US-Wahl 2016:Hillary strahlt, Bill weint

  • Hillary Clinton hat Geschichte geschrieben - und nun die US-Präsidentschaftswahl krachend verloren.
  • Als First Lady, Senatorin und Außenministerin stand sie seit fast einem Vierteljahrhundert im Licht der Öffentlichkeit.
  • Beliebt aber war sie nicht. Manchen gilt sie als arrogant, als zu hart, kühl und berechnend.
  • Es gelang ihr nicht, die Herzen ihrer Landleute zu gewinnen. Das wurde ihr nun zum Verhängnis.

Von Lars Langenau

Bill Clinton applaudierte seiner Frau, er klatschte, klatschte und klatschte. Dann kamen ihm die Tränen. Er weinte, während Hillary Clinton strahlte. Die große Verliererin der Wahl, sie lachte ihren Unterstützern und der Welt zu, winkte ins Publikum, hatte Mühe, den Jubel ihrer Anhänger unter Kontrolle zu halten. Am Mittwoch sprach sie zum ersten Mal nach ihrer krachenden Niederlage bei der US-Wahl gegen Donald Trump und sah wie jemand aus, der seinen Frieden gemacht hat.

"Ich habe Donald Trump vergangene Nacht gratuliert. Ich hoffe, er wird ein erfolgreicher Präsident für alle sein", sagte Clinton. Sie habe ihm ihre Zusammenarbeit zum Wohle der USA angeboten. Auch wenn das Ergebnis schmerzt und für eine lange Zeit schmerzen wird, müssen die Menschen nun aber angesichts der gespaltenen Gesellschaft des Landes zusammenstehen. "Hört nie auf, daran zu glauben, dass der Kampf für das, was richtig ist, den Aufwand wert ist" rief sie ihren Anhängern zu. Dann ging sie strahlend von der Bühne.

Aber wie mag es Hillary Diane Rodham Clinton jetzt wohl wirklich gehen? Jetzt, nach diesem politischen Erdbeben? Als Favoritin im Rennen um die US-Präsidentschaft, die sie am Ende doch verloren hat. Als Frau, die das Gewinnen gewohnt war und nun, mit 69 Jahren, gescheitert ist? Und das gegen Donald Trump, den das liberale Amerika und der aufgeklärte Teil Europas als rechtspopulistischen Suppenkasper verspotteten.

Wie lässt sich so eine Niederlage gegen einen Mann verdauen, der sich einen Ruf als Narzisst, Sexist und Chauvinist gemacht hat und ihn vor sich herträgt? Einen opportunistischen Millionär, der keine Steuern zahlte und sich bislang kaum für Politik interessierte, wenn es seine monetären Interessen nicht gefährdete. Jemand, der Mauern errichten will, statt sie niederzureißen, und der Folter propagiert.

Es scheint, als habe in einem Weltklima der Angst das Zeitalter der Idioten begonnen. Und sie, Clinton, die sich als letzte Front gegen die Apokalypse sah, hat sie nicht aufhalten können, diese Welle von rechtspopulistischen Erfolgen, die sich nun in Österreich, Frankreich, den Niederlanden, bei der Europa- und möglicherweise auch bei der Bundestagswahl fortsetzen könnte.

Das Ergebnis der US-Wahl ist mehr als eine völlig unerwartete Niederlage für Clinton. Es ist eine Demütigung, für die vor allem das weiße Amerika gesorgt hat. Clinton konnte sich nur der Unterstützung von drei von vier Nichtweißen sicher sein: 90 Prozent der Afroamerikaner und rund zwei Drittel der Hispanics und der asiatischstämmigen Amerikaner stimmten für sie. Auch bei Frauen punktete sie. Doch das reichte nicht, um in einer Stimmungswahl zu gewinnen, die sich gegen das bei so vielen Menschen verhasste Establishment richtete.

Wen kümmert der Verlierer?

First Lady, Senatorin, Außenministerin, als erste Frau überhaupt offizielle Kandidatin einer der beiden großen US-Parteien - Clinton hat Geschichte geschrieben. Und sie war einzigartig qualifiziert für den wohl wichtigsten Job der Welt. Aber schon die Vorwahlen entpuppten sich als steinig. Ihren zweiten Anlauf auf das Weiße Haus hatte sie sich eigentlich als reibungslosen Durchmarsch vorgestellt, selbst wenn sie nicht als begnadete Wahlkämpferin bekannt war.

Clinton weiß sich einig mit einem sehr, sehr großen Teil der Welt, der diese nervenzerreißende Wahlnacht verfolgte - und heute Morgen unsanft aus jeglicher Sicherheit gerissen wurde. Sie konnte sich auf eine perfekte Wahlkampforganisation stützen. Der scheidende Präsident Barack Obama und seine Frau Michelle engagierten sich für sie, Stars und Prominente aus dem Showbusiness warben für sie, selbst ihr parteiinterner Widersacher Bernie Sanders stand seit ihrer Kür zur Kandidatin an ihrer Seite. Alles vergebens.

Sie kann sich selbst zugutehalten, den anständigen Teil Amerikas zu verkörpern. Nur: wen kümmert der Verlierer? Besonders bitter an ihrer Niederlage ist, dass sie zwar die Mehrheit der Stimmen holte, aber nicht die der Wahlmänner. Etwas, das erst vier Mal passiert ist, seit die USA existieren. Ungläubigkeit, Fassungslosigkeit, Schock konnte man in den Gesichtern ihrer Anhänger lesen.

Clinton galt vielen als arrogant, hart, kühl, berechnend

Über Stunden zog sie sich mit ihrer Familie und engen Beratern in eine Suite in einem Hotel in Manhattan zurück. Von dort aus räumte sie dann in einem etwa einminütigen Telefonat mit Trump ihre Niederlage ein und gratulierte dem gewählten Präsidenten.

Vor ihre Anhänger trat sie da noch nicht, vielleicht musste sie erst ihre Fassung wieder erringen, schließlich hatte sich die Wahlparty der Demokraten binnen zwei Stunden von einem rauschenden Jubelfest in blankes Entsetzes und dann in eine Trauerfeier verwandelt. Mit versteinerten Mienen blickten Tausende ihrer Anhänger im Jacob K. Javits Convention Center in New York auf die großen Bildschirme, auf denen die Wahlergebnisse übertragen wurden.

Gegen 11 Uhr Ortszeit trat sie dann in Manhatten in einem anderen Hotel als das, in dem sie sich die Nacht über aufgehalten hatte, vor ihre Unterstützer, Freunde, Sponsoren. Zunächst trat ihr Vize-Präsidentschaftskandidat Tim Kaine vor die Kameras und würdigte ihren Einsatz für Amerika und sprach von der Ehre, mit ihr den Wahlkampf bestritten zu haben.

Dann hielt Clinton ihre emotionale Rede. "Unsere Verantwortung als Bürger liegt darin, an einem besseren Amerika mitzuarbeiten", sagte Clinton. Der amerikanische Traum müsse groß genug für jedermann sein. Auch für Frauen, Einwanderer, die LGBT-Community oder behinderte Menschen. Man müsse Donald Trump eine faire Chance geben zu führen und ihm aufgeschlossen begegnen. "Lasst den Mut nicht sinken, es gibt noch so viel zu tun", sagte Clinton zu ihren tobenden Anhängern. "Wenn wir zusammenstehen, liegen unsere besten Tage noch vor uns", sagte Clinton und klang dabei nicht wie eine Verliererin.

Als First Lady, Senatorin und Außenministerin stand sie seit fast einem Vierteljahrhundert im Licht der Öffentlichkeit. Die Demokratin wurde zwar durch die Politik reich, musste in ihrer langen Karriere aber bereits früher herbe Niederlagen einstecken: Sie war verantwortlich für die gescheiterte Gesundheitsreform ihres Mannes Bill Clinton, sie hatte den Krieg von George W. Bush gegen Saddam Hussein unterstützt, sie wurde verantwortlich gemacht für den Tod von vier Amerikanern im libyschen Bengasi. Und nur drei ihrer 711 Gesetzesentwürfe als Senatorin wurden zu Gesetzen.

Zum Nachteil wurden für sie das "Whitewater"-Immobiliengeschäft in Arkansas, schwarze Listen über Parteifreunde, und dass sie als First Lady zu einem Ehemann stehen musste, der als Womanizer bekannt war.

Zu viel Verstand, zu wenig Herz

Jeder Weltbürger über zwölf Jahre hat eine Meinung über sie, viele Amerikaner allerdings keine gute. Einer der Hauptgründe: Viele halten sie für eine Frau mit zu viel Verstand - und zu wenig Herz. Manchen gilt sie als arrogant, als zu hart, kühl, berechnend und eng verwoben mit den unbeliebten politischen Strukturen Washingtons. Ehemalige Mitarbeiter aus dem Außenministerium beschreiben sie gar als herrisch, in ihrem Arbeitseifer und Perfektionsdrang soll sie manchmal auch ungerecht und beratungsresistent sein.

Clinton wurde am 26. Oktober 1947 in Chicago geboren und wuchs in einer konservativen Mittelschichtfamilie auf. Die exzellente Studentin lernte 1971 Bill an der Elite-Universität Yale kennen. Beide studierten Jura, beide waren im linken Lager politisch aktiv. 1978 wurde ihr Ehemann mit 32 Jahren Gouverneur von Arkansas, sie wurde Partnerin in einer großen Anwaltskanzlei und engagierte sich bis heute als Wahlkämpferin - erst für Bill, dann für sich selbst.

Doch nie hatte sie das Leichte, das Tänzelnde, den Charme ihres Mannes, verfügte nicht über seinen Instinkt für Menschen. Und sie galt als jemand, der auf andere herabblickt. Einen Tiefpunkt markierte die Sex-Affäre ihres Mannes mit der Praktikantin Monica Lewinsky - doch trotz seiner Lügen hielt sie zu ihm.

Souverän, aber nicht vertrauenswürdig

2008 unterlag sie Barack Obama in den innerparteilichen Vorwahlen der Demokraten. Als Präsident machte er seine gescheiterte Rivalin aber zur Außenministerin. Nach dem Ausscheiden aus dem Amt hielt sie viele gut dotierte Reden, die im Wahlkampf zur Steilvorlage für das Trump-Lager wurden und ihren schlechten Ruf verfestigten, da manches sich zynisch anhörte, was sie über die Armen und die Mittelschicht sagte.

Ganz sicher schadete ihr das so genannte "E-Mail-Gate". Sie hatte Mühe, zu erklären, wieso sie als Außenministerin einen privaten E-Mail-Server genutzt hatte, die Bundespolizei FBI bescheinigte ihr deshalb einen "sorglosen" Umgang mit vertraulichen Informationen. Für Clinton galt hier die Devise: Augen zu und durch.

In den TV-Debatten wirkte sie im Gegensatz zu ihrem Widersacher präsidial und beherrscht. Wenn er polterte, reagierte sie souverän. Doch auch hier machte sie Fehler: Sie tat die Hälfte von Trumps Anhängern als "kläglichen Haufen" und "hoffnungslos" ab, und nahm dies nur halbherzig zurück, als ihre Sätze publik wurden. Ihr schadete das mehr als Trump seine zahlreichen verbalen Ausfälle.

Sie warb für den Zusammenhalt der Nation, für das Machbare, und setzte auf Bündnisse mit internationalen Partnern. Sie trat für Frauenrechte, Schwarze, Minderheiten ein. Vielleicht war sie einfach zu progressiv - und unterlag letztendlich mit ihren Themen einem Demagogen. Zudem wurde sie von Trump mit einer beispiellos schmierigen Kampagne überzogen.

Trump zeichnete ein düsteres Bild von der aktuellen Lage Amerikas und kündigte an, die Interessen der USA obenan zu stellen - "Make America great again". Erinnert sich einen Tag nach der Wahl noch jemand an den Slogan Clintons?

Sie wirkte "kleinteilig inmitten der großen Krise", schrieb der Spiegel und tatsächlich machte sie oft den Eindruck, das Amerika von gestern zu verkörpern. Trump nannte Clinton ebenso unentwegt wie bösartig "crooked Hillary", betrügerische Hillary, und irgendwann hatte sich das in zu vielen Hirnen festgesetzt. Laut Umfragen vertrauten ihr nur 40 Prozent der Amerikaner.

Kein Mitgefühl für ihren Kollaps

Als sie am 11. September mit einer Lungenentzündung kollabierte, war ihr Gesundheitszustand tagelang landauf, landab Gesprächsthema. Doch Mitgefühl löste der Kollaps bei ihren Mitbürgern nicht aus. Vielmehr kamen Zweifel an ihrer Konstitution auf. Sie musste sich nicht als erfahrene Staatsfrau inszenieren, die sie ja war, doch geschätzt und beliebt war dieser Politprofi nur im Ausland. Im Inland war sie, verrückterweise ausgerechnet neben Trump, der unbeliebteste US-Präsidentschaftskandidat aller Zeiten. Viele Amerikaner hatten gestern das Gefühl zwischen zwei Übeln wählen zu müssen. Zwischen dem alten Amerika und dem Irrsinn. Sie wählten den Irrsinn.

Wie ein Kollege vom Spiegel gerade auf Facebook schrieb: "Der Running Gag der letzten 18 Monate: 'Jetzt ist Trump aber wirklich erledigt.' Hauchdünn hat er es nun entgegen aller Wahrscheinlichkeiten geschafft - vielleicht auch, weil er mit all seinen Fehlern einen Tick menschlicher, den einfachen Menschen einfach näher erschien als diese abgeklärte Hillary Rodham Clinton. Immer wieder wurde ihr vorgeworfen, dass sie nicht ihr Herz sprechen ließe, sondern die Demoskopie. Und abermals gelang es ihr nicht, die Herzen ihrer Landsleute zu gewinnen. Das wurde ihr nun zum Verhängnis.

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