US-Wahl 2016:Der Spuk geht jetzt erst los

Es war ein Wahlkampf der Angst, wie ihn die USA seit mehr als 80 Jahren nicht mehr erlebt haben. Mit Trump als Präsidenten hat der politische Diskurs seinen Tiefpunkt erreicht - und Sexismus, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit erleben eine Renaissance.

Essay von Andrian Kreye

Man hätte sich gewünscht, dass der Spuk vorbei ist. Donald Trump hätte seinen sechsmonatigen Urlaub angetreten, Hillary Clinton am 20. Januar ihren Dienst. Doch nun ist der Schock groß, vielleicht noch größer als nach dem unerwarteten Ergebnis der Brexit-Abstimmung in Großbritannien. Noch sind die Folgen nicht abzusehen. Doch die vergangenen Monate verheißen nichts Gutes. Ganz egal, was die Jahre unter Trump nun bringen werden.

Doch der Wahlkampf der zurückliegenden fast eineinhalb Jahre hat jetzt schon vieles zerstört, was Amerika aus- und groß gemacht hat, um das mal so frei nach den Worten des designierten Präsidenten und obersten Befehlshabers der USA zu formulieren, dessen Slogan "Make America Great Again" das Problem auf den Punkt bringt.

Die Macht der Angst

Es war auf beiden Seiten ein Wahlkampf der Angst, wie ihn diese Nation seit mehr als 80 Jahren nicht mehr erlebt hat. Damals, nach 1932, gab Präsident Franklin D. Roosevelt dann im darauffolgenden März bei seiner Amtseinweihung das Credo aus, das Amerika seither bestimmte und das selbst in Europa jedes Schulkind kennt: "Das Einzige, was wir zu fürchten haben, ist die Furcht." Der Wahlkampf, der nun in der vergangenen Nacht zu Ende ging, war jedoch ein Wahlkampf einer puren Angst, die das Selbstverständnis Amerikas auf eine Weise erschütterte, deren Folgen noch nicht abzusehen sind.

Hillary Clintons Wähler hatten vor allem Angst vor Donald Trump, vor seinen Ausbrüchen und Egomanien, die nur so lange lustig waren, wie er seine Geschäftspartner im Immobilien- und Kasinogeschäft über den Tisch zog oder sich im Realityfernsehen aufplusterte.

Sie hatten Angst vor seinen Horden aus dem Herzland (Heartland) mit ihrem Bildungsmangel, ihrem Hass und ihrem Weltbild, das aus einer Zeit stammt, die die meisten im Land erleichtert hinter sich gelassen haben. Diese Horden haben dann doch so viel Macht entwickelt, dass sie einen wie Trump bis zum Wahlsieg tragen konnten.

Clintons Mantra der "disruption"

Donald Trumps Seite aber hatte ja nicht nur Angst vor Einwanderern, Schwarzen, Schwulen, starken Frauen und welche Minder- und Mehrheiten der Kandidat sonst noch beleidigte. Sie hatte ein ganz reale und rechtschaffene Angst vor Hillary Clinton und der Welt, für die sie steht. Und sie steht ja nicht nur für die Finanzmacht der Wall Street, deren Kapriolen das Leben so vieler Amerikaner zerstört hat, die ihre Jobs, Häuser und Ersparnisse verloren.

Sie steht für eine Schule der Realpolitik, für deren militärische Winkelzüge dann vor allem die Kinder der Herzlandstaaten büßen müssen, die sich mangels Perspektiven bei den Streitkräften verpflichten. Sie steht aber auch für eine Bildungselite, die den amerikanischen Wissenschaften uneinholbare Vorsprünge verschaffte und damit Milliarden aufhäufte, die sie nur verdienen konnte, weil sie ganze Branchen mit ihrem Mantra der "disruption" zerstörte.

Und so begann das Spiel der Angst. Für Hillary Clinton war es weitgehend ein leichtes, denn ihre beste Waffe gegen Donald Trump war Donald Trump selbst. Egal, ob sie beim Parteitag der Demokraten die muslimischen Eltern eines gefallenen Soldaten präsentierte oder sich mit einer mexikanischen Ex-Miss-Universe verbündete, Trump redete sich bereitwillig in all die Ecken, die auch in Amerika längst als finster gelten: Sexismus, Rassismus, Islam- und Fremdenfeindlichkeit gelten selbst unter vielen seiner Anhänger als Tabus.

Das Ziel des Wahlkampfs ist es, den Gegner zu zerstören

Dagegen gab sich Hillary Clinton kaum eine Blöße. Selbst die Enthüllungen aus den E-Mails, die Wikileaks-Gründer Julian Assange in Umlauf gebracht hatte, schienen ihr zunächst nicht zu schaden. Obwohl da doch einiges zu finden war. Ihre berüchtigte Nähe zur Wall Street, die sie dortselbst mit klassenfeindlichen Witzeleien zementiert hatte. Ihr rücksichtsloses Taktieren. Man konnte sogar Dokumente finden, die belegten, dass es die Parteispitze der Demokraten und Hillary Clinton selbst waren, die mitgeholfen hatten, Donald Trump zum Kandidaten der Republikaner zu befördern.

"Negative Campaigning" nennt man diese Spiele in Amerika, einen negativen Wahlkampf führen. Das bedeutet, dass es nicht darum geht, Wähler zu überzeugen. Darum geht es in der polarisierten amerikanischen Politik schon lange nicht mehr. Es geht dabei aber nicht einmal mehr darum, Wähler zu mobilisieren, ein per se schon zweifelhaftes Verfahren, bei dem viel mit Emotionen, Moral und Werten gearbeitet wird. Also mit lauter Faktoren, die später einmal keinerlei Einfluss auf das Regierungsgeschäft haben. Nein, bei der negativen Wahlkampfführung geht es einzig und alleine darum, den Gegner zu zerstören.

Das Geschäft mit dem Rufmord

Längst gibt es für solche Strategien Profis, die hinter den Kulissen die unschöne Arbeit verrichten, deren Spur niemals zu ihren Auftraggebern, den Kandidaten, führen darf. "Opposition Researchers" nennen sie sich, "Oppositionsforscher". Ein Euphemismus, hinter dem ein Berufszweig steckt, der sich letztlich auf das Geschäft mit dem Rufmord spezialisiert hat.

Diese Strategien sind nichts Neues. Traum jedes Kandidaten ist es, eine "Silver Bullet" zu finden, die den Gegner ein für allemal erledigt. Er soll ja nicht nur die Wahl verlieren. Idealerweise beendet so eine Silberkugel eine politische Laufbahn.

Der Silberkugelhagel der vergangenen Wochen hatte historisches Ausmaß. So hart wurde selten gekämpft. Das Timing war oft auffällig präzise. Das Video, auf dem Donald Trump vor dem Bush-Neffen und Fernsehmoderator Billy herumprahlt, die beste Methode, Frauen rumzukriegen sei "grab 'em by the pussy", erschien nur Stunden, bevor die E-Mails aus dem Hack des Privatkontos von Hillary Clintons Wahlkampfmanager John Podesta an die Öffentlichkeit kamen. Vor dem Hintergrund der Ängste und der Polarisierung verwandelt ein Wahlkampf, der auf beiden Seiten so konsequent auf die Zerstörung des Gegners setzt, Politik in einen Strudel negativer Emotionen.

Gespaltene Gesellschaft befeuert diesen Kampf

Auch wenn sich beide Seiten dieser Taktik bedienen, so war es doch vor allem Donald Trumps Wahlkampf, der das Fundament der amerikanischen Gesellschaft in Frage stellte. Franklin D. Roosevelts Zitat geht ja noch weiter: "Unbeschreiblicher, ungerechtfertigter Terror bar jeder Vernunft, der jeden Versuch, den Rückzug in Fortschritt zu verwandeln lähmt. In jeder noch so dunklen Stunde im Leben unserer Nation begegnete das Volk einer Führung, die von Offenheit und Kraft getragen wurde, mit dem Verständnis und der Unterstützung, die für den Sieg entscheidend ist."

Der Sieg, um den es damals ging, ist dem Kampf sehr ähnlich, den die amerikanische Gesellschaft heute auszufechten hat. Damals ging es darum, die Große Depression der Wirtschaftskrise von 1929 zu überwinden. Heute geht es darum, die Folgen der Finanzkrise von 2008 zu meistern. Seit damals war die Gesellschaft wirtschaftlich und historisch nicht mehr so gespalten wie heute.

Zeit ohne Hoffnung

Angst aber ist das Gegenteil von Hoffnung. Barack Obama wusste damit umzugehen. Er trat als Kandidat der Hoffnung an, verkörperte Visionen. Selbst George W. Bush stand für eine Zukunft, für ein Amerika, das seinen Begriff von Freiheit und Gerechtigkeit in die Welt tragen möge.

Hillary Clinton war nie Hoffnungsträgerin. Sie mag Visionen haben, Erfahrung und einen klaren Blick auf die Gegenwart. Der beidseitig negative Wahlkampf hatte sie zur bloßen Alternative zum Schrecken einer möglichen Trump-Regierung reduziert.

Donald Trump selbst aber steht für eine Weltsicht, die dem amerikanischen Lebensgefühl ganz grundsätzlich widerspricht. In seinem Slogan "Make America Great Again" verbirgt sich die Sehnsucht nach einer ominösen Vergangenheit, von der man nicht einmal so gewiss weiß, ob es sie jemals gab.

Man kann auch einwenden, dass Donald Trump überhaupt keine Weltsicht hat, sondern nur ein überdimensionales Ego, das er mit einem Kopf voller Ressentiments paart, die sich mit der zerstörerischen Treffunsicherheit einer Haubitze auf so ziemlich jedes Thema abfeuern lassen, das in einem Wahlkampf aufkommen könnte.

Spaltung des Landes begann vor 36 Jahren

Doch es ist vor allem dieser Marsch in diese imaginäre Vergangenheit, die für eine Angst steht, die Konservative und Liberale in ruhigeren Zeiten gleichermaßen als unamerikanisch bezeichnen würden. Das natürliche Zeitgefühl der Amerikaner war immer das Zeitgefühl der Revolution: "Heute" ist der Beginn der Zukunft. In Europa war "heute" immer das Ende der Vergangenheit.

Der Ökonom und streitbare Demokrat Robert Reich formulierte das mal mit etwas mehr Pathos: "Anders als die Bürger der meisten anderen Nationen, fühlten sich die Amerikaner immer schon weniger durch eine gemeinsame Vergangenheit verbunden, als durch die Träume von einer gemeinsamen Zukunft. Wenn wir diese gemeinsame Zukunft verlieren, verlieren wir den Leim, der unsere Nation zusammenhält."

Der Wahlkampf Clinton gegen Trump war sicher kein plötzliches Erdbeben, das einen Riss durch die Gesellschaft zog. Man kann die Spaltung zurückverfolgen. In das Jahr 1980, als Ronald Reagan an die Macht kam und mit seiner wirtschaftskonservativen Politik die Einkommensschere erstmals mit einem Ruck öffnete. In das Jahr 1994, als Newt Gingrich die konservative Revolution ausrief. In die ersten Jahre des neuen Jahrtausends, als George W. Bush die Gesellschaft ganz bewusst spaltete.

Ähnlich negativen Wahlkampf gab es 1824

Die Wähler straften beide Kandidaten mit Lustlosigkeit. Vergessen waren die begeisterten Demokraten, die für Barack Obama zur Wahl gingen. Vergessen sind selbst die Konservativen, die für die Visionen von George W. Bush kämpften. Die Kandidaten bekamen Stimmen, aber nur wenig Vertrauen.

Wenn es einen Wahlkampf gibt, der so negativ war, muss man bis ins Jahr 1824 zurückblicken. Damals zerbrach die Demokratisch-Republikanische Partei in vier Fraktionen, die sich so unbeirrbar bekämpften, dass in letzter Instanz das Parlament John Quincy Adams zum Präsidenten bestimmte.

Auch heute sind die Kollateralschäden gewaltig. Die Partei der Republikaner hat sich über Donald Trump zerrüttet. Die Glaubwürdigkeit der Medien hat gelitten, die Donald Trump über ein Jahr lang als Popstar behandelten. Der politische Diskurs hat neue Tiefpunkte erreicht. Sexismus, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit erlebten eine Renaissance, die wenige für möglich hielten.

Ein Amerika aber, das seinen Glauben an die Zukunft in Frage stellt, das keine Visionen hat und keine Kraft, für sich selbst zu kämpfen, wird nicht nur lange brauchen, um sich von diesem Wahlkampf zu erholen. Seine Rolle als Vorreiter historischer Entwicklungen zumindest in der westlichen Welt wurde von einem wahnsinnigen Egomanen gekapert. Donald Trump wird nun nicht nur die immer noch mächtigste Nation der Welt regieren. Er wird als Vorbild dienen für Politiker seines Schlages in der gesamten demokratischen Welt. Eine der ersten Reaktionen aus Europa war ein Posting auf Twitter und Facebook von Beatrix von Storch, der stellvertretenden Bundessprecherin der AfD. "Dies ist ein historischer Wahlerfolg. Der Sieg von Donald Trump ist ein Signal dafür, dass die Bürger in der Welt einen klaren Politikwechsel wollen." Nein, der Spuk ist nicht vorbei. Womöglich hat er erst begonnen.

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