US-Wahl:Fünf Gründe, warum Biden gewonnen hat

Lesezeit: 6 Min.

Donald Trump will es nicht einsehen, doch er hat die Wahl verloren. Warum Joe Biden gewonnen hat, welche Rolle Trumps Charakter spielt und warum die Pandemie nicht so wichtig war wie erwartet: die Analyse.

Von Sebastian Gierke

Auch wenn es Donald Trump nicht einsehen will: Er hat die Wahl verloren. Donald Trump bleibt mit großer Wahrscheinlichkeit ein one-term president, der Republikaner wurde nach einer Amtszeit abgewählt. Vier Jahre Trump waren genug, befand eine Mehrheit der US-Amerikaner. Der Demokrat Joe Biden ist der Sieger der US-Präsidentenwahl. Allerdings: Donald Trump zweifelt das Wahlergebnis an und hat wegen angeblichen Betrugs rechtliche Schritte eingeleitet. Er wird möglicherweise zu schmutzigen, undemokratischen Tricks greifen, und möglicherweise kommt es zur Neuauszählungen der Stimmen in einigen Staaten.

Die wichtigsten Faktoren für Bidens Sieg:

Die Wahlbeteiligung

Die Wahlbeteiligung war hoch, so hoch wie wohl noch nie bei einer US-Präsidentschaftswahl. Vor allem in den swing states, den umkämpften Bundesstaaten, konnten beide Kandidaten Wähler in Rekord-Zahl mobilisieren. Und auch wenn die Zahlen noch nicht endgültig sind, scheint die Wahlbeteiligung der Hauptgrund für Joe Bidens Sieg zu sein. Er konnte Donald Trump zwar offenbar kaum Wähler abspenstig machen, wer Trump unterstützt, tut das meist bedingungslos und treu. Trotzdem stimmten mehr Menschen für Biden, als 2016 für Hillary Clinton. Vor allem per Briefwahl gaben ihm so viele Menschen ihre Stimme, dass der gleichzeitige Zuwachs an Trump-Wähler in absoluten Zahlen am Ende zu wenig war.

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Kommentar von Stefan Kornelius

Deutlich wird das beispielsweise bei einem Blick in die Vorstädte, die Trump vor vier Jahren gewinnen konnte. 47 Prozent der suburbians stimmten für ihn, nur 45 für Hillary Clinton. Nach ersten, noch vorläufigen Nachwahlbefragungen liegt Trump jetzt bei 48 Prozent, Biden allerdings bei 51 Prozent, ein klares Plus. Ein Plus, das auch deutlich macht, dass das Wahlkampfthema law and order, das Trump verzweifelt und immer wieder versucht hatte in den Mittelpunkt seiner Kampagne zu stellen, nicht das erhoffte Resultat erbracht hat.

Wunsch nach etwas politischer Normalität

Nach vier Jahren Trump, nach vier Jahren, in denen statt Wandel und Veränderung Chaos und Polarisierung dominierten - will eine Mehrheit der US-Amerikaner wieder ein Mindestmaß an Verlässlichkeit und Vertrauen. Wer in den USA ein Gespräch über Politik führt, ist aktuell ständig in der Gefahr, sich sein Gegenüber zum Gegner zu machen. Die politische Spaltung macht selbst vor Familien nicht halt. Freund oder Feind, das sind oft die beiden Alternativen, vor die die Menschen gestellt werden. Bidens Präsidentschaftsambitionen wären an dieser Polarisierung fast zerbrochen, Trump-Wähler konnte er kaum von sich überzeugen.

Aber die Polarisierung, die Skandale, die Hysterie hat neue Wähler an die Urnen getrieben. Die Wut auf den Präsidenten hat mobilisiert. Die Russland-Affäre inklusive Impeachment-Verfahren, Trumps unverhohlener Flirt mit Rassisten, sein Finanzgebaren, die Nichtveröffentlichung seiner Steuererklärung und die Enthüllung, dass er nur 750 Dollar Steuern im ersten Jahr seiner Präsidentschaft gezahlt hat, Selbstbereicherung während der Präsidentschaft, Schweigegeld für eine Pornodarstellerin, mit der er Sex hatte, Zweifel an der Legitimität der Wahl säen: Die Reihe bemerkenswerter Skandale ließe sich noch lange fortsetzen. Beinahe jede Woche gab es während der Präsidentschaft ein Aufregerthema. Nicht immer war Trump dafür alleine verantwortlich, aber bei beinahe jedem Thema stellte er sich in den Mittelpunkt, oft heizte er die Diskussion durch Zuspitzungen und Lügen an. Eine der schlimmsten Verfehlungen leistete er sich dann nach dem Wahltermin, als er die Legitimität der Wahl in Zweifel zog, sich zum Sieger ausrief, noch bevor alle Stimmen ausgezählt waren, und als er schließlich die Auszählung der abgegebenen Stimmen als "Betrug" bezeichnete. Das gab es noch nie.

Viele haben für Biden gestimmt, weil er nicht Trump ist. Sie wollen ein Ende des Trumpschen Nepotimus, erhoffen sich, was sie schon von Barack Obama erwartet haben: Versöhnung. Das ist, so viel kann man angesichts der aufgeheizten Stimmung im Land und dem Verlauf der Wahl wohl schon jetzt sagen, zu viel verlangt. Amerika ist gespalten wie nie zuvor. Doch auch wenn in den kommenden vier Jahren keine Heilung möglich ist, besteht doch die Hoffnung auf weniger Aufregung und Disruption. Auf etwas mehr Ruhe und eine Rückkehr zu ein wenig politischer Normalität.

Biden hat aus den Fehlern Clintons gelernt

Hillary Clinton, der Inbegriff des US-amerikanischen Polit-Establishments: Das ist das Bild, das von der demokratischen Kandidatin 2016 gezeichnet worden war. Sie verkörperte für viele Wähler die Elite in Washington, galt gar als Kandidatin der Wall Street. Joe Biden wusste, dass ihm, nach 26 Jahren im Senat und acht Jahren im Weißen Haus, das gleiche Schicksal drohen könnte. Deshalb hat der Demokrat einen Wahlkampf geführt, der ihn vor allem als bodenständig erscheinen lassen sollte. Ich bin einer von euch, das war die Botschaft: der Middle Class Joe. Immer und immer wieder sprach Biden über seine Herkunft aus einfachen Verhältnissen, über seine Heimatstadt Scranton, Pennsylvania, eine ehemalige Bergbaustadt.

Im Wahlkampf hielt er sich zurück, war sogar lange fast nur auf Videoaufnahmen aus dem Keller seines Hauses in Delaware zu sehen. Auch kurz vor dem Wahltermin hielt er, im Gegensatz zu Trump und dessen großen rallies, nur kleine Wahlkampfveranstaltungen ab. Das war in Zeiten von Corona notwendig, aber auch eine Botschaft für sich. Es war Taktik. Eine riskante Taktik. Biden bot kaum Angriffsfläche, konnte aus dieser defensiven Haltung aber auch nicht so vehement angreifen, wie es nötig gewesen wäre. Er attackierte zwar Trump ständig: Dieser zerstöre Amerika, verrate die Werte, für die das Land steht, seine Seele. Doch Biden kam nie wirklich in die Offensive. Er wollte vor allem den Vorsprung verwalten, Fehler vermeiden. Und blieb dabei farblos. Fast ging das schief. Aber nur fast.

Dass Trump ihn bei jeder Gelegenheit als "Sleepy Joe" diffamierte, ließ Biden an sich abprallen. Und so entstand im Wahlkampf das Bild des bodenständigen, nicht sonderlich dynamischen, aber erfahrenen und weitsichtigen Staatsmannes. Gegen diesen Staatsmann waren die Attacken Trumps nicht wirkungsvoll genug. Seine eingeschworene Basis, das vor allem weiße Amerika in den ländlichen Regionen, hat Trump damit zusammengehalten. Das hat - so knapp es in einigen Bundesstaaten auch war - dieses Mal nicht gereicht.

Trumps Charakter

Gern hätte man erfahren, wie der 45. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika auf die Ergebnisse zuverlässiger Umfragen nach dem ersten TV-Duell reagierte. Donald Trump hatte am 29. September, wenige Wochen vor der Wahl, versucht, seinen Kontrahenten Joe Biden zu überrollen. Kaum einen Satz konnte der Herausforderer sprechen, ohne von Trump unterbrochen zu werden. Trump wollte Biden dominieren, ihn klein und schwach aussehen lassen und so bei den Wählern punkten.

Doch bei der überwiegenden Zahl der Menschen kam offenbar - noch einmal und sehr deutlich - an, dass Donald Trump Brutalität, Aggression, Lüge und Narzissmus zum Politikstil erhoben hat. Dass er rücksichtslos ist und damit ein schlechter Politiker, der jede Entscheidung nur nach dem von ihm imaginierten Eigennutzen orientiert. All das ist nach vier Jahren Trump-Präsidentschaft keine Überraschung mehr gewesen. Doch in diesem TV-Duell wurde es kurz vor der Wahl noch einmal überdeutlich - und Trumps ohnehin magere Umfragewerte wurden danach noch schlechter.

Seine Taktik der Dominanz und Brutalität, auf die er große Teile seiner Präsidentschaft aufgebaut hatte, ging ein letztes Mal nicht auf. Im zweiten TV-Duell mäßigte er sich, aber es war wohl zu spät. Diese Wahl war auch eine Abstimmung über Trumps Charakter; dafür immerhin hat Biden im Wahlkampf gesorgt. Immer wieder hat er über den guten Charakter des Landes gesprochen - und für wie schlecht er den seines Kontrahenten hält. Nicht alle Amerikaner sind ihm dabei gefolgt - aber die Mehrheit hat Trumps Charakter für schlecht befunden.

Die Pandemie

Ein wichtiges Thema des Wahlkampfs war die Pandemie und der Umgang der US-Regierung damit. Vorwahlen, der Wahlkampf und die Abstimmung selbst - alles wurde vom Coronavirus Sars-CoV-2 überschattet. Die Auswirkungen der Pandemie - Millionen Infizierte und mehr als 230 000 Tote in den USA - sowie deren wirtschaftliche Folgen haben die Entscheidung vieler Wähler beeinflusst. Allerdings nicht unbedingt zugunsten Bidens. Noch fehlen auch hier die endgültigen Zahlen, doch bei den Fragen: Das Virus bekämpfen, auch wenn die Wirtschaft darunter leidet? Oder die Wirtschaft stärken, auch wenn die Anti-Corona-Maßnahmen in Mitleidenschaft gezogen werden?, auch bei diesen Fragen zeigen sich die Amerikaner gespalten.

Das Thema hat allerdings zur aufgeheizten Stimmung im Wahlkampf und dadurch potentiell auch zu einer höheren Wahlbeteiligung geführt. Und ein paar Stimmen hat es Trump sicher auch gekostet. Trump, der sich auch mit dem Virus infizierte, machte nie den Eindruck, als hätte er einen Plan. Sein Corona-Management wirkte auf viele Wähler erratisch, impulsiv und zufällig, so wie sein gesamter Regierungsstil. Mal warnte er vor dem Virus, dann spielte er seine Gefährlichkeit herab, mal forderte er zum Tragen von Masken auf, dann wieder verhöhnte er seinen Herausforderer für genau das. Zu Beginn der Pandemie präsentierte Trump sich fast täglich mit dem Top-Virologen Anthony Fauci, gegen Ende des Wahlkampfes kritisierte er diesen immer wieder scharf. Als er dann kurz vor dem Wahltag seine Wähler warnte, Biden haben in der Pandemie vor, "auf die Experten zu hören", verwandelte Biden diese Vorlage sicher. Er twitterte: "...yes".

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