Berliner Reaktion auf US-Wahl:Gratulation und Appelle

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Nein, sie ist es nicht geworden: Kanzler Olaf Scholz und Vizepräsidentin Kamala Harris bei der Münchner Sicherheitskonferenz im Februar. (Foto: Sven Hoppe/dpa)

Kanzler Olaf Scholz erinnert Donald Trump an die Verantwortung für die Ukraine. Gleichzeitig wirbt er dafür, Europa in der Nato stärker zu machen.

Von Georg Ismar, Paul-Anton Krüger, Berlin

Die Bundesregierung hat dem gewählten US-Präsidenten Donald Trump enge Zusammenarbeit angeboten und gemeinsame Interessen der USA und Deutschlands betont, vor allem in Wirtschafts- und Handelsfragen. Zugleich appellierte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) an die Verantwortung der westlichen Führungsmacht bei der Unterstützung der Ukraine und kündigte an, als Reaktion auf den Wahlsieg des Republikaners Europa und den europäischen Pfeiler der Nato stärken zu wollen.

Scholz, der in der Außen- und Sicherheitspolitik größten Wert auf enge Abstimmung mit dem scheidenden US-Präsidenten Joe Biden legt, gratulierte Trump vor den Fernsehkameras im Kanzleramt. Dieser trete sein Amt in einer Zeit von „Herausforderungen und Krisen“ an. Bei deren Bewältigung komme den USA und ihrem Präsidenten „eine zentrale Rolle zu“, sagte er und verwies auf die Bedrohung, die „Russland nach Auffassung aller Nato-Alliierten für die Sicherheit im euroatlantischen Raum darstellt“.

Scholz hat sich mit Macron abgestimmt

Scholz betonte, dass Deutschland und die Europäer bereits zusätzliche Verantwortung übernommen hätten. Trump hatte in der Vergangenheit vor allem Deutschland vorgehalten, die in der Nato vereinbarte Quote für Verteidigungsausgaben von zwei Prozent der Wirtschaftsleistung nicht einzuhalten. Dieses Jahr erreicht Berlin die Marke erstmals knapp.

Zugleich muss die EU laut dem Kanzler „eng zusammenstehen und geschlossen handeln“. Scholz hatte sich telefonisch mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron abgestimmt, der sich ähnlich äußerte. Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) wollte noch am Mittwochabend nach Paris reisen, um sich mit seinem Kollegen Sébastien Lecornu zu beraten. Gespräche mit den anderen Staats- und Regierungschefs der EU stehen beim informellen EU-Gipfel von Donnerstag an auf der Agenda.

Vor allem dürften auf die Europäer deutlich höhere Lasten bei der Verteidigung und Rüstung zukommen. Oppositionsführer und CDU-Chef Friedrich Merz forderte, Europa müsse mehr „Verantwortung für die eigene Sicherheit übernehmen und seine Volkswirtschaften zu neuer Stärke führen“. Nur ein Europa, das im Inneren gefestigt und im Äußeren einig sei, könne den USA „ein Partner auf Augenhöhe sein“.

In der Bundesregierung bestehen Sorgen, dass Trump nicht zu den Verpflichtungen der USA in der Nato stehen könnte, vor allem zur Beistandspflicht nach Artikel 5, die etwa bei einem russischen Angriff im Baltikum zum Tragen kommen könnte. Auch könnte Trump den Atomschutzschirm der USA für Deutschland infrage stellen. Um die nukleare Teilhabe zu sichern, kauft Deutschland 35 F-35-Kampfjets bei den Amerikanern. Das Geschäft im Umfang von zehn Milliarden Euro und die Beschaffung weiterer Rüstungsgüter in den USA sowie die deutlich verstärkte Zusammenarbeit zwischen der Bundeswehr und den US-Streitkräften gelten in der Regierung auch als Vorbereitung für eine Rückkehr Trumps. Unbenommen der Nato-Verpflichtungen könnte Trump die Zusage Bidens zur Stationierung von US-Mittelstreckenwaffen in Deutschland rückgängig machen.

Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) forderte, Deutschland müsse Investitionen in die europäische Sicherheit „jetzt groß denken und groß machen“. Das heiße auch, sich „von den selbst angelegten Fesseln gerade bei Investitionen“ zu befreien. Sie bezog sich damit auf die Haushaltsberatungen der Koalition, bei denen die FDP unter Finanzminister Christian Lindner darauf beharrt, die Schuldenbremse des Grundgesetzes einzuhalten. Die Spitzen der Ampel trafen sich am Mittwochabend zu einem Koalitionsausschuss, um den Budgetstreit zu lösen.

Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) warnte vor einem Scheitern des Regierungsbündnisses: „Die Konsequenz dieses Wahlausgangs in den USA kann ja nur sein, dass Deutschland in Europa nicht ausfallen kann“, sagte er. Auch in seinem Zuständigkeitsbereich muss die Bundesregierung mit Verwerfungen rechnen. Trump hat damit gedroht, neue Zölle zu erlassen, und dürfte Europa drängen, eine härtere Position gegenüber China einzunehmen.

Scholz verwies darauf, dass von der transatlantischen Partnerschaft beide Seiten profitierten. Die USA haben in diesem Jahr China als Deutschlands wichtigsten Handelspartner verdrängt. Trump hatte in der Vergangenheit aber das Handelsbilanzdefizit der USA gegenüber Deutschland beklagt. Scholz verwies auf die gemeinsame Marktmacht der USA und der EU. „Gemeinsam können wir viel mehr durchsetzen als gegeneinander“, sagte er. Er kündigte an, schnell Arbeitsbeziehungen mit der künftigen US-Regierung aufzubauen, um die Standpunkte anzugleichen.

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