US-Wahl 2016:"Wir sind Teil einer Revolution"

Donald Trump, Pat Montelli, Catherine Freeman

Donald Trump hat Fans aus allen Altersschichten, doch zumeist sind sie weiß. Im April 2016 posierte der künftige US-Präsident jungen Anhängern in New York. Links von Trump steht seine Wahlkampfmanagerin Kellyanne Conway.

(Foto: AP)

Zu Besuch bei Lisa Vranicar-Patton, die für Trump gekämpft hat, auf der Straße und auf Facebook. Und die trotzig wurde, als Clinton sie als "jämmerlich" bezeichnete.

Von Matthias Kolb, Harrisburg

Als die Amerikaner endlich wählen dürfen, steht Lisa Vranicar-Patton um 6:15 Uhr vor dem Wahllokal. Ihr iPhone vibriert, ein Freund schickt ein Foto: Das riesige "TRUMP PENCE. MAKE AMERICA GREAT AGAIN"-Schild, das vor dem Wahlkampfbüro stand, wurde umgeworfen, die Holzstelen zertreten. Sie schreibt auf Facebook: "Wer das getan hat: Hört auf zu hassen! Liebt euren Kandidaten und lasst uns unseren lieben. Amerikaner sollen sich respektieren."

Nach einer Stunde Wartezeit stimmt die 50-Jährige für Donald Trump, fährt zu ihrer Eislaufbahn, die sie am Rande von Harrisburg betreibt, und stellt das "MAKE AMERICA GREAT AGAIN"-Schild wieder auf. Drei Mal wurde es seit dem Sommer umgeworfen, doch jedes Mal sofort repariert und aufgerichtet. Und wer Zeit mit Lisa Vranicar-Patton und ihrer "Trump-Familie" verbringt, der weiß: Sie hätten es auch drei Mal täglich repariert; vielleicht sogar drei Mal pro Stunde. Eine solche Leidenschaft gab es nie auf Seiten der Fans von Hillary Clinton - auch deswegen wird die Demokratin am Ende nicht Präsidentin.

Harrisburg ist die Hauptstadt von Pennsylvania, einem jener Bundesstaaten der blue wall, wo die Demokraten seit 1992 vorne lagen und die Clinton den Sieg sichern sollten. Stattdessen hat Trump hier triumphiert: Er erhielt 50 Prozent der Stimmen von Gewerkschaftern. Viele weiße Arbeiter, die ihre sicheren Industriejobs vermissen und Politiker in Washington verachten, liefen über. Sie empfinden Clinton und Obama als abgehoben, also setzen sie auf Trump (mehr mit SZ Plus).

Als Trump am Mittwochmorgen als Sieger feststand, sagte er im New Yorker Hilton-Hotel den Satz: "The forgotten men and women of our country will be forgotten no longer." Als Vranicar-Patterson dieses Versprechen hörte, dass die "vergessenen Männer und Frauen unseres Landes nun nicht mehr vergessen würden", da flossen Tränen. Sie weinte aus Erschöpfung, aus Freude, aus einem Gefühl der Verbundenheit.

Trump-Fans fühlen sich als Teil einer großen Gemeinschaft

Denn auch diese Rede zeigt, dass Trump viel direkter zu seinen Fans spricht als es seine unterlegene Rivalin jemals vermochte: "Ich habe einen Anruf von Hillary Clinton bekommen. Sie hat uns gratuliert", sagte Trump. "Denn hier geht es um uns." Dieses Gefühl der Gemeinschaft ist ein entscheidender Faktor für Trumps Erfolg. Es entfachte jene Leidenschaft zehntausender Aktivisten, die die stümperhafte Organisation des Republikaner-Kandidaten kompensierten.

Es ist Donnerstagmittag und Lisa Vranicar-Patton schiebt Kartons mit Flyern zur Seite und setzt sich an einen Tisch. An ihrem Blazer steckt ein silberner "TRUMP PENCE"-Button. Zwei Räume in ihrem Eislaufzentrum dienten drei Monate als Wahlkampfzentrale, die Wände sind tapeziert mit Fotos und Slogans. Vranicar-Patton ist euphorisch, denn irgendwie wusste sie immer, dass die Umfragen falsch sein mussten, die Clinton vorne sahen. "Wir merkten, wie kraftvoll diese Bewegung war und dass wir Teil einer Revolution sind." Jetzt klingelt ständig ihr Telefon, ein Gratulationsanruf nach dem anderen.

Bei Facebook bündelt sich die Wut - und mit Facebook organisiert man sich

Nach und nach treffen einige der Freiwilligen ein, die zuletzt jede freie Minute für Trump geworben haben, und setzen sich zu Lisa. Dazu gehören Suk Smith, eine 36-jährige Karatelehrerin, der schwarze Ex-Soldat Vincent Blackwell mit dem "Vets for Trump"-Stecker und der 35-jährige Steve Johansen. Neben dem Gefühl, von den Politikern in Washington ignoriert zu werden, verbindet sie noch etwas: Bevor der Geschäftsmann im Juni 2015 seine Kandidatur verkündete, hatten sie sich nie politisch engagiert. Sie hatten unter Freunden über "die Politiker" geschimpft oder bei Facebook ihrer Wut freien Lauf gelassen.

Facebook war entscheidend dafür, dass die Keimzelle in Harrisburg schnell wachsen konnte. Im Oktober 2015 gründete Steve Johansen eine Facebook-Gruppe mit dem Namen "M.A.G." ("Make America Great"). Er wollte ungestört über Trump reden, ohne mögliche Kunden als Immobilienmakler zu verlieren. "Mit einem Facebook-Kommentar kannst du so viele Leute verärgern, irgendjemand ist immer beleidigt", sagte er beim ersten Treffen mit der SZ Ende April. In wenigen Wochen hatte M.A.G. mehr als tausend Mitglieder, die alle Teil jener "schweigenden Mehrheit" waren, von der Trump immer sprach. Im Internet entstand auch die Idee, vor der Vorwahl Ende April in Pennsylvania ein Büro zu eröffnen, um Trump zu helfen.

Schon damals bauten sie Tische in einem der Räume von Vranicar-Pattons Eislaufzentrum auf. Vom eigenen Erfolg (Trump erhielt in der Vorwahl 50 Prozent) waren sie so berauscht, dass sie am 15. August erneut ein campaign office eröffneten: Es war das allererste in Pennsylvania. Erst Wochen später begannen die Republikaner-Funktionäre und die Abgesandten der Trump-Kampagne mit der Organisation - und merkten schnell, wie gut Vranica-Patton alles im Griff hatte.

Seit September war die Aktivistin im ganzen Bundesstaat unterwegs, um neue Wahlkampfbüros zu eröffnen. "Ich weiß als Geschäftsfrau, wie man organisiert. Ich hatte alle Materialien dabei, habe die Helfer geschult und war nach einigen Stunden wieder weg." Den Kontakt zu Aktivisten in Scranton oder Pittsburgh hielt sie über Facebook und dessen Messenger-Dienst. Der Enthusiasmus einer freiwilligen Helferin ersetzte die Defizite der Trump-Kampagne - und wirkte wohl authentischer als das Argument der Multimillionärin Clinton, dass sie als Enkelin eines Arbeiters aus Scranton ja die Nöte der Unterschicht verstehe und eine Verbindung spüre.

Veteranen, Wirtschaft, Sicherheit: Warum Trump so viele Fans hat

Dass Lisa Vranicar-Pattton, die einen Abschluss in Politikwissenschaft hat, so früh auf den "Trump Train" aufsprang, liegt am Schicksal ihres Sohns, der als Marine in Afghanistan kämpfte und traumatisiert zurückkehrte. "Jeden Monat kriegt Sam einen Anruf, weil sich einer seiner Kameraden umgebracht hat. Wir lassen unsere Veteranen im Stich. Das ist eine Schande und Trump hat das als einziger erkannt." Der 70-jährige Kandidat versprach unter anderem, den Ex-Soldaten schneller Zugang zu privaten Kliniken zu ermöglichen.

Lisas Augen leuchten, als sie über die Events von Donald Trump spricht: "Die Energie ist unglaublich dort, alle sind optimistisch und gut drauf. Die Leute sind verliebt in die Idee, Amerika zu lieben. Wir fühlen uns so patriotisch, wir rufen 'USA USA' und leisten den Treue-Eid auf die Fahne. Ich kriege Gänsehaut, wenn 10 000 Leute das machen."

Neben Selbstständigen und Unternehmern wie Vranicar-Patton und Johansen gibt es in der M.A.G-Gruppe auch zahlreiche Leute wie Bob Hirsch, der sich als arm bezeichnet. Er wurde mit 18 Demokrat, kämpfte als Gewerkschafter gegen das Nafta-Freihandelsabkommen mit Mexiko und Kanada und wurde mit Mitte 50 Republikaner - wegen Trump. Zum Entsetzen seines Sohnes, einem Fan von Bernie Sanders, hat er seinen alten Ford-Pick-Up in ein Trump-Mobil verwandelt. Er traut nur dem Milliardär aus New York zu, den Niedergang der USA zu stoppen.

US-Wahl 2016: Dieses Foto mit ihrem Idol Donald Trump ziert das Facebook-Profil von Lisa Vranicar-Patton aus Pennsylvania.

Dieses Foto mit ihrem Idol Donald Trump ziert das Facebook-Profil von Lisa Vranicar-Patton aus Pennsylvania.

Hirsch fasst die Lage so zusammen: "Hier in der Gegend hat jede Familie seit 2008 etwa 7000 Dollar Jahreseinkommen verloren. Als Nafta verabschiedet wurde, sagten sie uns: Alles wird gut. Heute sind die Industriejobs weg und der Lohn bei McDonald's reicht nicht aus, um eine Familie zu ernähren."

Drogensucht verwüstet das ländliche Amerika

Früher, so Hirsch, habe es in seinem Heimatort vier T-Shirt-Fabriken gegeben, in denen jeder einen Job fand. "Und heute? An den Ecken verkaufen die Dealer Heroin und die Teenager konsumieren das. Nirgends sterben mehr junge Männer an einer Überdosis als in Pennsylvania", ruft Hirsch. Das liege auch am Zerfall der Familien: Weil die Mütter arbeiten müssten, seien die Kinder oft allein und gerieten auf die schiefe Bahn.

Das Problem der Drogen-Schmerzmittel-Epidemie zeigt eindrucksvoll, dass ausgerechnet der Milliardär Trump ein besseres Gespür als alle anderen für jene Themen hat, die die weiße Mittelschicht umtreiben. Clinton thematisierte dies zwar im Vorwahlkampf, doch später, etwa in den TV-Debatten: Kein Wort. Trump hingegen beklagt ständig das Leid der betroffenen Familien und verspricht, dass seine "schöne Mauer" an der Grenze zu Mexiko auch die Drogen aus dem Land fernhalten werde. Viele der Trump-Fans sehnen sich nach Law and Order, weil sie seit Jahren überzeugt sind, dass Gesetze nicht mehr eingehalten werden.

Vor Trump habe niemand die Wahrheit über die Einwanderungspolitik gesagt, klagt die 68-jährige Maklerin Kate Krusko. "Die Jobs verschwinden nicht nur, weil es in Mexiko billiger ist. Die Firmen bringen Inder und Pakistaner mit eigenen Visa ins Land, die unseren Kindern die IT-Jobs wegnehmen."

Steve Johansen stimmt zu und greift beide Parteien an: "Die Republikaner taten nichts, weil die Firmen die billigen Arbeiter wollten, und die Demokraten freuten sich über die Stimmen der Latinos." Die Wut vieler Trump-Fans verteilt sich fast gleichmäßig auf alle Politiker, weil sie überzeugt sind, unfair behandelt zu werden. Alle in der Runde nicken, als Johansen betont, nichts gegen legale Zuwanderung zu haben, solange es einen rechtmäßigen Prozess gebe: "Meine Großeltern kamen aus Italien und Norwegen und wurden auf Ellis Island überprüft. Wir müssen wissen, wer ins Land kommt."

Über das Pussygate-Video sagen Aktivistinnen: "War das alles?"

Noch schlechter als das Image von Politikern ist nur jenes der Journalisten. Das Pussygate-Video hat hier niemanden verstört. "Wir haben uns das angesehen, ein Dutzend Frauen, und als es vorbei war, schauten wir uns an und sagten: 'Das war alles?'", sagt Lisa Vranicar-Patterson. Suk Smith ergänzt, dass es sie eher motiviert habe, noch härter zu arbeiten. Viele Leute hätten sie angesprochen, als sie in den Straßen unterwegs war, erzählt sie: "Ich bin eine Frau und mir gefällt es nicht, dass er so etwas sagt. Aber das ändert nichts an meiner Unterstützung, denn wir müssen doch ganz andere Probleme bewältigen."

Ganz ähnlich denkt Steve Johansen: All diese Berichte seien bewusste "Ablenkungsmanöver", damit die Medien nicht darüber reden müssten, dass die Beiträge für die Krankenversicherung Obamacare dauernd stiegen und die Leistungen immer schlechter würden.

Niemand widerspricht, als Vincent Blackwell den scheidenden US-Präsidenten einen Lügner nennt. "Wenn Obama sagt, dass es mit der Wirtschaft bergauf geht, dann muss ich jedes Mal lachen. Die Arbeitslosigkeit sinkt doch nur, weil die Leute aus der Statistik fallen, wenn sie aus Frust aufgeben, nach einem Job zu suchen", sagt der schwarze Ex-Soldat. Vranicar-Patton nickt heftig und sagt: "Ich merke hier an der Eisbahn, dass es keinen Aufschwung gibt. Weil die Löhne stagnieren, traut sich keiner mehr, Geld auszugeben."

Dass sich Trump mitunter im Ton vergreife, das sei Teil seines Charakters und störe seine Anhänger nicht, solange er die Probleme angehe. "Jeder hat doch mal etwas gesagt, was er bereut", meint der 57-jährige Blackwell und beklagt die allgegenwärtige political correctness sowie die Scheinheiligkeit der Liberalen, die sich in den Metropolen an der Ost- und Westküste tummeln. Trump tourte alleine durchs Land, während Clinton auf Musiker wie Jay-Z, Beyoncé oder Katy Perry setzte. Den Menschen im Rostgürtel und auf dem Land bewies das erneut, dass die Demokraten in einer anderen Welt leben.

Natürlich hat es die "Trumpettes" (so nennt Lisa ihre Freundinnen unter den Trump-Fans) und Trumpster gefreut, dass sie Eric und Ivanka Trump sowie die Wahlkampfmanagerin Kellyanne Conway treffen konnten. Doch nichts hat ihre Motivation mehr gefördert als jener Auftritt der Ex-Außenministerin Clinton am 9. September. Bei einer Gala in New York, bei der Barbra Streisand sang, nannte sie die Hälfte der Trump-Fans deplorables - diese "jämmerlichen" Personen seien nicht mehr zu retten.

Trumpettes

Die "Trumpettes" von Pennsylvania.

(Foto: Lisa Vranicar-Patton)

Mit Stolz hätten sie Shirts mit dem Aufdruck "Adorable deplorables" getragen, sagt Vranicar-Patterson. Diese Episode illustriert in den Augen von Vincent Blackwell einen Riesenunterschied zwischen den beiden Kandidaten: "Trump wird sich für uns reinhängen, aber nicht über uns urteilen oder uns sagen, was wir denken oder tun sollen."

Unter dem halben Dutzend Aktivisten, die im Wahlkampfbüro zusammen sitzen, herrscht kein Zweifel, dass der künftige Präsident seine Versprechen einhalten wird. "Die Aktie von Caterpillar klettert und klettert, weil die Leute wissen, dass nun wieder gebaut wird in diesem Land. Das sind Jobs, mit denen man 30 Dollar pro Stunde verdient, das brauchen wir", ruft Johansen. Dass der Ton im Wahlkampf schrecklich aggressiv war, bereut keiner. Die omnipräsenten "Sperrt sie ein"-Rufe würden nicht bedeuten, dass die Demokratin Clinton nun ins Gefängnis geworfen werde, sagt Kate Krusko. Dies sei nur wieder ein übler Spin der Medien. "Wir halten sie für korrupt und für eine Kriminelle wegen ihrer E-Mails und all das bündelt sich in diesem Spruch. Etwas Zuspitzung muss ja wohl erlaubt sein."

Die Demokraten hätten ihre Niederlage zu akzeptieren und sollten weder beleidigt sein noch protestieren. "Als Obama 2008 gewählt wurde, da war ich auch sauer. Ich habe aber nichts kaputt gehauen, sondern bin aufgestanden und habe gearbeitet", ruft ein älterer Mann und klopft auf die Tischplatte. Und seine Frau ergänzt: "Wenn ich all diese Kinder und Studenten sehe, wie sie protestieren, dann frage ich mich: Warum haben deren Eltern sie nicht besser erzogen?" Recht und Ordnung, glauben viele hier in Pennsylvania, werden unter Trump zurückkehren.

Lisa Vranicar-Patton ist überzeugt, dass Trump als "einer der beliebtesten Präsidenten aller Zeiten" in die Geschichte eingehen werde, wenn nicht sogar als the most beloved president. Er werde auch nicht so viel Golf spielen wie Obama, sondern unermüdlich dafür arbeiten, dass es mit Amerika endlich wieder bergauf gehe.

Mit ihrer Gruppe plant sie schon die Reise nach Washington, wo am 20. Januar Trumps Amtseinführung stattfinden wird. Sie wollen sich weiterhin regelmäßig treffen, damit ihre Bewegung nicht an Dynamik verliert. Manche Mitglieder würden zudem überlegen, in die Lokalpolitik einzusteigen, damit eines von Trumps zentralen Wahlversprechen erfüllt wird. "Korruption gibt es auf allen Ebenen. Wir müssen den Sumpf nicht nur in Washington trockenlegen." Zum Abschied schiebt Vincent Blackwell eine Karikatur herüber, die die Weltsicht der Trump-Fans perfekt trifft.

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