Parteitag der US-Demokraten:Obama rechnet mit Trump ab

Er habe vor, so klar und einfach zu reden, wie er könne, kündigt der frühere US-Präsident zu Beginn seiner Rede an. Damit auch wirklich alle verstünden, um was es gehe. Und daran hält er sich.

Von Hubert Wetzel, Washington

Vielleicht musste Barack Obama sich das mal von der Seele reden. All die Wut und die hilflose Verzweiflung, die sich in ihm aufgestaut haben in den vergangenen dreieinhalb Jahren, in denen Donald Trump jetzt die USA regiert. All die Verachtung für seinen Nachfolger, der herumdaddelt, während jeden Tag Hunderte seiner Landsleute sterben; der auf den Werten herumtrampelt, die Amerika groß gemacht haben, der die Institutionen schleift, die Amerikas Demokratie ausmachen, und der die Amerikaner gegeneinander aufhetzt.

Und vielleicht wollte Barack Obama auch seine Angst loswerden. Seine Sorge, dass von dem Amerika, das er liebt, an das er glaubt und für das unzählige Menschen gekämpft, gelitten und ihr Leben gegeben haben, nach vier weiteren Jahren Trump nicht mehr viel übrig ist. "Das dürfen wir nicht zulassen", beschwor Obama die Zuschauer. "Lasst nicht zu, dass sie euch eure Macht wegnehmen. Lasst nicht zu, dass sie euch eure Demokratie wegnehmen."

Eigentlich hatten die Dramaturgen des demokratischen Parteitags den Mittwochabend für Kamala Harris reserviert. Die Vizekandidatin sollte die wichtigste Rede des Tages halten - ihre erste Gelegenheit, sich dem Land und den Wählern vorzustellen. Und Harris machte ihre Sache nicht schlecht.

Sie erzählte davon, wie sie als Einwandererkind in Kalifornien aufgewachsen ist, wie sie den amerikanischen Traum gelebt hat, der sie bis hier auf diese Bühne in Wilmington, Delaware, getragen habe. Sie werde, sollten der demokratische Präsidentschaftskandidat Joe Biden und sie die Wahl gewinnen, mit aller Kraft dafür kämpfen, dass jeder Mensch diesen amerikanischen Traum leben könne, versprach sie.

Aber vermutlich wird es die Rede des früheren Präsidenten Barack Obama sein, die von diesem Abend in Erinnerung bleibt. Die Amerikaner haben in den vergangenen dreieinhalb Jahren nicht viel von ihrem ehemaligen Präsidenten gehört, Obama hält sich aus der Tagespolitik fast völlig heraus. Seine Parteitagsrede war der erste größere Auftritt seit Langem.

Er habe vor, so kündigte Obama zu Beginn an, so klar und einfach zu reden, wie er könne, damit auch wirklich alle verstünden, um was es gehe. Und daran hielt er sich. So scharf wie Obama mit Trump am Mittwoch hat wohl noch nie ein Altpräsident der USA öffentlich mit seinem Nachfolger abgerechnet.

"Trump ist nicht in das Amt hineingewachsen, weil er es nicht kann"

Obama ist kein Haudrauf, kein schimpfender Büttenredner. Er ist, was den Intellekt und den Habitus angeht, immer noch der Juradozent, der er vor seiner politischen Karriere einmal war. Sein Wutausbruch am Mittwoch war daher so kalt, scharf und fein wie ein Skalpell, halb Geschichtsvorlesung über Amerika, halb schneidende Charakteranalyse des Mannes, der alles kaputt macht, was Generationen aufgebaut haben.

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"Ich hatte gehofft, dass Donald Trump unserem Land zuliebe ein wenig Interesse daran zeigt, den Job ernst zu nehmen; dass er irgendwann das Gewicht des Amtes spürt und ein wenig Demut für die Demokratie entwickelt, die er in seiner Obhut hat", sagte Obama. "Aber das ist nie geschehen. Seit vier Jahren, hat er kein Interesse daran gezeigt, tatsächlich zu arbeiten. Donald Trump ist nicht in das Amt hineingewachsen, weil er es nicht kann. Und die Folgen davon sind ernst. 170 000 Amerikaner sind tot. Millionen Arbeitsplätze sind vernichtet. Unsere schlimmsten Instinkte wurden geweckt, unser stolzer Ruf in der Welt ist schwer beschädigt, und unsere demokratischen Institutionen sind gefährdet wie nie zuvor."

Ans Ende seine Anklage setzte Obama dann einen Appell: "Macht jetzt einen Plan, wie ihr wählen werdet", sagte er. "Tut, was Amerikaner seit mehr als zwei Jahrhunderten tun, selbst wenn sie in noch härteren Zeiten als diesen gelebt haben."

An manchen Stellen zittert Obamas Stimme ein wenig

Die Empörung und die Furcht, die aus Obamas Rede sprachen, waren nicht gespielt. Wie ernst es ihm war, konnte man hören, wenn an manchen Stellen seine Stimme ein wenig zitterte oder wenn er zwischen zwei Sätzen Atem holte. Aber man würde wohl die Wahlstrategen der Demokraten unterschätzen, wenn man annähme, dass sie dem Altpräsidenten nicht auch ein wenig die Richtung gewiesen hätten, als der seine Rede geschrieben hat. Denn wenn es einen roten Faden gibt, der sich durch praktisch alle Reden zieht, die in dieser Woche bei dem Parteitag gehalten worden sind, dann ist es dieser: Angriff auf Trump.

Bis zu Obamas Auftritt waren es vor allem die Frauen gewesen, die Trump mal mehr, mal weniger offen attackiert hatten. Am Montag hatte Michelle Obama den Anfang gemacht, zum Teil mit wortgleichen Formulierungen wie zwei Tage danach ihr Mann. "Lasst mich so ehrlich und offen wie möglich sein", sagte sie in ihrer Rede. "Donald Trump ist der falsche Präsident für unser Land." Und auch Michelle Obama schloss mit einer eindringlichen Bitte: "Wir müssen wählen gehen, als hinge unser Leben davon ab."

So ging es weiter. Frau auf Frau trat auf, und in jede Rede hatte die Parteitagsregie mindestens einen Absatz eingebaut, in dem Trump angegriffen wurde. "Ich wünschte, Donald Trump wäre ein besserer Präsident", sagte Hillary Clinton am Mittwoch, die vor vier Jahren die Wahl gegen Trump verloren hatte. "Aber leider ist er eben, wie er ist."

Kamala Harris teilte ebenfalls gegen den Präsidenten aus. Sie beklagte "das ständige Chaos", die "Inkompetenz" und die "Hartherzigkeit" Trumps. "Wir müssen einen Präsidenten wählen, der uns etwas Anderes gibt, etwas Besseres, und der die wichtige Arbeit macht."

Sogar Jill Biden, die am Dienstag eine liebevolle, weitgehend unpolitische Rede über ihren Mann Joe hielt, verpasste dem amtierenden Präsidenten einen Hieb. "Wir brauchen eine Führung, die unserer Nation wert ist. Die ihr verdient. Eine ehrliche Führung, die die Menschen wieder zusammenbringt", sagte sie. Jill Biden nannte Trump zwar nicht beim Namen. Aber wen sie für unehrlich und spalterisch hält, war keine Frage.

Die Demokraten wollen die US-Bürger unbedingt zum Wählen bringen

Ob dieser aggressive Wahlkampf sich am Ende auszahlt, ist offen. 2016 hat Hillary Clinton versucht, Trump zu schlagen, indem sie seinen Charakter angriff - ohne Erfolg. Trumps eigene Attacken auf Clinton waren allerdings umso wirkungsvoller. Heute wissen die meisten Amerikaner sehr gut, wer Donald Trump ist und was sie von ihm zu erwarten haben. Diejenigen, die immer noch zu ihm halten, stört das entweder nicht - oder sie freuen sich sogar darüber. Sie werden sich von Obamas Rede nicht umstimmen lassen, von Hillary Clinton erst recht nicht.

Aber wahrscheinlich haben die Attacken auch einen anderen Zweck. Sie sollen zum einen die - eher wenigen - Wähler, die noch nicht festgelegt sind, daran erinnern, was für ein Desaster Donald Trump ist. Es ist jedenfalls kein Zufall, dass immer wieder die aktuelle Zahl der Corona-Toten in den Reden auftaucht. Und sie sollen zum zweiten den demokratischen Anhängern eine solche Heidenangst vor einer weiteren Trump-Amtszeit einjagen, dass sie auf jeden Fall zur Wahl gehen.

"Wenn ihr glaubt, es könne unmöglich schlimmer werden, dann glaubt mir: Es kann", warnte Michelle Obama. "Und es wird schlimmer werden, wenn wir bei der Wahl nicht für einen Wechsel sorgen." Barack Obama, der Professor, drückte sich etwas poetischer aus als seine Frau, meinte aber das gleiche: "Was wir tun, wird noch für Generationen nachhallen", sagt er.

Am Ende seiner Rede verabschiede sich Obama mit zwei Worten: "Stay safe." Bleibt gesund. Und es klang ein bisschen, als wünsche er damit nicht nur seinen Landsleuten, dass sie vom Coronavirus verschont bleiben. Sondern dass das ganze Land Donald Trump übersteht.

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