir: die wir uns Gedanken über Frauenrechte machen, über Hass gegen Flüchtlinge, über Klimawandel und Umweltschutz, die wir uns nicht überfordert fühlen von Emanzipation, Homo-Ehe und neuen Familienmodellen, von Menschen unterschiedlicher Hautfarbe, von Digitalisierung und Energiewende. Wir: Das sind die Supertoleranten, die Biokisten-Besteller und Über-faire-Kleidung-Nachdenker, die es sich gemütlich gemacht haben im neobürgerlichen Wohlstand (angeblich) ohne Verbindung zu den wirklichen Problemen dieser Welt.

Nach Trumps Triumph geißeln wir uns gerne selbst. Hier, hier, hier und hier — überall ist die Rede von der bürgerlichen Blase all jener, die sich nicht auf der Verliererseite des politisch-wirtschaftlich-gesellschaftlichen Wandels fühlen und nun schockiert erkennen, dass es eine Verliererseite gibt, die stark genug ist, um noch mal der Übersichtlichkeit der guten alten Zeit zur Macht zu verhelfen. Unsere gängige Selbstkritik dieser Tage: Menschen wie wir sind irgendwie schuld an den Populisten dieser Welt — weil wir auf jene Leute nicht eingehen, die eben Trump, Orbán, Le Pen, FPÖ, AfD, welche Rechtsaußen-Populisten auch immer wählen. Weil wir in unserer Facebook-Blase nur uns selbst bestätigen und andere ausblenden, sofern Facebook das nicht von sich aus tut. Auch im analogen Leben begegnen wir uns am liebsten selbst. Wir predigen Toleranz und Menschenrechte, blicken in unserem hübschen Turm, der natürlich (die armen Elefanten!) nicht aus Elfenbein ist, auf das, ähem, Gesocks herab.

"Grab 'em by the pussy" ein Satz aus dem "echten Leben"

Wir müssen raus aus der Blase! — Das höre ich jetzt ständig und frage mich: Müssen wir wirklich die Schuld auf uns nehmen? Raus aus der Blase und künftig auch mal nach rechts abbiegen? Ins "echte Leben", wie es nun gern heißt?

"Grab 'em by the pussy" ist ein Trump-Satz aus diesem "echten Leben". Wir hielten den Kandidaten nach Bekanntwerden des Satzes für erledigt. Am Morgen des 9. November, als er Präsident wurde, sahen wir dann: Trump hat bei Frauen recht gut abgeschnitten. Nämlich jenen, denen ein Signal des Protests, des Umbruchs wichtiger war als der Respekt gegenüber Frauen — was wir uns kaum vorstellen können. Wir können uns, anders gesagt, den Frust nicht vorstellen, den Trump-Wähler in sich tragen. Diese Menschen fühlen sich ohnmächtig und durch die Modernisierung der Gesellschaft in Frage gestellt, also stellen sie selbst die Modernisierung der Gesellschaft in Frage. Aus Überforderung wird Kontrollverlust wird Wut wird Wut-Wahl.

Doch das heißt nicht, dass wir uns diesem "echten Leben" annähern müssen, oder beugen müssen. Wir müssen aufbegehren, laut und deutlich.

Wir haben recht! Klingt arrogant? Na und?

Die Broken-Windows-Regel besagt: Wer sich heute nicht um zerbrochene Fenster in der Nachbarschaft kümmert, wird bald in einem verwahrlosten Viertel leben. Das bedeutet hier und jetzt: Wir müssen Menschen, die Rassisten und Demagogen folgen, ihre Steine wegnehmen — ihre Argumente. Indem wir mit ihnen streiten. Und ihnen klarmachen, dass sie irren. Denn wir haben recht.

Dieser Satz klingt arrogant. Na und?

Je länger ich in meiner Filterblase die Selbstzweifler anhöre, desto mehr denke ich: Mit reinem Verständnis kommen wir nicht weit. Die Populisten des Rückschritts stellen die Machtfrage, auch in Deutschland. Sie drängen uns in die Defensive, versuchen unser schlechtes Gewissen, unsere Verzagtheit auszunutzen. Aber wir dürfen nicht klein beigeben. Fremdenhass, Sexismus, Rassismus, Diskriminierungen aller Sorten sind Symptome. Sie sind keine Heilmittel. Das müssen wir benennen und nicht einknicken.

Auch der folgende Satz klingt nach Rechthaberei: Nicht jede Meinung ist gleich wertvoll. Es gibt unhintergehbare Grundwerte - die hart erkämpft wurden. Und Meinungen, die diese verletzen, dürfen nicht auf die gleiche Art diskutiert werden wie Argumente auf unserer Seite des demokratischen Spektrums. Sie müssen zurückgewiesen werden, unbedingt und ohne Selbstkasteiung. Sonst verschieben sich die Grenzen des Sagbaren immer weiter ins Unsägliche.

Die eigentliche Arroganz liegt ja in der Selbstkasteiung. Die eigentliche Arroganz liegt darin zu glauben, wir könnten Trump oder die AfD verhindern, indem wir unsere Blase verlassen.

Ja, es ist bequem, in Berlin-Mitte, Münchens Dörfern oder St. Pauli das weltoffene Leben zu leben, an das sich viele von uns gewöhnt haben. Wir sollten uns nicht daran gewöhnen — sondern uns daran gewöhnen, es verteidigen zu müssen. Wenn die Populisten oder ihre Wähler unsere erkämpften Freiheiten als Last verstehen oder als Vehikel zum Unterhöhlen derselben nutzen wollen, dann darf es keine Konzessionen geben.

Wie sollen Fremdenhass und Bigotterie gegen ökonomische Härten helfen?

Wir müssen klarmachen: Die Grundwerte der freiheitlich-demokratischen Gesellschaft — Toleranz, Humanismus und soziales Einstehen füreinander — sind kein Problem für unsere Gesellschaft, sondern ihre Grundlage und die Grundlage jeder Lösung sozialer Probleme. Wenn Menschen heute Abstiegsängste haben, wie viele Trump-Protestwähler in den USA, dann müssen wir benennen, was das Problem wirklich ist: Dass die verängstigten Menschen zum Beispiel lange zerstörerischen Kräften des Marktes überlassen wurden, so dass zu viele kaum noch ein tragfähiges Auskommen mit Arbeit erwirtschaften können. Die Ungleichheit gerade in den USA ist obszön, der amerikanische Traum für viele eine ferne Phantasie geworden. Das Problem ist da, dass der Liberalismus westlicher Prägung gerade zu viele Verlierer hervorbringt und eine neue Klassengesellschaft.

Was die Trump-Anhänger vor allem verbindet, ist indes nicht mal die Klasse — sondern die Rasse. Weiße sind es, die sich abgehängt fühlen von der sozialen Moderne. Wie aber sollen Fremdenhass und Bigotterie gegen ökonomische Härten helfen? Man muss die leeren Versprechungen der Populisten als solche identifizieren. Aus der Angst davor, nicht mehr mithalten zu können, darf kein Rassismus, Sexismus, Nationalismus oder Homophobie werden.

Am liebsten will ich in meinem Facebook-Stream antworten: Wir dürfen nicht raus aus der Blase. Wir müssen die Blase schützen. Wir müssen mehr denn je dafür kämpfen, jene wieder reinzuholen, die zwar rausgefallen sind, die aber noch nicht in der anderen Blase, der Blase der Hetzer, verschwunden sind. Das sind viele. Das ist die verunsicherte Mehrheit.

Es gilt, die Grenzen dessen zu verteidigen, was eine moderne Gesellschaft erst lebenswert macht, und unsere Blase wieder attraktiv zu machen. In Sack und Asche gelingt uns das nicht.

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