US-Wahl:An Trumps Lügen zerbrechen die USA

Donald Trump Addresses Faith And Freedom Coalition Road To Majority Conference

Donald Trump schafft sich seine eigenen Realitäten permanent selbst

(Foto: AFP)

Donald Trump sagt selten die Wahrheit. Und alle wissen es. Gerade deshalb hat er eine Chance auf das Weiße Haus.

Analyse von Sebastian Gierke

Er sagt: "Es gibt keine Überprüfung für Flüchtlinge, die in die USA kommen." Stimmt nicht. Er sagt: Der Orlando-Attentäter sei "als Afghane geboren worden". Falsch. Er sagt: Hillary Clinton wolle "Hunderttausende Flüchtlinge aus dem Nahen Osten" in die USA holen. Quatsch. Stimmt alles nicht.

Donald Trump hat das behauptet, gerade eben in seiner Rede nach der Terrorattacke von Orlando. Donald Trump lügt. Ständig.

Die unabhängige Seite Politifact überprüft Aussagen der US-Präsidentschaftsbewerber auf ihren Wahrheitsgehalt. Das Ergebnis für den Republikaner Trump: 76 Prozent seiner Aussagen waren gelogen. Nur zwei Prozent der überprüften Aussagen sind wahr. Seine Gegnerin Hillary Clinton auf Seiten der Demokraten liegt bei einem "Lüge"-Wert von 27 Prozent.

Doch was heißt das? Lügen nicht alle Politiker? In einem Bereich, in dem es darum geht, andere zu überreden, zu beeinflussen, sich durchzusetzen, wird Wahrheit oft strategisch eingesetzt. Der taktische Einsatz von Lügen gehört zum politischen Geschäft wie das taktische Foul zum Fußball. Ist nicht schön, aber Teil des Spiels.

Gerade im Wahlkampf versucht jeder, die Fakten in seinem Sinne zu interpretieren oder Dinge zuzuspitzen. Jeder Kandidat weiß: Die Richtigstellung der Faktenchecker liest nur eine Minderheit der Millionen Wähler, die beispielsweise eine TV-Debatte verfolgt haben. Die Bandbreite der politischen Unwahrheiten ist groß. Sie reicht, je nach Definition, von Schönreden über die Kunst des Auslassens, Ablenken, der Verbreitung von Gerüchten und Verzerren von Fakten bis hin zur expliziten Lüge. Die taktische Lüge für einen höheren Zweck kann ein legitimes Mittel sein. Wenn beispielsweise eine Regierung bestreiten, Lösegeld für Geiseln gezahlt zu haben, um mögliche Taten von Nachahmern zu verhindern.

Neue Dimension der Lüge

Aber was ist mit der taktischen Lüge, die nichts anderem dient als dem eigenen Zweck? Trumps Lügen dienen nur ihm selbst. Was der Milliardär zusammenlügt, hat eine völlig neue Dimension. Es geht nicht um Augenwischerei, einen Bluff, Scheinheiligkeit. Es geht um pathologisches Lügen als Instrument der Machtgewinnung.

Trump lügt so ausdauernd, dass nicht klar ist, ob er sich seiner Lügen überhaupt noch bewusst ist. Oder ob es ihm einfach egal ist, dass er beispielsweise in zwei Interviews, die nur Minuten auseinanderliegen, zwei völlig verschiedene Geschichten über ein und dieselbe Tatsache erzählt.

Warum Trumps Lügen so gefährlich sind

Vor dem Hintergrund der vielen Lügen tritt eine der erschreckendsten Charaktereigenschaften Trumps deutlich hervor: absolute Schamlosigkeit. Es scheint ihm nichts auszumachen, wenn er der Lüge überführt wird. Es wirkt, als sei es ihm völlig egal. Mehr noch: Er ist sich offenbar sicher, dass er von der Lüge profitiert. Deshalb kennt er kein Halten mehr. Deshalb geht er dahin, wohin kein anderer sich traut zu gehen. Und deshalb tut sich das etablierte politische System, tun sich die Medien und die Öffentlichkeit so schwer mit ihm.

Gerade hat CNN deshalb zu einer Maßnahme gegriffen, die so noch nicht da war. Während Trump eine seiner Wahlkampfreden hielt, wurde er von dem TV-Sender quasi einem Live-Faktencheck unterzogen. Im Laufband auf dem Bildschirm stand zu lesen: "Trump: I never said Japan should have nukes (he did)." Das sorgte für einiges Aufsehen, zeigt es doch, welche Schwierigkeiten die haben, die Trump auf eine Lüge festnageln wollen.

Bei allen vergangenen Wahlkämpfen konnte eine Lüge einem Kandidaten die Chance auf den Wahlerfolg kosten. Einer Lüge überführt zu werden, davon haben sich einige nicht mehr erholt. Es war noch etwas vorhanden von dem, was der liberale Philosoph Immanuel Kant meinte, als er sagte, dass jeder Bürger, wenn er sich öffentlich äußert, ein "Gelehrter" ist. Einer, der sich als Bürger der großen Vernunft-Gemeinschaft fühlen darf, die Streit als wertvollen Beitrag zum Fortschritt versteht. Der sich aber auch am Gesagten messen lassen muss.

Jede Lüge macht ihn stärker

Heute gibt es Donald Trump. Heute gilt davon nichts mehr. Auch wenn er im Kampf gegen Hillary Clinton nicht der Favorit ist: Trump hat eine große Chance, Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika zu werden. Und zwar nicht obwohl, sondern weil er lügt.

Seine Gegner, auch und vor allem die Medien, können ihn noch so oft überführen, Fans und Trump selbst interessiert das nicht. Schlimmer noch: Jeder noch so genaue Nachweis einer Trump-Lüge gilt seinen Fans sofort selbst als Lüge. Und gleichzeitig als Beweis seiner Unabhängigkeit vom verhassten Polit-Establishment. Den Mainstream-Medien vertrauen sie nicht mehr. Die Trump-Anhänger schaffen sich ihre eigene, von Fakten unberührte Realität.

In dieser ganz besonderen Realität beträgt die Arbeitslosigkeit in den USA 42 Prozent. (Laut US-Wirtschaftsministerium liegt sie bei fünf Prozent.) In dieser Realität haben am 11. September 2001 Tausende Muslime den Attentätern von New York und Arlington Beifall geklatscht. (Dafür gibt es keine Beweise.) In dieser Realität gab und gibt es keine Dürre in Kalifornien. (Es ist die schlimmste Dürre seit 1200 Jahren.) Und in dieser Realität kann das Haarspray, das Trump zur Errichtung seines berühmten Haarhelms verwendet, der Ozonschicht nichts anhaben, weil es, klar, im Trump Tower eingeschlossen bleibt. Die Liste ließe sich endlos fortsetzen.

Was gegen den Lügentornado schützt

Mit diesem Lügentornado schafft Trump einen Zustand, der einen zuverlässigen Zugang zu einer objektiven Realität kaum noch möglich macht. Keiner soll mehr wissen können, wie die Dinge wirklich sind. Wie andere Populisten untergräbt er damit das Vertrauen der Menschen in Bemühungen zu klären, was wahr ist und was nicht. Zum Beispiel in die Wissenschaft, in den Journalismus, in die Politik. In der Folge bemüht sich im US-Wahlkampf kaum mehr ein Akteur um eine richtige Darstellung der gemeinsamen Welt, sondern jeder Einzelne bastelt sich seine eigene Wahrheit.

Das macht die Situation für Hillary Clinton gefährlich. Wie soll sie mit einem, der vor keiner noch so offensichtlichen Wahrheit Respekt hat, debattieren? Wie soll sie sich auf ein TV-Duell mit einer Lügenmaschine vorbereiten? Wie mit einem umgehen, der durch Lügen die Welt auf sein ganz persönliches Wahr und sein ganz persönliches Falsch reduziert. Im Reich der totalitären Trump-Lüge ist jeder Zweifel, jede Frage sinnlos. Und wenn man nichts mehr glauben kann, ist alles möglich. Auch ein US-Präsident Trump.

Die USA zerbrechen

Um Trump zu verhindern, hilft deshalb nur Kontext. Denn Dinge, die sich daraus lösen, lösen sich auf. Davon profitiert der Milliardär. Das Ganze ist die Wahrheit, die Details aber, um die sich jetzt alles dreht, mit denen Trump Stimmung macht, die werden am Ende kaum mehr etwas bedeuten.

Deshalb wird es die Aufgabe vor allem der US-Medien sein, sich nicht von der Flut der Lügen überspülen zu lassen, sondern jede einzelne aufzuzählen und in einen größeren Zusammenhang zu stellen. Zu erklären, dass diese Lügen der Nährboden für Extremismus sind. Darauf hinzuweisen, dass jener, der so lügt, bald dafür verantwortlich sein könnte, die Richter des obersten US-Gerichts, des Supreme Courts, zu benennen, dass er bald Entscheidungen über Krieg und Frieden treffen könnte.

Das politische Amerika ist dabei zu zerbrechen, in eine Reihe von winzigen Teilen zu zersplittern, in Lüge um Lüge. In den kommenden Monaten geht es darum, das Puzzle wieder zusammenzusetzen.

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