Es war kaum zu erwarten, dass es das Wort „Müll“ noch zum Klassiker im amerikanischen Wahlkampf bringen würde, aber auch so weit ist es jetzt gekommen. Seit Dienstag findet der Begriff sogar in beiden politischen Lagern Verwendung: Republikanern und Demokraten können sich den Gebrauch nun gegenseitig vorwerfen. Dieser neueste Streit könnte sogar Auswirkungen auf den Ausgang der Wahl am 5. November haben, doch der Reihe nach.
Die Kontroverse begann damit, dass am Sonntag im Madison Square Garden, New York, einer der Einpeitscher für Donald Trump ans Mikrofon trat. Tony Hinchcliffe, angeblich Humorist, riss zur Einstimmung rassistische und sexistische Witze, Puerto Rico nannte er eine „schwimmende Müllinsel“. Er hatte weitere Zoten auf Lager, zum Beispiel über Latinos, die es lieben würden, „Babys zu machen“. Trump, der selbst immer wieder gegen Immigranten hetzt, schien das alles kaum zu stören – zumindest war davon nichts zu merken, als er später selbst sprach.
US-Wahlkampf:Heimspiel im Feindesland
Donald Trump im New Yorker Madison Square Garden: Ein besonderer Egotrip für den Kandidaten – der zeigt, welcher Irrsinn der Welt bei seiner Wiederwahl blühen würde.
Vielleicht wäre ihm auch das folgende Entsetzen der 3,3 Millionen Einwohner von Puerto Rico egal gewesen. Das Eiland in der Karibik ist seit 1917 US-Außengebiet und hatte Trump zum Beispiel 2017 nach dem Stärke-4-Hurrikan Maria zu Besuch. Der Präsident warf seinerzeit Papiertaschentücher in die Menge und wollte nichts davon wissen, dass der Wirbelsturm ungefähr 3000 Menschen getötet hatte. Die Puertoricaner dort haben bei US-Präsidentschaftswahlen kein Wahlrecht, obwohl sie amerikanische Staatsbürger sind.
Mindestens 5,8 Millionen Landsleute allerdings leben in den kontinentalen USA, und die meisten von ihnen sind dort auch Wählerinnen und Wähler. Etliche leben in einem Swing State wie Pennsylvania, wo es auf jede Stimme ankommen dürfte, vor allem in Philadelphia. Da könnte es Trump erheblich schaden, dass der Komiker Hinchcliffe ihre Heimat auf seiner Veranstaltung gerade zu garbage erklärt hat, zu Abfall im Ozean.
Es half wenig, dass sich Trumps Strategen von der Unverschämtheit distanzierten und ihr Kandidat so tat, als kenne er diesen Hinchcliffe gar nicht. Das klang nicht sehr überzeugend. Schließlich werden Leute, die auf Trumps Wahlkampfveranstaltungen sprechen, sorgsam ausgesucht, ganz besonders für seinen größten Auftritt im Endspurt des Wahlkampfs. „Verachtenswert, fehlgeleitet und widerlich“ sei das, sagte die Republikanerin Jenniffer González, die als nicht stimmberechtigte Vertreterin Puerto Ricos im US-Kongress sitzt und zu Trumps Anhängerinnen gehört. „Sie repräsentieren nicht die Werte der GOP.“
Biden will wohl Harris helfen – aber nützt tatsächlich der Gegenseite
Ähnlich deutlich wurde auf Facebook der Gouverneur Pedro Pierluisi, ein Demokrat. „Müll ist das, was aus Tony Hinchcliffes Mund kam“, schrieb er, „und jeder, der ihm applaudiert hat, sollte sich für die Missachtung Puerto Ricos schämen.“ Da wäre man nun beim Parteifreund Joe Biden, dem US-Präsidenten. Die Puertoricaner seien „gute, anständige, ehrenhafte Menschen“, wird Biden nach einem Gespräch mit Latinos am Dienstag zitiert. Und weiter: „Der einzige Müll, den ich da draußen sehe, sind seine Unterstützer.“
Trumps Unterstützer? Rasch meldete sich das Weiße Haus. „Der Präsident hat die hasserfüllte Rhetorik auf der Kundgebung im Madison Square Garden als Müll bezeichnet“, erklärte ein Sprecher. Nachher meldete sich Biden auch selbst: „Heute Morgen habe ich die hasserfüllte Rhetorik über Puerto Rico, die von Trumps Unterstützern bei seiner Kundgebung im Madison Square Garden verbreitet wurde, als Müll bezeichnet – das ist das einzige Wort, das mir einfällt, um sie zu beschreiben“, schrieb er auf X. „Seine Dämonisierung von Latinos ist skrupellos. Das ist alles, was ich sagen wollte. Die Kommentare auf dieser Kundgebung spiegeln nicht wider, wer wir als Nation sind.“
Die Washington Post vermutet als Ursache der Verwirrung einen fehlenden Apostroph beim englischen Wort supporters. Demnach hätte Biden sagen wollen, dass der einzige Müll, den er da sehe, der von Trumps Unterstützern sei. Für Trump und seine Freunde jedoch hatte Biden Trumps Wählerschaft Müll genannt. „Das ist ekelhaft“, postete sein Vizekandidat J. D. Vance. „Kamala Harris und ihr Chef Joe Biden greifen die Hälfte des Landes an. Dafür gibt es keine Entschuldigung. Ich hoffe, die Amerikaner lehnen das ab.“
Harris hätte profitiert, wäre es bei der ersten Müll-Aussage geblieben
Donald Trump erinnerte bei einer Veranstaltung in Pennsylvania an Hillary Clinton, für die seine Fans 2016 ein „Korb von Bedauernswerten“, deplorables, waren. Das trug zu ihrer Niederlage bei. „Müll ist meiner Meinung nach schlimmer“, sagte der 78-jährige Trump und veralberte wie üblich den 81-jährigen Biden: „Bitte verzeiht ihm, denn er weiß nicht, was er gesagt hat.“ In einem Spendenaufruf stand dies: „Erst hat Hillary dich bedauernswert genannt! Dann nannten sie dich einen Faschisten! Und gerade eben hat Kamalas Chef Biden euch als Müll bezeichnet!“
Kamala Harris hätte es gereicht, wenn es bei jenem Müll geblieben wäre, den Trumps Scharfmacher in Manhattan auf Puerto Rico entdeckt hatte. Diese Beleidigung wäre für sie von Nutzen, denn es könnte ein Grund für unentschiedene Wähler sein, für sie zu stimmen statt für Trump, besonders für Puertoricaner. Bidens Beitrag dagegen wäre für sie wohl eindeutig verzichtbar gewesen, auch wenn sie in Trumps Kreisen ohnehin verloren hat.
„Hören Sie“, sagte sie am Mittwoch, als sie zum nächsten Termin flog. „Ich denke, dass er seine Kommentare zunächst einmal klargestellt hat, aber lassen Sie mich noch eines klarstellen: Ich lehne jede Kritik an Menschen ab, die darauf beruht, wen sie wählen. Sie haben meine Rede gestern Abend gehört und auch während meiner gesamten Laufbahn. Ich glaube, dass es bei meiner Arbeit darum geht, alle Menschen zu vertreten, ob sie mich unterstützen oder nicht.“
Sie hielt ihre Rede am Abend zuvor vor dem Weißen Haus, das sie demnächst beziehen möchte. Joe Biden blieb derweil darin, denn er war offenbar nicht eingeladen. Donald Trump saß dann anderntags als Müllmann verkleidet in einem Fahrzeug der Müllabfuhr. „Wie gefällt euch mein Müllwagen?“, fragte er Reporter. „Dieser Lkw ist zu Ehren von Kamala und Joe Biden.“