US-Wahl:Ein Sieg von Donald Trump ist durchaus denkbar

  • Umfragen sind in zweierlei Hinsicht problematisch: Zum einen können sie schlicht falsch sein. Zum anderen wird in vielen Bundesstaaten schon seit Wochen gewählt.
  • In den vergangenen beiden Wahlen wich das Ergebnis der US-Wahlen jeweils um etwa drei Prozentpunkte von den Umfragen ab.
  • Die Umfragen lassen einen Erdrutschsieg Clintons ebenso denkbar erscheinen wie einen knappen Sieg von Trump. Der Republikaner ist nicht der Favorit, aber er kann durchaus gewinnen.

Von Hubert Wetzel

Wenn Wahlforscher in den USA über die Präsidentschaftswahl reden, fällt meistens irgendwann der Begriff blue wall - die blaue Mauer. Blau ist in der politischen Farbenlehre Amerikas die Farbe der Demokraten, und gemeint sind mit dem Begriff jene Bundesstaaten, die in den vergangenen 25 Jahren zuverlässig für den jeweiligen demokratischen Kandidaten gestimmt haben. Zur blauen Mauer gehören die beiden bevölkerungsreichsten Staaten - Kalifornien und New York - sowie etliche weitere Staaten an der Ostküste und im Mittelwesten.

Zusammengenommen haben diese Staaten 242 Stimmen im sogenannten Electoral College, dem Wahlmännergremium, das den neuen Präsidenten bestimmt. Um Präsident zu werden, braucht ein Kandidat mindestens 270 der 538 Stimmen in diesem Gremium. Das heißt: Die Demokraten beginnen seit mehr als zwei Jahrzehnten jede Wahl mit einem strukturellen Vorteil. Sie können mehr oder weniger fest mit 242 Stimmen rechnen. Die red wall, jene Bundesstaaten im Süden und Südwesten der USA, die traditionell rot, also republikanisch wählen, haben zusammen lediglich 102 Stimmen im Electoral College. Allein 38 dieser Stimmen kommen aus Texas, dem wichtigsten Staat in der roten Mauer.

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Übrig bleiben also nur einige wenige Bundesstaaten, allen voran Florida und Ohio, um welche die Kandidaten freilich umso heftiger kämpfen. Denn: Wer die Mehrheit der Wählerstimmen in einem Staat gewinnt, der gewinnt in der Regel alle seine Wahlmännerstimmen. Nur Maine und Nebraska teilen ihre Stimmen im Electoral College auf.

Das war die Ausgangslage vor etwas mehr als einem Jahr, als die Demokratin Hillary Clinton und der Republikaner Donald Trump ihren Wahlkampf begannen. Clintons Strategie war: die blaue Mauer zu verteidigen und einen weiteren großen Staat - Florida oder Ohio - sowie einige kleine Staaten hinzuzugewinnen. Das, so das Kalkül ihrer Strategen, sollte die Kandidatin problemlos über die magische Marke von 270 Wahlmännerstimmen bringen.

Für Trump war der Weg zu den 270 Stimmen von Anfang an viel schwieriger. Er kann eigentlich nur Präsident werden, wenn er entweder die beiden großen Staaten Florida und Ohio gewinnt und zusätzlich mindestens einen weiteren großen Staat, etwa Pennsylvania; oder wenn er in praktisch allen anderen Staaten siegt, die nicht festgelegt sind. Ausgeschlossen ist das mitnichten. Immer wenn Trump während des Wahlkampfs in den Umfragen zurückfiel, rückte auch die 270-Stimmen-Marke in weite Ferne.

Das kleine New Hampshire könnte alles entscheiden

Doch am Tag vor der Wahl lag er deutlich besser im Rennen, zumindest was die Umfragewerte in den einzelnen Staaten angeht. Man konnte am Montag auf Grundlage dieser Umfragen eine Wahlkarte zeichnen, nach der Clinton 278 Wahlmännerstimmen hatte, Trump hingegen 260 - mit knappen Abständen in mehreren Staaten. Nach Ansicht der Wahlexperten des Blogs FiveThirtyEight trennte am letzten vollen Wahlkampftag vor allem ein Bundesstaat Trump von einer Mehrheit im Electoral College: das kleine New Hampshire mit vier Wahlmännerstimmen. Im Durchschnitt der Umfragen führte Clinton dort mit etwa zweieinhalb Prozentpunkten. Hinzu kam Nevada, wo ihr Vorsprung statistisch kaum fassbare 0,3 Prozentpunkte betrug.

Umfragen sind ohnehin in zweierlei Hinsicht problematisch. Zum einen können sie schlicht falsch sein. Aber selbst wenn sie akkurat sind, haben sie meist eine Fehlermarge von zwei oder mehr Prozentpunkten. In den vergangenen beiden Wahlen wich das Ergebnis jeweils um etwa drei Prozentpunkte von den Umfragen ab: Barack Obama siegte 2012 mit einem höheren Vorsprung als erwartet, und die Republikaner gewannen die Kongresswahl 2014 klarer als prognostiziert. In einem Rennen, in dem in einem möglicherweise wahlentscheidenden Staat der Vorsprung eines Kandidaten nur einen oder zwei Prozentpunkte oder weniger beträgt - wie in New Hampshire oder Florida -, sagt selbst eine genaue Umfrage daher nur sehr wenig aus.

Zum anderen wird in vielen Bundesstaaten schon seit Wochen gewählt. Immer mehr Amerikaner nutzen die Möglichkeit zur Frühwahl, rund ein Drittel aller Stimmen sind am eigentlichen Wahltag schon abgegeben. Das bedeutet, dass Umfragen nur noch begrenzten Wert haben. Ein Beispiel: Der Bundesstaat Nevada, den Trump eigentlich unbedingt gewinnen müsste, um die nötigen 270 Elektorenstimmen zusammenzubekommen. Die letzten Umfragen sehen den Republikaner in Nevada fast gleichauf. Vor einigen Tagen jedoch meldeten lokale Medien, dass im Großraum Las Vegas bereits so viele Menschen für Hillary Clinton abgestimmt hätten - vor allem Latinos -, dass dieser Vorsprung für Trump praktisch nicht mehr aufholbar sei. Ob das alles so stimmt, wird man am Mittwoch wissen.

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Clinton leidet offenbar darunter, dass weniger Schwarze wählen gehen

Sicher ist, dass Trumps Wahlkampf eine zwiespältige Wirkung hatte. Einerseits hat er mit seiner scharfen Kritik am Freihandel und seinem patriotischen America-First-Gerede sehr viele traditionelle Demokratenwähler aus der weißen, weniger gebildeten Arbeiterschicht angesprochen, zum Beispiel in Ohio. Andererseits hat er mit seinem harten Kurs gegen Einwanderer die am schnellsten wachsende Wählergruppe verschreckt, die Latinos. Auch bei gebildeten Frauen aus der Mittelschicht kam das oft rassistische Gerede über "Vergewaltiger" aus Mexiko nicht gut an. Das hat Trump Unterstützung in so wichtigen Staaten wie New Mexico im Südwesten oder in Virginia und Pennsylvania gekostet, die er den Demokraten wegnehmen müsste, um die Wahl zu gewinnen.

Clinton wiederum leidet offenbar darunter, dass weniger Schwarze wählen gehen als bei den vergangenen beiden Abstimmungen. Damals war Barack Obama der Kandidat der Demokraten, was viele Afroamerikaner an die Urnen brachte. Diesen Enthusiasmus löst Clinton nicht aus, erste Frühwahlergebnisse haben in ihrem Lager daher Sorge ausgelöst. So schien am Montag ein Clinton-Sieg in North Carolina, wo Obama vor acht Jahren gewann, nicht sehr wahrscheinlich zu sein. Auch in Florida kann Clinton nur gewinnen, wenn die Schwarzen in großer Zahl wählen gehen.

Wo also steht das Rennen, wenige Stunden bevor die Wahllokale schließen? Die ehrliche Antwort ist: Alles ist offen. Die Umfragen lassen einen Erdrutschsieg Clintons ebenso denkbar erscheinen wie einen knappen Sieg von Trump. Der Republikaner ist nicht der Favorit, aber er kann durchaus gewinnen. Realistisch erscheint eine Siegchance von etwa 70 zu 30 Prozent für Clinton. Egal, wer gewinnt - die Verliererseite wird sich gewaltig ärgern, dass sie keinen anderen Kandidaten ins Rennen geschickt hat. Denn auch das scheint nach diesem Wahlkampf sicher zu sein, in dem alle Schwächen von Clinton und Trump so sichtbar geworden sind: Jeder andere Republikaner hätte bessere Siegchancen gegen Clinton gehabt; und jeder andere Demokrat bessere Chancen gegen Trump.

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