Süddeutsche Zeitung

US-Wahl:Michelle Obama, die beste Werberin für Clinton

Niemand ist wertvoller für die Demokraten als die populäre First Lady. Ihr Auftritt in Arizona zeigt, wie Michelle Obama die Menschen inspiriert.

Von Matthias Kolb, Phoenix

Kurz vor Schluss fällt in Phoenix der Satz, auf den alle gewartet haben. Kaum hat Michelle Obama "When they go low" gesagt, rufen knapp 7000 Menschen begeistert: "We go high." Die sieben Worte, für die Michelle Obama bereits beim Parteitag Ende Juli gefeiert wurde, geben allen US-Amerikanern Hoffnung, die vom aktuellen Wahlkampf angewidert sind.

Und dieser Satz, der sich mit "Wenn sie niedere Instinkte zeigen, dann streben wir nach Höherem" übersetzen lässt, erklärt auch, wieso die First Lady so wertvoll für Hillary Clinton ist (die Washington Post beschreibt sie mit dem abgedroschenen Begriff der "Geheimwaffe"). Die 52-Jährige verbreitet überall Optimismus und ist die mit Abstand populärste Person auf der politischen Bühne der USA: 59 Prozent der US-Bürger mögen sie, während nur jeder Vierte schlecht über sie denkt (bei Clinton sind die Zahlen 40 beziehungsweise 50 Prozent).

Zwei Tage nach dem glamourösen Staatsbankett für Italiens Premier Matteo Renzi in Washington steht Michelle Obama also in Phoenix auf der Bühne. Als sie zu "Signed, sealed and delivered" von Stevie Wonder zum Rednerpult geht, ist der Jubel in der Messehalle ohrenbetäubend und die Begeisterung größer als bei allen Clinton-Events. Das Publikum ist bunt gemischt: Weiße, Schwarze, Latinos, muslimische Frauen mit Kopftuch und viele Homosexuelle mit "LGBT for Hillary"-Shirts. 30 Minuten dauert die Rede und sie zeigt, wieso die First Lady die wirkungsvollste Wahlkämpferin der Demokraten ist.

Sie nimmt Trump auseinander, ohne seinen Namen zu nennen. Wie die meisten ihrer Vorgängerinnen bleibt Obama als First Lady überparteilich (mehr Bildung für Mädchen weltweit ist ihr Lieblingsthema) und mischt sich selten in den Polit-Alltag ein. Wenn sie Donald Trump kritisiert, dann muss sie seinen Namen gar nicht nennen. "Anständige Männer erniedrigen Frauen nicht. Wir dürfen so ein Verhalten von niemandem tolerieren - schon gar nicht von einem Mann, der Präsident werden will." Riesig ist der Jubel nach dieser Aussage, auf die der Satz folgt: "Eine Attacke auf eine Frau ist eine Attacke auf uns alle."

Sie berichtet von Tausenden Briefen, die sie nach ihrer Rede in New Hampshire (dort sagte sie, dass Trumps Aussagen im Pussygate-Video sie "bis ins Mark" erschüttert hätten) erhielt: "Das ist das Amerika, das ich kenne. Wir haben gemeinsame Werte, nämlich Mut, Mitgefühl und Anstand." Auch wenn sie immer höflich bleibt, ist die Botschaft unmissverständlich: Trump teilt diese Werte nicht. Obama äußert ihre Kritik indirekt, aber dadurch nicht weniger klar.

Vielleicht, so die First Lady, wisse es der Republikaner nicht besser, weil er in seinem "goldenen Turm" lebe und keinen Kontakt zu normalen Menschen habe: "Er versteht uns einfach nicht." Doch dies rechtfertige nicht, dass Trump Muslime dämonisiere, Behinderte verspotte, Frauen wie Objekte beurteile, Einwanderer als Verbrecher darstelle ("dabei arbeiten sie, bis die Hände wund sind") oder alle Afroamerikaner als arm.

Sie sei in Chicago in einem jener Schwarzenviertel aufgewachsen, die Trump im Wahlkampf ständig als "Hölle" bezeichnet: "Vielleicht hat er all die anständigen Leute nicht gesehen, die wie meine Eltern hart gearbeitet haben, um ihre Kinder auf die Uni zu schicken oder Überstunden gemacht haben, um alle Rechnungen zu zahlen." Womöglich halte er es nicht für möglich, so Obama, dass es solche Leute "wie uns" gebe, und deswegen sehe er sie nicht als gleichwertige Menschen an.

Sie ist ein Vorbild - nicht nur für Frauen. Es sind solche Sätze, für die Mark Mioni Michelle Obama bewundert. Auch er sei in Chicago in armen Verhältnissen aufgewachsen und habe später Jura studiert. "Sie ist die Beste und behandelt jeden mit Respekt", sagt der 41-Jährige, der ein großes "Michelle"-Schild in die Luft hält.

Auch Dianna Magana sieht in ihr ein Vorbild für sich und ihre sechsjährige Tochter Amelie. Sie habe es nicht nur an die Elite-Unis Princeton und Harvard geschafft, sondern auch zwei Töchter erzogen und ihren Mann Barack hervorragend unterstützt. "Ich finde es fantastisch, wie sie sich dafür einsetzt, dass sich Kinder gesünder ernähren", sagt die 29-Jährige. Die 21 Jahre alte Studentin Victoria Mendoza sieht in Michelle den Beweis, dass Frauen sowohl smart als auch schön seien können. Mendoza ist als Kind mexikanischer Eltern in Texas geboren und brennt darauf, für Hillary Clinton zu stimmen: "Diese Wahl ist sehr wichtig für uns, denn Trump spaltet die Gesellschaft."

Sie spricht junge Leute an. Anders als Clinton ist Michelle Obama bei den Millennials, also den unter 35-Jährigen, sehr populär. "Sie ist glaubwürdig und dort, wo wir uns aufhalten: vom Disney Channel bis zu den sozialen Netzwerken", schwärmt die 23-jährige Ashley Norwood. Das stimmt: Für ihre Marke @FLOTUS (First Lady of the United States) hat Obamas Team eine hervorragende Social-Media-Strategie (Details in diesem SZ.de-Text) entwickelt - und dazu gehört auch, beim "Carpool Karaoke" mit Missy Elliott und James Corden zu singen.

Weil sie weiß, dass viele Jungwähler sowohl Clinton als auch Donald Trump schrecklich finden und überlegen, den Libertären Gary Johnson oder die Grüne Jill Stein zu wählen, redet Michelle Obama in Phoenix Klartext: "Hier kommt die Wahrheit. Wenn ihr für jemand anderen als Hillary stimmt, dann helft ihr ihrem Gegner, Präsident zu werden. Ich will, dass ihr eine Minute nachdenkt: Wie wird es sich anfühlen, am 9. November aufzuwachen und das zu erleben?"

Eindeutig verurteilt sie den Tabubruch Trumps, der es in der TV-Debatte offenließ, ob er das Wahlergebnis anerkennen werde, und ruft: "Die Welt beneidet uns um unsere Demokratie, damit spielt man nicht." Hinter Trumps Gerede stecke die Strategie, dass möglichst viele Wähler aus "Müdigkeit, Frust oder Ekel" zu Hause bleiben. "Lasst euch euren Einfluss und euren Mut nicht nehmen", ruft Michelle Obama und fährt fort: "Wenn ich euch eine Botschaft mitgeben darf: Bleibt zuversichtlich und mutig." Dies sind jene inspirierenden Worte, nach denen sich - allen Umfragen zufolge - junge Wähler sehnen und die sie 2016 vor allem von Bernie Sanders gehört haben, Clintons Rivalen im Vorwahlkampf.

Sie wirbt besser für Clinton als Hillary selbst. Nach dem erbitterten Wahlkampf 2008 dauerte es lange, bis sich Michelle Obama und Hillary Clinton versöhnten - die erste schwarze First Lady stand dem Politbetrieb extrem kritisch gegenüber. Doch weil sie den Kampf gegen Trump als etwas Persönliches ansieht (sie hat ihm nie verziehen, dass dieser anzweifelte, dass Barack Obama in den USA geboren wurde), ist Michelle Obama nun die beste Clinton-Erklärerin - und in ihren Reden ist wieder einiges an "Hope and Change" und "Yes we can" zu spüren.

Sie lobt das jahrzehntelange Engagement Clintons für Kinder, ihr Mitgefühl und ihre Kompetenzen: "Sie ist besser vorbereitet als Barack oder Bill. Und zufällig ist sie eine Frau." Hillary Clinton und sie selbst seien als Arbeiterkinder aufgewachsen und hätten dies nie vergessen, ruft Obama. Während Trumps Vision für die USA von "Hoffnungslosigkeit, Angst und Verzweiflung" gezeichnet sei, stehe die Demokratin für "Toleranz, Gleichberechtigung und Chancengleichheit für alle".

Anders als die oft steife Kandidatin Clinton kann Obama besser präsentieren, wer von ihren Plänen profitiere: Die Uni-Ausbildung werde billiger, der Mindestlohn solle erhöht und die Einwanderungsgesetze endlich reformiert werden. In Phoenix beendet sie ihr Plädoyer mit diesen Worten: "Hillary hat umfassende Pläne vorgelegt, wie sie Menschen helfen will. Ihr Gegner hat nur Tweets vorzuweisen. Nun müsst ihr selbst entscheiden."

Sie wählt ihre Auftritte sorgsam aus. Michelle Obama ist eine hervorragende Rednerin, die gleichzeitig selbstsicher, leidenschaftlich und cool wirkt. Ihre Auftritte sorgen auch deswegen regelmäßig für Aufsehen, weil sie eher selten auftritt (im Vergleich zu Ehemann Barack oder den All-Star-Demokraten Bernie Sanders, Joe Biden, Bill Clinton oder Elizabeth Warren). Dass sie knapp drei Wochen vor der Wahl in Arizona auftritt, wird aufmerksam registriert: Eigentlich ist dieser Staat trotz seines hohen Anteils an Latino-Wählern fest in der Hand der Republikaner (nur Bill Clinton siegte 1996 dort), doch in aktuellen Umfragen liegt Hillary Clinton hier knapp vor Trump. Dies belegt, wie stark der Geschäftsmann Trump polarisiert.

In Phoenix sind am Nachmittag nicht nur laute "We will turn Arizona blue"-Rufe zu hören - der Auftritt Michelle Obamas inspiriert viele, sich nun als freiwillige Wahlkampfhelfer zu engagieren. "Es ist aufregend, dass Arizona nun ein battleground state ist und wir Demokraten uns nicht mehr verstecken müssen", sagt Kari Neumann. Sie wohnt drei Autostunden entfernt und stand mit ihrer 16-jährigen Tochter Sydney vier Stunden in der Schlange, um Obama nah zu sein.

Auch Kari Neumann wird versuchen, möglichst viele Mitbürger zum Wählen zu motivieren, damit die Demokraten endlich wieder in Arizona siegen. Doch nach den TV-Debatten lässt die Anspannung nach. "Es ist gut zu wissen, dass Hillary Clinton Präsidentin werden wird. Nur ein Meteorit kann das noch verhindern", sagt sie lachend und eilt zum Auto.

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