Süddeutsche Zeitung

US-Kongresswahlen:Schicksalstag in Georgia

Zwei Sitze im US-Senat stehen dem Bundesstaat zu. Gewinnen die Demokraten beide, verlieren die Republikaner ihre Blockademehrheit. Die Wahl am 5. Januar könnte Amerika verändern.

Von Reymer Klüver

Damit dürfte kaum jemand gerechnet haben. Erstens, dass Georgia, der Bundesstaat im tiefsten amerikanischen Süden, tatsächlich zu einem Swing State werden würde, also zu einem Bundesstaat, der zwischen Republikanern und Demokraten umkämpft ist. Seit Jahrzehnten war Georgia fest in Händen der Republikaner. Und zweitens, dass an der Senatswahl in Georgia, genauer gesagt an den beiden diesmal anstehenden Senatswahlen, die Mehrheit im Oberhaus des US-Kongresses hängt. Zwei Wochen vor der Amtseinführung des neuen Präsidenten wird am 5. Januar in Georgia gewählt. Der Ausgang entscheidet wesentlich darüber, in welchem Umfang Joe Biden seine politische Agenda überhaupt wird durchsetzen können.

Verantwortlich dafür sind ein Zufall und Besonderheiten des Wahlrechts in dem Zehn-Millionen-Einwohner-Bundesstaat. Der Zufall will es, dass diesmal die beiden Sitze Georgias im Senat gleichzeitig vergeben werden. Normalerweise sind die Senatswahlen in den einzelnen Bundesstaaten so getaktet, dass dies um zwei oder vier Jahre versetzt geschieht.

Der Sitz des republikanischen Senators David Perdue steht nach sechs Jahren regulär zur Neuwahl an. Den anderen Sitz aber hat der bisherige republikanische Amtsinhaber, Senator Johnny Isakson, aus gesundheitlichen Gründen 2019 vorzeitig geräumt. Als Nachfolgerin ernannte der Gouverneur von Georgia die Republikanerin Kelly Loeffler bis zum nächsten Wahltermin, also diesen November. Deshalb stand da die Nachwahl des Postens für den Rest der Amtsperiode bis zum Jahr 2022 an.

Die Stichwahl hat historische Bedeutung

Jetzt kommt allerdings das Wahlrecht des Bundesstaates ins Spiel. Bei Nachwahlen gibt es nicht, wie sonst üblich, Vorwahlen. Alle Kandidaten stehen im November zur Wahl. Die beiden Bestplatzierten qualifizieren sich für eine Stichwahl, die am "Dienstag der neunten Woche nach der Wahl" stattfinden muss, so das Wahlgesetz. Das ist in diesem Fall eben der 5. Januar 2021. Die Republikanerin Loeffler trifft auf den Demokraten Raphael Warnock.

Der andere, regulär zu besetzende Sitz im Senat muss diesmal ebenfalls per Stichwahl entschieden werden. Auch dafür sorgt das Wahlrecht von Georgia. Wenn kein Kandidat auf Anhieb 50-plus Prozent der Stimmen erringt, muss es einen Stichentscheid geben. Also treten erneut der Republikaner Perdue, der die 50-Prozent-Marke knapp verfehlt hat, und der Demokrat Jon Ossoff an.

Die Stichentscheid-Regelung stammt aus den Sechzigerjahren. Sie war ursprünglich eingeführt worden, um den Einfluss der Schwarzen auf die Wahl zu beschränken. Damals ging man davon aus, dass ein schwarzer Kandidat niemals gegen die Stimmen der Weißen die 50-Prozent-Hürde überwinden könnte. In den vergangenen Jahrzehnten hat sich diese Regelung zu einem Instrument entwickelt, mit der konservative Republikaner die Demokraten von Posten fernhalten konnten. Nach Recherchen des unabhängigen Wahlanalyse-Dienstes "Inside Elections" haben seit den Neunzigerjahren die Demokraten nur eine von insgesamt sieben Stichwahlen in Georgia für sich entscheiden können.

Normalerweise geht die Wahlbeteiligung bei den Stichentscheiden eher zurück, weil es den Parteien schwerfällt, die Menschen kurz nach einer Wahl noch ein weiteres Mal zu begeistern. Das dürfte diesmal anders sein, weil es um nichts weniger als den politischen Kurs des gesamten Landes geht.

Der Kampf wird äußerst hart

Bisher hatten die Republikaner eine relativ komfortable Mehrheit von 53 Sitzen im hundertköpfigen Senat in Washington. Bei der Wahl am Dienstag verloren sie landesweit zwei Sitze an die Demokraten, die allerdings ebenfalls einen Sitz abgeben mussten. Im Moment liegen beide Seiten mit jeweils 48 Mandaten gleichauf. Das Ergebnis in den Bundesstaaten Alaska und North Carolina steht noch aus. In Alaska besteht kein Zweifel, dass der Sitz an die Republikaner fällt. Auch in North Carolina liegt der republikanische Kandidat vorn. Würden sie dann auch nur einen der beiden Sitze in Georgia gewinnen, hätten sie erneut die Mehrheit im Senat.

Das ist insofern bedeutsam, als in Washington ohne Zustimmung der oberen Kongress-Kammer wenig läuft. Alle Gesetze müssen sowohl vom Repräsentantenhaus und dem Senat gebilligt werden, insbesondere auch die Haushaltspläne. Über die Nominierung für Spitzenposten von Regierung, Verwaltung und Gerichten entscheidet allein der Senat. Stimmt die Mehrheit dort dem Vorschlag des Präsidenten nicht zu, kann der Posten nicht besetzt werden.

Der Kampf um die beiden Sitze dürfte mit äußerster Schärfe ausgetragen werden. Der Chef der bisherigen demokratischen Minderheit im Senat, Chuck Schumer, sagte: "Jetzt gewinnen wir Georgia, dann verändern wir Amerika." Auch die Republikaner meldeten sich bereits zu Wort. "Der Senat ist unsere letzte Verteidigungslinie", twitterte das Nation Republican Senatorial Committee, das die Senatswahlkämpfe organisiert. In der Washington Post hieß es, dass beide Seiten bis zu 500 Millionen Dollar in den Wahlkampf für die beiden Senatssitze ausgeben könnten.

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