Amerika ist ein verstörtes Land. Fast 180 000 Corona-Tote, zig Millionen Arbeitslose, Wut und Gewalt in den Städten. In Kenosha, Wisconsin, erschoss diese Woche ein 17 Jahre alter Milizionär zwei Männer, die dagegen protestierten, dass ein weißer Polizist einem Schwarzen sieben Kugeln in den Rücken gejagt hatte. Als das Virus im Frühjahr über die USA herfiel, wurde das Klopapier knapp. Inzwischen gibt es das wieder, dafür sind nun vielerorts Waffen und Munition ausverkauft. Die Amerikaner rüsten auf, weil sie vor ihren Landsleuten Angst haben.
So sieht es aus in dem Land, in dem in zwei Monaten der Präsident gewählt werden soll. Und man muss gar kein Apokalyptiker sein, um zu befürchten, dass diese Wahl die USA an den Rand eines Abgrunds bringen könnte - oder sie sogar hineinstürzt. Die Amerikaner sind in den vergangenen 250 Jahren inmitten von Kriegen, Wirtschaftskrisen, Pandemien und Unruhen wählen gegangen. Aber so gefährlich wie heute war die Lage selten.
Vier Dinge tragen dazu bei. Erstens: Beide Seiten, Demokraten wie Republikaner, haben die Wahl zu einer Entscheidung erklärt, bei der es im Wortsinn um Leben und Tod gehe. Das war die überwölbende Botschaft der beiden Parteitage in den vergangenen Wochen - nicht Hoffnung, sondern Angst.
Die Demokraten sagen: Wenn Donald Trump wieder gewinnt, kommen Faschismus und Diktatur übers Land, dann triumphieren Rassenhass und Nationalismus.
Die Republikaner sagen: Wenn Joe Biden Präsident wird, dann wird er Amerika in ein sozialistisches Höllenloch verwandeln, in dem der Antifa-Mob tobt, in dem alle Andersdenkenden in den Gulag der "Cancel Culture" gesperrt werden und jeder außerdem noch höhere Steuern bezahlen muss.
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Die beiden Plattformen haben nach FBI-Tipps ein Netzwerk russischer Accounts entfernt, die Falschinformationen verbreitet haben. Ihr Ziel waren insbesondere linke Wähler.
Man kann darüber streiten, was an Richtigem und Falschem in alldem steckt. Donald Trump ist vieles: ein Egomane, Dilettant, Lügner und Zerstörer. Aber er ist kein Faschist. Und Joe Biden ist natürlich kein Stalinist. Die Wahl im November zu einem existenziellen Moment zu stilisieren, mag helfen, die eigenen Wähler zu mobilisieren - Furcht ist ein machtvoller Antrieb. Aber es widerspricht dem Zweck von Wahlen in einer Demokratie. Eine Wahl soll die Frage, wer regiert, so regeln, dass die Verlierer eben nicht glauben, es ginge ums Überleben. Wer eine Wahlniederlage mit Untergang und Verderben gleichsetzt, riskiert, dass die Unterlegenen ihr Heil in Rebellion suchen.
Zweitens: Beide Seiten erzählen ihren Anhängern, dass ein Sieg der Gegenseite zwangsläufig auf Betrug beruhen müsse. Donald Trump macht das seit Monaten, indem er die Briefwahl attackiert, den sichersten und fairsten Weg, um in einer Pandemie zu wählen. Zuerst hat Trump das etwas verschämt getan, mittlerweile aber ist er völlig offen: Wenn die Demokraten gewinnen, dann nur, weil sie den Sieg gestohlen haben, twittert er.
Die Demokraten kontern mit dem Vorwurf, Trump sabotiere die US-Post, um seine Gegner daran zu hindern, ihre Stimmen abzugeben. Es gibt dafür tatsächlich Anzeichen. Aber ob es wahr ist oder nicht, ist für die Legitimität der Wahl am Ende eher zweitrangig. Denn egal, wer gewinnt - als rechtmäßigen Präsidenten dürften ihn allenfalls die Hälfte der Amerikaner sehen. Die Wähler des Verlierers bekommen schon jetzt eingebläut, dass das Ergebnis gefälscht oder ergaunert wurde. Warum also sollten sie es hinnehmen?
Hinzu kommt drittens, dass niemand sagen kann, ob und wann es überhaupt ein verlässliches Ergebnis geben wird. Wahlen in den Vereinigten Staaten sind schon in normalen Zeiten eine organisatorische Herausforderung. Das Virus und das ständige propagandistische und juristische Störfeuer von Trump könnten den Wahltag dieses Jahr zu einem Albtraum werden lassen.
Es ist durchaus möglich, dass der 3. November in einem Chaos aus Abstimmungs- und Auszählungsproblemen, Unstimmigkeiten und Gerichtsprozessen endet und es Wochen dauert, bis ein amtlicher Sieger erklärt ist.
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Auch in anderen US-Sportligen finden Partien nicht statt. Nachdem zwei Menschen in Wisconsin am Rande einer Demonstration erschossen wurden, wird ein 17-Jähriger wegen Mordes angeklagt.
Und damit ist man - viertens - wieder bei den leergekauften Waffenläden und der Gewalt, die seit Monaten das Land erschüttert. Die amerikanische Gesellschaft ist traumatisiert, sie ist aufgebracht, und man kann jede Nacht in irgendeiner Stadt sehen, dass es inzwischen sehr viele Menschen gibt, die ihre politische Meinung dadurch mitteilen, dass sie dreinschlagen, anzünden oder abdrücken.
Eine Wahl, in der alles auf dem Spiel steht, deren Ergebnis angezweifelt wird, bevor die erste Stimme abgegeben wurde, und die unter wirren Umständen in einem Land stattfindet, das von den schwersten Unruhen seit mehr als einem halben Jahrhundert erschüttert wird - da kann selbst sprühenden Optimisten mulmig werden. Die Rolling Stones haben 1969, auch das ein Jahr, in dem Amerika in Aufruhr war, "Gimme Shelter" aufgenommen, einen Song, der die finstere Stimmung damals beschrieb. "War, children, it's just a shot away", heißt es darin. Hoffentlich bleibt das nur ein altes Lied.