Auf dem Gipfel der Nato in Washington D.C. lief es eigentlich gut für Joe Biden. Er hielt eine seiner wohl besten Reden der vergangenen Wochen, keine Aussetzer, keine Stolperer, ein fehlerfreier Auftritt. Es schien, als könnte der US-Präsident die Debatte über sein Alter und seine Kandidatur aussitzen oder sie zumindest vorerst beruhigen. Dann setzte sich Nancy Pelosi ins Fernsehen, die ehemalige Sprecherin des Repräsentantenhauses. In der Sendung „Morning Joe“ bei MSNBC, wo Biden noch am Montag versuchte, die Diskussionen über ihn zu beenden, sagte nun Pelosi sinngemäß, Biden solle sich das mit der Kandidatur noch einmal überlegen.
„Es liegt am Präsidenten zu entscheiden, ob er kandidiert“, sagte sie und fügte hinzu: „Wir alle ermutigen ihn, diese Entscheidung zu treffen. Die Zeit wird knapp.“ Dabei hatte Biden genau das die vergangenen Tage immer wieder getan und gesagt, er werde nicht weichen und sich dem Duell mit Trump im November stellen. Vom Moderator darauf hingewiesen, wich Pelosi aus. Stattdessen schob sie nach: „Er wird geliebt, er wird respektiert, und die Menschen wollen, dass er diese Entscheidung trifft.“ Sie bat die Demokraten einzig, ihre Kritik nicht mehr öffentlich zu äußern, solange Joe Biden noch mit seinen Gästen am Nato-Gipfel beschäftigt sei.
Rückt Pelosi also vom Präsidenten ab? In einem Gespräch mit CBS News schob sie später nach, einige ihrer Worte seien fehlinterpretiert worden. Sie betonte, dass sie nie gesagt habe, Biden solle seine Entscheidung noch einmal überdenken. Ein Sprecher von Pelosi bekräftigte in einer Erklärung: „Pelosi unterstützt jede Entscheidung Präsident Bidens voll und ganz.“
Zum „Wohle des Landes“ solle Biden zurückziehen, fordert der Senator Welch
Nach Bidens TV-Debakel gegen den republikanischen Herausforderer Donald Trump hatte sich Pelosi eisern hinter den US-Präsidenten gestellt. Doch schon in der vergangenen Woche äußerte sie Zweifel und sagte, dass es eine „berechtigte Frage“ sei, ob es sich bei Bidens Patzer im TV-Duell „nur um eine Episode oder einen Zustand“ gehandelt habe.
Biden dürfte das Interview von Pelosi mitbekommen haben, auch weil er „Morning Joe“ offenbar mit „religiösem Eifer“ verfolge, wie die New York Times schreibt. Beim Nato-Gipfel fragte einer der Journalisten den US-Präsidenten, ob er glaube, dass Pelosi noch hinter seiner Kandidatur stehe. Biden antwortete mit einer geballten Faust.
Für den US-Präsidenten steigt nun der Druck, am Donnerstag eine perfekte Pressekonferenz zum Ende des Nato-Gipfels abzuhalten. Den Fragen der Medien stellt er sich deutlich seltener als frühere Präsidenten, der Termin vom Donnerstag ist seine erste Solo-Pressekonferenz in diesem Jahr, einem Wahljahr.
Pelosi ist nicht die einzige Demokratin, die die Debatte um Bidens Kandidatur am Köcheln hält. Am Mittwoch rief Peter Welch als erster Senator den Präsidenten offiziell zum Rückzug auf. Der Vertreter des Bundesstaates Vermont schrieb in der Washington Post, Biden solle zum „Wohle des Landes“ darauf verzichten, noch einmal anzutreten.
Vor wenigen Wochen hatte Clooney noch Spenden für Biden gesammelt
Derweil verstärken auch die Republikaner ihre Angriffe auf Biden. Sie werfen Bidens Umfeld vor, zu vertuschen, wie es um den Gesundheitszustand des Präsidenten bestellt ist. Der Vorsitzende des wichtigen Kontrollausschusses im Repräsentantenhaus lud mehrere ranghohe Mitarbeiter des Weißen Hauses vor. Unter ihnen ist auch ein enger Berater von First Lady Jill Biden. Ob die Vorgeladenen tatsächlich aussagen werden, ist aber ungewiss.
Auch einflussreiche Stimmen aus Hollywood, einer bedeutenden Spendenquelle für die Demokraten, erheben sich gegen Biden. In einem großen Meinungstext in der New York Times ruft Schauspieler George Clooney den Präsidenten dazu auf, sich aus dem Rennen zurückzuziehen. Eine Schlacht, die Biden nicht gewinnen könne, sei der Kampf gegen die Zeit, schreibt er da. Erfolgsregisseur und Produzent Rob Reiner („Harry und Sally“) schloss sich Clooney an und schrieb: „Die Demokratie steht vor einer existenziellen Bedrohung. Wir brauchen jemand Jüngeren, der zurückschlägt. Joe Biden muss Platz machen.“
Stimmen aus Hollywood haben bei den Demokraten durchaus Gewicht – erst vor wenigen Wochen hatte Clooney gemeinsam mit anderen Stars wie Julia Roberts Spenden für Bidens Wahlkampf gesammelt. Schon bei der Veranstaltung machte Biden auf Clooney einen müden und fahrigen Eindruck, wie er jetzt schreibt. Der Präsident sei nicht der kämpferische Kandidat von 2020 gewesen: „Er war derselbe Mann, den wir alle bei der Debatte gesehen haben.“