US-Wahl 2016:Nein, Big Data erklärt Donald Trumps Wahlsieg nicht

Donald Trump

Der gewählte Präsident: Donald Trump.

(Foto: AP)
  • In einem Artikel wird die These vertreten, der Wahlerfolg Donald Trumps ließe sich mit Big Data und der Arbeit eines britischen Unternehmens erklären. In den sozialen Medien bekommt die These viel Beachtung.
  • Doch in dem Text fehlen Fakten und Hintergründe. Es ist schlicht falsch, das Phänomen Trump nur anhand eines Faktors zu erklären.
  • Welche Punkte darüber hinaus noch Beachtung verdienen.

Von Matthias Kolb, Washington

Seit der Artikel "Ich habe nur gezeigt, dass es die Bombe gibt" des Magazins des Schweizer Tages-Anzeigers über die Daten-Firma Cambridge Analytica im Internet steht, sorgt er für gewaltiges Aufsehen. Lässt sich mit Big Data und einem britischen Unternehmen der für viele noch immer unbegreifliche Wahlsieg von Donald Trump erklären? Die Diskussionen, gerade bei Facebook, halten an - auch, weil diverse Artikel (etwa beim WDR, Spiegel Online oder Wired) die ziemlich steile These in Frage stellen.

Eines vorweg: Wer den Text noch nicht gelesen hat, der sollte das tun - die Forschung des Psychologen Michal Kosinski wird gut beschrieben, und je mehr Bürger sich bewusst machen, wie viele Daten Facebook und Google sammeln und was damit möglich ist, umso besser. In diesem Text soll es nur am Rande um die technischen Aspekte, Möglichkeiten und Grenzen von Big Data gehen. (Damit werden wir uns bei der SZ an anderer Stelle beschäftigen.)

Doch die These lässt sich auch aus anderen Gründen, aus politischen, nicht halten. Viele Fakten und Hintergründe fehlen. Es ist schlicht falsch, das Phänomen Trump (und dessen Wahlsieg) nur anhand einer Person, eines Faktors, einer Technik zu erklären. Was nun über die Daten-Operation (für die vor allem Schwiegersohn Jared Kushner verantwortlich war) bekannt wird, verdeutlicht nur, dass das Trump-Lager deutlich professioneller vorging als gedacht.

Diese Punkte verdienen aber darüber hinaus Beachtung:

Der Rückgang schwarzer Wahlbeteiligung hatte wohl andere Gründe. Ein gruseliges Detail des Texts sind die "sogenannten 'dark posts', also gekaufte Facebook-Inserate in der Timeline, die nur User mit passendem Profil sehen können. Zum Beispiel werden Afroamerikanern Videos zugespielt, in denen Hillary Clinton schwarze Männer als Raubtiere bezeichnet". Leider nennen die Autoren keine anderen Belege als die Behauptung von Cambridge Analytica (CA) für deren Wirksamkeit (bereits Ende Oktober hatte das Trump-Team mit "dark posts" angegeben). Dass weniger Schwarze wählen gingen als 2008 und 2012, lässt sich anders erklären: Barack Obama konnte nicht mehr antreten, schwarze Millennials fremdeln mit Clinton und in mehreren Staaten - allen voran North Carolina - hatten Republikaner die Gesetze so verändert, dass Minderheiten benachteiligt waren.

Ted Cruz war ein Republikaner-Star, bevor er CA anheuerte. Der Text des Magazins behauptet, dass der hartnäckigste Trump-Rivale Ted Cruz "aus dem Nichts gekommen" war. Das ist falsch: Seit der Texaner 2012 in den Senat gewählt wurde, war er Star der Tea-Party und Hoffnung vieler Evangelikaler. Cruz gab als Erster im März 2015 seine Kandidatur bekannt, erhielt von konservativen Milliardären schon zu Beginn 38 Millionen Dollar Spenden und galt stets als jemand, der bis zum Ende durchhalten werde (Übersicht über seine konstant guten Umfragewerte).

Cambridge Analytica brachte Ted Cruz nicht den Sieg. Cruz heuerte als Erster die Briten an, und zum Jahreswechsel 2015/2016 waren sich viele Beobachter einig, dass der Texaner Daten gut einsetzte. Es erschienen Artikel (etwa in der Washington Post) über die Methoden von CA. Insofern ist die Beschreibung des Magazins, Cambridge Analytica sei im Sommer 2016 "eine weithin unbekannte Marketingfirma" gewesen, fragwürdig: Wahlbeobachter kannten sie, CA-Vertreter sprachen auf Panels bei Tech-Konferenzen wie SXSW. Und wenn die Methode von CA so revolutionär ist: Warum wurde dann nicht Cruz zumindest Präsidentschaftskandidat der Republikaner? Die simple Antwort: Trump war der Kandidat, der die Anti-Establishment-Stimmung besser verkörperte und deshalb breitere Zustimmung fand als Cruz.

Konservative Gruppen investieren Hunderte Millionen in den Wahlkampf. Die Autoren des Texts haben recht, dass Trumps Digitalkampagne lange Zeit sehr klein war (allerdings war Digitalchef Brad Parscale sicher nicht der einzige Mitarbeiter). Doch fehlt eine andere Information im Text: Seit 2013 hatten die Parteifunktionäre im Republican National Committee (RNC) 175 Millionen Dollar investiert, um einen modernen "Get Out the Vote"-Apparat zur Wählermobilisierung aufzubauen. Die Daten-Auswertung und die Organisation von Aktivisten in den sogenannten swing states wurde ausgelagert: Für die RNC-Profis war Parteichef Reince Priebus verantwortlich, der nun Trumps Stabschef wird (Details bei Politico).

Clinton-Team war technisch weit besser

Der RNC war ebenso wichtig für den Wahlsieg wie andere Akteure. Die milliardenschweren Koch-Brüder spendeten zwar nicht an Trump, aber sie gaben mindestens 150 Millionen Dollar aus, um ihre Kandidaten in den Senat zu bringen. Im wahlentscheidenden Wisconsin, wo Trump mit nur 27 000 Stimmen Vorsprung siegte, investierte neben anderen Gruppen der Club for Growth eine Million Dollar, um die Wiederwahl von Senator Ron Johnson zu sichern - nicht nur der Weekly Standard glaubt, dass Trump deshalb als "knapper Sieger ins Ziel kam".

Clinton-Team war technisch weit besser. Ohne zu sehr ins Detail zu gehen: Die Darstellung des Daten-Teams von Hillary Clinton erscheint nicht zutreffend. Ja, sie verließ sich "auf das Erbe des ersten Social-Media-Präsidenten, Barack Obama" und erhielt "die Adresslisten der Demokratischen Partei" und "Unterstützung von Google und Dreamworks". Doch dies gehört zum Einmaleins des digitalen Wahlkampfs (siehe RNC oben). 2016 tat das Clinton-Lager genau das, was CA-Chef Nix in seinem breit zitierten Vortrag als Neuigkeiten verkauft: Es gab eine eigene App für Aktivisten, über die Daten gesammelt wurden, und das messaging war auf Geschlecht, Rasse und Alter zugeschnitten.

Nix hinterfragt in seinem PR-Vortrag das Vorgehen der Konkurrenz, wonach Wahlkampagnen nach demografischen Konzepten geführt würden: "Eine lächerliche Idee, wenn Sie darüber nachdenken: Alle Frauen erhalten die gleiche Nachricht, bloß weil sie das gleiche Geschlecht haben - oder alle Afroamerikaner, wegen ihrer Rasse?" Doch diese Aussage ist falsch, denn schon 2012 waren die Daten-Nerds viel weiter - passgenaue Botschaften hatte das Obama-Team zu bieten (Details hier). Gewiss: Mit Aufträgen von Präsidentschaftskandidaten lassen sich viele Millionen verdienen, weshalb man die Urteile der Konkurrenten über einzelne Akteure (auch CA) nicht überbewerten sollte. Aber es herrscht Einigkeit darüber, dass die Demokraten weiter technisch besser gerüstet sind (Details bei Politico). In Nevada und New Hampshire lief für Clinton alles nach Plan, doch für die Niederlagen in den sogenannten Rostgürtel-Staaten wie Michigan oder Ohio gab es andere Gründe.

Fazit: Alle vier Jahre, nach jeder Präsidentschaftswahl, loben sich die Sieger für ihre Strategie. Seit 2008 brüsten sich die Gewinner zudem mit ihrer Big-Data-Operation - die sich für Außenstehende schwer überprüfen lässt. 2012 wurden Obamas Strategen und Techniker in vielen Artikeln gefeiert.

Big Data ist fraglos wichtig, um möglichst viele der eigenen Wähler an die Urnen zu bringen ("Get Out the Vote"). Der Kandidat, dessen Team technisch fitter ist, hat einen möglicherweise entscheidenden Vorteil. Doch es ist nur ein Faktor von vielen. Deshalb lässt sich der Wahlsieg Trumps nicht dadurch erklären, dass sein Team die Firma Cambridge Analytica anheuerte. Es gelang womöglich, den technischen Rückstand auf die Clintons zu verringern - doch das ist nur ein Teil des Puzzles rund um die Wahl 2016, wie etwa auch die Entscheidung der Politberater Clintons, auf Wahlkampfauftritte in Wisconsin zu verzichten.

Ein letzter Gedanke: Wenn nur ein paar Zehntausend US-Bürger in Wisconsin, Michigan und Pennsylvania anders abgestimmt hätten und sich die Welt folglich auf die erste US-Präsidentin vorbereiten würde, dann hätten viele Journalisten lobende Artikel auf Hillary Clintons Super-Nerds wie Elan Kriegel verfasst.

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