Süddeutsche Zeitung

US-Wahl:Die letzte verzweifelte Hoffnung der moderaten Republikaner

Lesezeit: 4 Min.

Von Nicolas Richter, Washington

Wahlparteitage in den USA erinnern an Dauerwerbesendungen: Es wird pausenlos geredet und angepriesen, alles ist penibel inszeniert, und jeder weiß genau, wie es ausgeht. Am Ende der Woche spricht der Kandidat für das Weiße Haus, der allerdings schon seit Beginn der Woche feststeht. Beim Parteitag der Republikaner vor vier Jahren in Tampa war dies Mitt Romney. Als eine seiner Lebensleistungen wurde angeführt, dass er eine Großmarktkette aufgebaut hatte, die Briefumschläge und Büroklammern verkauft. Der Einzige, der aus dem Rahmen fiel, war Clint Eastwood: Minutenlang grantelte er einen leeren Stuhl an, was herrlich skurril war, die Parteitags-Regisseure allerdings nachhaltig verstörte.

Beim Konvent der Republikaner Mitte Juli in Cleveland nun könnte es passieren, dass man am Montag nicht weiß, wer am Donnerstag die Kandidatenrede hält. Jedenfalls hoffen das jene gemäßigten Kräfte, die den Beleidiger-in-Chief Donald Trump verhindern möchten. Diese Kräfte haben Trump zunächst über Monate lügen und fluchen lassen, in dem Glauben, er werde von selbst kollabieren. Stattdessen kollabierten dessen Gegenkandidaten Chris Christie, Jeb Bush und Marco Rubio. Trump gewinnt derweil eine Vorwahl nach der anderen, nichts scheint ihn anzufechten, nicht einmal seine Wahlkampfauftritte, die längst so aussehen wie die Prügelshow von Jerry Springer.

Nach der ersten Runde sind viele Delegierte nicht mehr an den Wählerwillen gebunden

Seit Dienstag ruhen die letzten Hoffnungen, Trump noch loszuwerden, nur noch auf Cleveland. Dort wählen Delegierte aus allen Staaten den Kandidaten mit absoluter Mehrheit, also mindestens 1237 Stimmen. Die Planspiele gegen Trump beginnen mit der Prämisse, dass er diese absolute Mehrheit nicht erreicht. Das klingt sonderbar, weil Trump ja bisher in mehr Staaten gewonnen hat als jeder andere Rivale.

Allerdings sind ihm viele Delegierte entgangen, weil sie in den ersten Vorwahlen proportional an etliche Bewerber verteilt wurden und weil Trump eben auch in mehreren Staaten verloren hat, etwa in Texas gegen den Tea-Party-Senator Ted Cruz oder in Ohio gegen den moderaten Gouverneur John Kasich. Es kann also sein, dass Trump nach der letzten großen Vorwahl im Juni in Kalifornien etwa hundert oder ein paar Dutzend Delegierte fehlen.

Im Juli nun werden in der Sportarena von Cleveland, wo sonst der Basketballstar LeBron James spielt, die fast 2500 Delegierten abstimmen. Im ersten Wahlgang sind sie an das Votum der Vorwähler gebunden: Jene zum Beispiel, die aus Florida anreisen, wo Trump alle Delegierten gewonnen hat, müssen für Trump stimmen. Erreicht Trump nun nicht die absolute Mehrheit, folgt der nächste Wahlgang.

Ab dieser zweiten Runde sind die Delegierten mancher Staaten nicht mehr an den Wählerwillen gebunden, sie können also zu einem anderen Kandidaten wechseln. Findet sich auch im zweiten Wahlgang keine absolute Mehrheit, folgt die dritte Runde, in der dann 80 Prozent der Delegierten so abstimmen dürfen, wie sie es für richtig halten.

Auf dem Basketballplatz wird ein Spiel beginnen, in dem Wortführer, Strippenzieher und Einflüsterer versuchen, einen Konsenskandidaten zu ermitteln. Dies wird brokered convention genannt, ein Parteitag, auf dem das Ergebnis "ausgehandelt" wird. Bei den Republikanern ist das seit 1948 nicht mehr vorgekommen, bei den Demokraten seit 1952.

Kasich hat angekündigt, dass er bis Juli im Wettbewerb bleibt, obwohl er bisher nur einen einzigen Staat gewonnen hat. Seine Hoffnung liegt darin, dass die Parteispitze sowohl Trump als auch Cruz für zu radikal hält - und dass die Delegierten ihm die größten Chancen zurechnen, die Demokratin Hillary Clinton in der Hauptwahl zu besiegen.

Sollte die Parteispitze die Regeln entsprechend formulieren, könnten sich in Cleveland sogar Politiker bewerben, die zu den Vorwahlen gar nicht angetreten sind. Ex-Kandidat Mitt Romney zum Beispiel, der kürzlich eindringlich vor Trump gewarnt hat. Oder Paul Ryan, der Chef der Republikaner im Parlament: Manche hoffen, dass er sich am Ende zur Verfügung stellt als deus ex machina, den die Parteitagsregie auf die Bühne herabschweben lässt, um die zerstrittenen Republikaner aus ihren Qualen zu befreien.

All diese Szenarien allerdings wirken eher wie verzweifelte Fantasien als wie ein realistischer Ausweg. Die Parteispitze hat oft genug bewiesen, dass sie jede Kontrolle über ihre Basis verloren hat. Nach der Niederlage Romneys 2012 wollte sie den Republikanern einen neuen, weltoffenen und toleranten Ruf verpassen, Jeb Bush oder Marco Rubio sollten das Gesicht dafür sein. Dann erschien der Populist Trump mit seinen Ausfällen gegen Frauen, Ausländer und Behinderte und machte alle Pläne zunichte. Große Teile der Basis verachten eben jene Strippenzieher, die sich in Washingtoner Büros Wahlprogramme und ausgehandelte Parteitage ausmalen.

Die Szenarien wirken eher wie verzweifelte Fantasien

Etliche Wähler haben in Trump einen Mann gefunden, der ihre Wut verkörpert. Die Vorstellung, dass er mit knapp 1200 Delegierten nach Cleveland reist und dann von Ryan gestürzt wird, der gar nicht zur Wahl stand, ist abenteuerlich. Trump würde dann sofort die Partei verlassen und eine unabhängige Kandidatur für die Hauptwahl ankündigen, was dem republikanischen Kandidaten jede Siegeschance nehmen würde. Trump könnte seine glühende Gefolgschaft auch auffordern, sich bei der Hauptwahl zu enthalten. Die Partei könnte auch zerfallen in ein moderates und ein radikales Lager.

Anders als 1948 fände der umkämpfte Parteitag heute im Live-Fernsehen und auf Twitter statt, womöglich würde sich die Partei inmitten von Regelstreitigkeiten, Schlägereien und verzweifelten Appellen zur Vernunft vor den Augen der ganzen Welt in ihre Einzelteile auflösen. Draußen dürfte es derweil Trump-Demos und Anti-Trump-Demos geben, die örtliche Polizei hat bereits Ausrüstung bestellt, um möglichen Ausschreitungen zu begegnen.

Womöglich hoffen die ganz nüchternen Republikaner deswegen auf dieses Szenario: Die Partei stellt sich im Juli schicksalsergeben hinter Trump, nimmt im Herbst eine historische Niederlage gegen Hillary Clinton in Kauf und beginnt danach mit dem Wiederaufbau der einst so stolzen Partei, die sich Grand Old Party nennt.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen für 0,99 € zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.2910626
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 17.03.2016
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.